Joachim Post, BMW

„Ein reiner Tailpipe‑Ansatz reicht uns nicht"

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Porträt von Joachim Post, BMW-Vorstand für Einkauf und Lieferantennetzwerk, mit grauem Anzug, weißem Hemd und Krawatte. Er trägt eine Brille, blickt direkt in die Kamera, Hintergrund: moderne Architektur der BMW Welt in München.
Joachim Post skizziert den Weg vom reinen Fokus auf Emissionen im Fahrbetrieb hin zu einer umfassenden Dekarbonisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Von der Klimawoche in New York bis zur Kreislaufwirtschaft in München: Im Interview erklärt BMW-Entwicklungsvorstand Joachim Post, warum BMW über den reinen Tailpipe-Ansatz hinausgeht und CO2-Reduktion entlang des gesamten Fahrzeuglebenszyklus denkt.

Frank Sinatra sang einst über New York: „If you can make it here, you can make it everywhere.“ Für BMW könnte diese Zeile kaum besser passen. Während der Climate Week in New York präsentierte der Münchner Hersteller die Nordamerika-Premiere der Neuen Klasse – und sendete damit ein Signal, das weit über den Hudson hinaus hallen soll: Nachhaltigkeit ist kein Zusatz, sondern ein wesentlicher Aspekt in der Fahrzeugentwicklung.

Joachim Post, der seit Juni 2025 den Entwicklungsbereich verantwortet und zuvor als Vorstand für Einkauf und Lieferantennetzwerk tätig war, erklärt im Interview mit der Automobil Produktion, wie BMW Design, Lieferketten und Technologie neu denkt – und warum es längst nicht mehr nur darum geht, was am Ende aus dem Auspuff kommt.

Recycelte Fischernetze für Neue Klasse
In Kooperation mit dem dänischen RecyclingpionierPlastixverwandelt BMW ausrangierte Fischernetze in hochwertigen Kunststoff – erstmals auch für Spritzgussteile. So wird maritimer Abfall zum Rohstoff der nächsten Fahrzeuggeneration.

Herr Post, wie ist das Konzept der Neuen Klasse strategisch darauf ausgelegt, über den gesamten Lebenszyklus – vom Design über die Produktion bis hin zum Recycling – zirkuläre Prinzipien zu integrieren und dabei über heutige Branchenstandards hinauszugehen?

Ein reiner Tailpipe‑Ansatz reicht uns nicht. Entscheidend ist eine ganzheitliche Betrachtung der CO2e‑Reduktion, die schon bei der Rohstoffbeschaffung beginnt und den gesamten Lebenszyklus umfasst. Die Neue Klasse wurde nach den drei Prinzipien „elektrisch“, „digital“ und „zirkulär“ entwickelt. Unser Konzept „Design for Circularity” bewirkt, dass Materialien bereits bei der Konstruktion so konzipiert werden, dass sie später leichter getrennt und recycelt werden können. Die neue Fahrzeug-Architektur erlaubt den Einsatz von Materialien mit hohem Sekundäranteil: Im Ergebnis besteht der neue BMW iX3 50 zu rund einem Drittel aus sekundären Materialien. Ein konkretes Beispiel sind die Motorraumabdeckung und das vordere Staufach: 30 Prozent des eingesetzten Materials bestehen aus recyceltem maritimem Kunststoff, das von alten Fischernetzen und Seilen stammt. Zudem haben wir in New York erstmals ein Dach aus Naturfaserverbundwerkstoffen gezeigt, das gemeinsam mit dem Schweizer Start-Up Bcomp entwickelt wurde. Diese Naturfaserverbundwerkstoffe, basierend auf Flachsfasern, verringern die CO2e‑Emissionen bei der Herstellung mit zusätzlicher End-of-Life-Betrachtung um rund 40 Prozent.

Was lernt BMW aus dem eigenen Recycling-Labor?In unserem Recycling-Center werden Versuchsfahrzeuge zerlegt, analysiert und wieder zusammengesetzt – nicht aus Spieltrieb, sondern aus Lernwillen. Die dort gewonnenen Erkenntnisse fließen direkt in die Konstruktionsarbeit zurück. Unsere Ingenieure achten heute nicht nur auf Festigkeit und Funktion, sondern auch auf die spätere Trennbarkeit von Werkstoffen. So schließt sich der Kreis schon in der Entwicklung – ein praktisches Beispiel für „Design for Circularity”.

BMW M Flachsdach
Nach ihrem erfolgreichen Einsatz im Motorsport hält nachhaltige Leichtbautechnologie Einzug in die Serie: Gemeinsam mit dem Schweizer Cleantech-Unternehmen Bcomp setzt die BMW Group erstmals Naturfaserverbundwerkstoffe aus Flachs in Dachkonstruktionen ein .
Webstruktur Flachsdach BMW M
Inklusive der End-of-Life-Betrachtung ergibt sich beispielsweise bei der grünen Alternative zum bisherigen Carbon-Dach eine CO₂-Äquivalent-Einsparung von rund 40 Prozent.
Ansicht Flachsdach BMW M
Selbst höchste Anforderungen an die Steifigkeit, wie sie beispielsweise für Dachstrukturen bei der Homologation eines Gesamtfahrzeugs gelten, lassen sich mit den neuartigen Naturfaser-Verbundwerkstoffen erfüllen.

Der Schwerpunkt verlagert sich von den Emissionen der Nutzungsphase hin zu den vorgelagerten Prozessen. BMW strebt Net Zero bis spätestens 2050 an. Welche strategischen Hebel nutzen Sie, um diese globalen CO2e‑Reduktionsziele zu erreichen, insbesondere in der Lieferkette, wo die Herstellung elektrischer Fahrzeuge bekanntermaßen sehr kohlenstoffintensiv ist?

Unsere CO2e‑Ziele sind wissenschaftlich abgeleitet und orientieren sich am Pariser Klimaabkommen. Bis 2050 wollen wir Net Zero entlang der gesamten Wertschöpfungskette erreichen und bis 2030 sollen mindestens 40 Millionen Tonnen CO2e eingespart werden. Die Elektrifizierung unserer Flotte schreitet voran – im vergangenen Jahr lag der Anteil reiner Elektroautos am Absatz bereits bei mehr als 17 Prozent. Dadurch verlagert sich der Schwerpunkt der Emissionsreduzierung von der Nutzungsphase auf die Lieferkette. Um die Emissionen in der Lieferkette zu senken, setzen wir auf drei zentrale Hebel: In den Gen6‑Batteriezellen des BMW iX3 werden jeweils 50 Prozent Sekundärmaterialien für Kobalt, Lithium und Nickel verwendet. Des Weiteren konnte der CO2e-Ausstoß pro Wattstunde mit dem Einsatz von erneuerbaren Energien bei der Anoden-, Kathodenmaterial- und der Zellfertigung im Vergleich zur Gen5-Zelle des Vorgängermodells um zirka 42 Prozent gesenkt werden. Zudem bezieht die BMW Group seit 2020 für die eigenen Produktionsstätten weltweit ausschließlich Elektrizität aus erneuerbaren Energien. Zusätzlich haben wir durch die systematische Anwendung von Prozess- und Produktinnovationen beim neuen BMW iX3 die CO2e‑Emissionen in der Lieferkette während der Produktentwicklung um 35 Prozent reduziert. Unser neues Werk in Debrecen in Ungarn produziert den iX3 im Normalbetrieb ohne fossile Brennstoffe. Bis zu 25 Prozent des benötigten Stroms wird durch Photovoltaikanlagen vor Ort gedeckt.

Der Kunde hat die Wahl: Leder oder die Variante, wo Stoff, Kleber und das Fleece des Econeer-Sitzbezugs (Foto) aus PET bestehen?
Der Kunde hat die Wahl: Leder oder die Variante, wo Stoff, Kleber und das Fleece des Econeer-Sitzbezugs (Foto) aus PET bestehen?

Können Sie konkrete Materialinnovationen nennen, die das Prinzip Secondary First verdeutlichen und einen echten Beitrag zur Kreislaufwirtschaft leisten?

Neben den bereits genannten Komponenten aus recycelten Kunststoffen sind auch hier insbesondere drei Felder hervorzuheben: Die neuen Gen6 Batteriezellen im BMW iX3 bestehen zu 20 Prozent aus Sekundärmaterialien. Dies konnten wir insbesondere durch den zuvor erwähnten Anteil bei Kobalt, Lithium und Nickel erreichen. Außerdem organisiert die neue Elektronik‑ und Software‑Architektur der Neuen Klasse das Fahrzeug in vier Zonen und überträgt Daten drahtlos an die vier Superbrains. Dadurch werden fast 600 Meter Kabel eingespart, was eine Gewichtsreduzierung von 30 Prozent beim Kabelbaum bedeutet. Weniger Kupfer bedeutet weniger Rohstoffverbrauch und eine höhere Effizienz. Zudem geht die Entwicklung rund um Leichtbau mit Naturfaserverbundwerkstoffenweiter, die beim neuen iX3 noch nicht zum Einsatz kommt. Und wie bereits erwähnt, die neuen Naturfaserverbundwerkstoffe, basierend auf Flachsfasern, verringern die CO2e‑Emissionen bei der Herstellung mit zusätzlicher End-of-Life-Betrachtung um rund 40 Prozent. Zudem kommen neue Materialkonzepte zum Einsatz, etwa der Econeer‑Sitzbezug. Stoff, Kleber und das Fleece bestehen dabei aus PET. Dieser Monomaterialansatz ermöglicht eine verbesserte Kreislauffähigkeit. Das Ausgangsmaterial für das Garn des Textils besteht zudem aus 100 Prozent recyceltem PET.

Neben der Elektromobilität verfolgt die BMW weiterhin eine Technologieoffenheit als strategischen Erfolgsfaktor. Warum ist dieser vielseitige Ansatz notwendig, um die globalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, und welche Rolle spielt die Wasserstoff‑Brennstoffzelle?Technologieoffenheit ist eine Versicherung gegen Einseitigkeit. Wir glauben an Technologieoffenheit, weil unsere Kunden weltweit unterschiedliche Rahmenbedingungen vorfinden und die Infrastruktur für reine batterieelektrische Fahrzeuge nicht überall gleichermaßen ausgebaut ist. Deshalb bieten wir hocheffiziente Verbrenner, Plug‑in‑Hybride und batteriebetriebene Fahrzeuge an und investieren parallel in die Wasserstoff‑Brennstoffzelle. Hydrogen ist für uns das fehlende Puzzlestück. Er ermöglicht es, erneuerbare Energie zu speichern und dient als stabilisierender Faktor. Wir werden 2028 unser erstes serienmäßig produziertes Wasserstoffmodell, den iX5 Hydrogen, auf den Markt bringen. Die Technologie basiert auf einem gemeinsam mit Toyota entwickelten Brennstoffzellensystem der dritten Generation. Wasserstoff eignet sich insbesondere für X-Modelle und Limousinen. Die Größe der Brennstoffzelle haben wir seit der ersten Generation signifikant reduziert. Die Vorteile sind: kleinere Batterien, geringerer Rohstoffbedarf und geopolitisch flexiblere Lieferketten.

BMW X5 Hydrogen
BMW bringt erstmalig ein Fahrzeug mit fünf verschiedenen Antriebstechnologien auf den Markt: Batterieelektrisch, Plug-in-Hybrid, Benzin, Diesel sowie Wasserstoff-Brennstoffzellentechnologie.
Wasserstoff Brennstoffzelle BMW
Das BMW-Werk Steyr bereitet sich auf die Serienproduktion von Brennstoffzellsystemen vor. In Österreich wird ab 2028 die dritte Generation des Wasserstoffantriebs der BMW Group gefertigt.

Inwiefern hat Ihre konsequente Ausrichtung auf Nachhaltigkeit die Lieferantenbeziehungen gewandelt?

CO2e‑Emissionen sind eine steuernde Größe bei der Auswahl von Partnern. Wir schließen mit unseren Lieferanten Vereinbarungen zum Einsatz von erneuerbaren Energien und Sekundärrohstoffen ab. Die frühzeitige Zusammenarbeit erlaubt es uns, neue Technologien und Werkstoffe in die Serienentwicklung zu integrieren und den Zugang zu nachhaltigen Lieferketten zu sichern. Auch die Reduktion des Kabelbaums senkt den Kupfereinsatz; solche Konzepte entstehen durch enge Partnerschaften mit Zulieferern.

Welche entwicklungsseitigen Herausforderungen ergeben sich durch die Neue Klasse im Hinblick auf Ihre Elektrifizierungs‑ und CO2e‑Ziele?Effizienz bleibt oberste Priorität. Mit der sechsten Generation unserer Antriebe erreichen wir über 20 Prozent Effizienzsteigerung gegenüber der Vorgängergeneration – dank weiterentwickelter Elektromaschinen, optimierter Batteriezellen, verbesserter Inverter und einer konsequenten Aerodynamik. Diese Maßnahmen reduzieren den Verbrauch und steigern die Reichweite.

Sie betonen die Technologieoffenheit. Wie ordnen Sie die Rolle des Wasserstoffs im Kontext der Dekarbonisierung des Gesamtverkehrssystems ein?Wir sehen Wasserstoff als integralen Bestandteil eines dekarbonisierten Energiesystems, Zusammen mit batterieelektrischen Lösungen, effizienten Verbrennungsmotoren – unter Nutzung von HVO 100 oder E‑Fuels – und Plug‑in‑Hybriden bietet eine Technologievielfalt die beste Ausgangsposition, um die globalen CO₂‑Ziele zu erreichen.

Wenn wir das Jahr 2050 als Ausgangspunkt nehmen: Welche Rolle sehen Sie für BMW in einer Welt, in der sich Mobilität, Energieversorgung und Gesellschaft grundlegend verändert haben werden? Arbeiten Sie bereits heute mit Zukunftsbildern, die von dort rückwärts gedacht werden – und wie prägt dieses Denken Ihre strategischen Weichenstellungen im Hier und Jetzt?

Die Geschwindigkeit der technischen Entwicklung wird weiter steigen. Nur ein Beispiel: Blickt man zurück zum ersten iDrive‑Dreh‑Drück‑Steller im Jahr 2000 und vergleicht das mit unserem heutigen Konzept aus einem Head‑Up‑Display über die gesamte Windschutzscheibe und Sprachbedienung, lässt sich erahnen, welch rasante Innovationen uns bevorstehen.
Künstliche Intelligenz wird ein zentraler Treiber in der Fahrzeugentwicklung, und die Net‑Zero‑Zielsetzung bis 2050 wird unsere strategische Ausrichtung stark beeinflussen. Wir denken vom Ziel her zurück und stellen Projekte sowie strategische Entscheidungen so auf, dass sie die Anforderungen einer nachhaltigen, vernetzten und vielfältigen Mobilität erfüllen. Nur so kann die BMW Group ihrem Anspruch gerecht werden, auch in Zukunft die Freude am Fahren mit Verantwortung zu verbinden.