Kanada

Dank des Booms rund um die batterieelektrische Mobilität hat das ressourcenreiche Land Kanada beste Chancen, zum wichtigen Akteur in der internationalen Automobilwirtschaft aufzusteigen. (Bild: Adobe Stock / AAVAA, Tarik GOK, Lubo Ivanko)

Die ersten Autos wurden dort zwar bereits 1904 gebaut, doch so richtig auf die Weltkarte der PS-Branche hat es Kanada nie geschafft. Denn während Detroit jenseits der Grenze über viele Jahrzehnte der Schrittmacher der Motorindustrie war, blieb für die Nachbarn im Norden nur die Rolle der verlängerten Werkbank. Und mit zuletzt rund 1,5 Millionen Neuzulassungen ist Kanada trotz seiner gewaltigen Größe auch als Markt weniger relevant als die meisten europäischen Länder.

Und trotzdem hat die kanadische Wirtschaft davon bis heute nicht schlecht gelebt: Obwohl die Automobilindustrie in dem Land von der Coronapandemie besonders stark getroffen wurde und einen dramatischen Einbruch erlebt hat, leistet sie einen großen Beitrag zur heimischen Volkswirtschaft, meldet die Regierung: Fünf Fahrzeughersteller - Stellantis, Ford, GM, Honda und Toyota – bauen mehr als 1,4 Millionen Autos pro Jahr und werden dabei versorgt von beinahe 700 Zulieferern, darunter kanadische Tier-1-Unternehmen wie Magna, Linamar and Martinrea. So hat die Automobilproduktion im Jahr 2020 rund 12,5 Milliarden Dollar zum Bruttosozialprodukt beigetragen und zählt damit zu den Produktionssektoren im Land. Und zu den wichtigsten Arbeitgebern: Die Industrie beschäftige 117.200 Menschen direkt und noch einmal 371.400 über den Aftermarket und die Handelsorganisationen, so die Regierung weiter.

So kann Kanada aus dem Schatten der USA treten

Und bald soll der noch größer werden. Denn Kanada hat sich nicht nur emissionsfreie Mobilität ab dem Jahr 2035 auf die Fahnen geschrieben, sondern will auch zum weltweiten Treiber des Mobilitätswandels werden: „Während die globale Industrie den Weg zum emissionsfreien Transport beschleunigt, hat sich Kanada als wichtiger Akteur innerhalb der sich ständig weiterentwickelnden Lieferkette positioniert,“ sagt Martin French, der US-Statthalter des Münchner Strategieberaters Berylls mit Blick auf die die Nähe zu Herstellern und Zulieferern im eigenen Land und jenseits der Grenzen, auf die Handelsabkommen mit den USA, die saubere Energie, die großen Rohstoff- und Bergbauressourcen an Nickel, Lithium und Kobalt und die üppigen staatlichen Anreize.

Vor allem aber hat Kanada einen Trumpf: Wie sonst wohl nur ganz wenige Staaten ist das Land in der Lage, eine komplette Lieferkette für BEV-Batterien anzubieten. Das hat auch Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem Staatsbesuch im letzten Herbst erkannt und frohlockt: „Das Land verfügt über ähnliche reiche Bodenschätze wie Russland – mit dem Unterschied, dass es eine verlässliche Demokratie ist.“

Rohstoffgigant Kanada attraktiv für VW und Co.

So tritt das Land Kanada mit dem Mobilitätswandel zunehmend aus dem Schatten der USA und empfiehlt sich als wichtiger Partner auf der Electric Avenue. Ein Angebot, das auch deutsche Konzerne dankend annehmen – allen voran Volkswagen. Denn nachdem der damalige VW-Chef Herbert Diess in der Kanzler-Delegation die Lage sondiert hatte, hat jetzt sein Nachfolger Oliver Blume St. Thomas in Ontario als Standort für die erste Gigafactory der Niedersachsen in Nordamerika ausgerufen und dabei vor allem auf die lokal verfügbaren Rohstoffe und den Grünstrom verwiesen. Nach Salzgitter und Valencia soll dort ab 2027 eine neue Einheitszelle produziert werden. Damit wollen die Wolfsburger den Grundstein für das überfällige Wachstum des Konzerns in Nordamerika legen und sich zugleich die Steuergutschriften sichern, die Washington im Inflation Reduction Act ausgelobt hat.

Und die Niedersachsen sind nicht allein. Auch Mercedes-Benz will von Kanadas Rohstoffen profitieren und hat deshalb mit der Regierung in Ottawa eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnet: „Mercedes-Benz ist dabei, die Produktion von Elektrofahrzeugen drastisch zu steigern. Deshalb sind wir auch dabei, uns neue Wege zu erschließen, um auf verantwortungsvolle Art an die dafür notwendigen Rohstoffe zu kommen,“ sagt Entwicklungsvorstand Markus Schäfer. „Der direkte Zugang zu den Produzenten dieser Materialien ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Mit Kanada haben wir einen wichtigen und leistungsfähigen Partner an unserer Seite, um eine neue Ära der nachhaltigen Transformation in der Automobilindustrie einzuleiten.“

Stellantis ist ebenfalls mit von der Partie, meldet Berylls-Experte French und berichtet von einem Fünf-Milliarden-Projekt für ein Batteriewerk in Windsor. Und GM hat nicht nur das Werk in Oshawa wieder in Betrieb genommen, um dort 2024 den Chevrolet Silverado zu bauen. Sondern die Nutzfahrzeugtochter Brightdrop hat binnen lediglich zweier Jahre die Produktion im neuen CAMI-Plant in Kanada gestartet.

Grüne Mobilität pusht den Standort Kanada

Das wirkt, sagt French: In den vergangenen Jahrzehnten habe der Automobilstandort Kanada in Nordamerika schleichend Marktanteile an Mexiko und die US-amerikanischen Südstaaten verloren. „Doch nun weist der Trend zum ersten Mal seit vielen Jahren in die entgegengesetzte Richtung“, so der Experte: „Obwohl Kanada nur halb so viele Fahrzeuge herstellt wie noch vor zehn Jahren, deuten die Produktionszahlen und Investitionen darauf hin, dass das Land eine wichtige Rolle in der Zukunft der E-Mobilität spielen wird.“

Zwar gibt es das größte Automotive-Cluster in Ontario im Osten des Landes in unmittelbarer Nähe zu Detroit. Doch auch an der Westküste blüht die Industrie im Hoffen auf grüne Mobilität auf: Vancouver, einst Heimat des Brennstoffzellen-Pioniers Ballard Power, wird zum Hub für H2-Mobilität. Nicht umsonst hat hier Cellcentric, das Joint-Venture von Volvo und Daimler-Trucks sein erstes Werk aus dem Boden gestampft und baut dort jene Brennstoffzellen, die den Brummi bald zum Summi machen sollen. „Die Region gilt als eine Art 'Silicon Valley' der Brennstoffzellentechnologie, in dem diverse namenhafte Unternehmen seit mehr als drei Jahrzehnten ansässig sind und sich spezielles Knowhow und Fachwissen angeeignet haben. Universitäten unterstützen die Entwicklungsaktivitäten mit ihren eigenen Forschungszentren“, begründet Cellcentric das Werk in Burnaby: „Der Zugang und weiterhin enge Austausch mit dem Expertennetzwerk vor Ort ist daher von wertvoller Bedeutung und damit ein ausschlaggebender Grund für die Standortwahl.“

Eine lokale Wertschöpfungskette für Batterien von der Mine bis zur Montage, innovative Zulieferer und zahlreiche Werke, in denen zunehmend mehr Autos produziert werden – so verhilft die grüne Mobilitätswende der kanadischen Automobilindustrie zu rosigen Aussichten. Doch Männern wie Flavio Volpe ist das noch nicht genug. Er ist Chef der Automotive Parts Manufacturers Association (APMA) und will der Welt beweisen, was seine Branche wirklich draufhat. Mit einem in Kanada für Kanada entwickelten Showcar namens Project Arrow antwortet unsere Branche auf die Forderung der Regierung nach eine Null-Emissions-Gesellschaft für das Jahr 2025, sagt Volpe. „Dafür bringen die besten Firmen zusammen, die sich in Kanada mit elektrischem Fahren, alternativen Kraftstoffen, vernetztem und autonomem Fahren und Leichtbau beschäftigen.“

Und auch damit Kanada bereits überraschend weit. Denn nach weniger als vier Jahren hat die APMA in diesem Frühjahr die finale und funktionsfähige Designstudie enthüllt. Allerdings nicht daheim in Kanada, sondern da, wo die Welt gerade wirklich hinschaut: Auf der CES in Las Vegas.

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