Grafik Autobranche in Brasilien

Die Autobranche in Brasilien erlebt aktuell einen großen Umschwung. (Bild: Volkswagen do Brasil, Adobe Stock / Agrus)

Aufbruchstimmung herrschte in Brasiliens Automobilindustrie nach der Währungsreform von 1994. Ein Jahrzehnt lang bauten fast alle internationalen Gastkonzerne eilig neue Produktionsstätten mit mindestens 100.000 Einheiten Jahreskapazität. Damit schoss der Ausstoß an Pkw von 2000 bis 2010 mit 2,9 Millionen Einheiten auf mehr als das Doppelte hoch und die Flotte wuchs gar von 2004 bis 2020 um das 2,8-fache auf 108 Millionen Fahrzeuge.

Doch auf die Euphorie folgte die Ernüchterung. Wegen wirtschafts- und finanzpolitischer Fehlentscheidungen nach 2014 und infolge der Corona-Krise von 2020 brach die Automobilproduktion um 45 Prozent ein. Es folgte ein monatelanger Personalabbau und viele Montagehallen wurden geschlossen oder verkauft, so etwa das Mercedes-Werk Iracemápolis im Bundesland Sao Paulo an den chinesischen Newcomer Great Wall. Auf dem Tiefpunkt der Entwicklung wurden in 2020 nur noch 1,6 Millionen neue Pkw hergestellt. Seither ging es dann mühsam wieder aufwärts: Nach Angaben des Herstellerverbands Anfavea rollten in 2021 etwa 2,25 Millionen Einheiten vom Band, in 2022 könnten es 2,34 Millionen werden.

Zum schleppenden Tempo trugen sowohl Versorgungsengpässe bei mikroelektronischen Bauteilen als auch die im weltweiten Vergleich extrem hohe Inflationsrate bei. Brasilien verfügt zwar über eine einheimische Chipfabrikation, aber nicht für Automobile. Der Anfavea-Verband hält darum Auslands-Investitionen von zwei Milliarden Dollar zu diesem Zweck für nötig. Einer Inflation von fast 12 Prozent (im Juni 2022) steuerte die brasilianische Notenbank mit einem Diskontsatz von 13,75 Prozent gegen, entsprechend verteuerte sich für Automobilkäufer die Kreditaufnahme bei Banken.

Der heimische Autobestand altert zunehmend

Der geschrumpfte Verkauf ließ wiederum das Durchschnittsalter der Pkw-Flotte des Landes steigen. Der brasilianische Zulieferverband Sindipeças meldete kürzlich, dessen Durchschnittsalter sei von 2011 bis 2021 um zwei Jahre und elf Monate auf nun zehn Jahre und fünf Monate geklettert. Dieser Trend gefährdet die Einhaltung des im Pariser Umweltschutz-Abkommen von 2005 festgelegten Ziels, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 von 2,44 auf 1,22 Milliarden Jahrestonnen zu halbieren, auch wenn der nicht allein von der Pkw-Flotte erzeugt wird. Zwar ist in Brasilien für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor schon seit 1997 der Einbau von Katalysatoren gesetzlich vorgeschrieben, womit der Ausstoß in der Tat drastisch gesenkt wurde. Doch viele Autofahrer scheuen den Erwerb dieses teuren Bauteils.

Nachhaltige Mobilität bleibt ein Wunschtraum

Speziell für die Automobilindustrie Brasiliens würde eine vollständige Reduktion der Treibhausgase die totale Umstellung auf E-Mobilität in den nächsten acht Jahren bedeuten. Das Ziel wirkt jedoch eher fragwürdig angesichts der Tatsache, dass bisher nur zwei Prozent der Flotte diese Antriebsform nutzen. Daran ändert auch ein Hinweis der Fachverbände ABVE (E-Mobile) und Fenabrave (Pkw-Handel) wenig, wonach die Zahl neu zugelassener Elektro-Pkws im ersten Quartal 2022 um knapp 35 Prozent über dem entsprechenden Wert des Vergleichszeitraums von 2021 lag. Denn absolut waren es nur 23.560 neue E-Mobile.

Dabei sind die Gründe für den zögerlichen Umstieg die gleichen wie in Europa: hohe Preise für die Käufer, schwierige Versorgung mit Lithium-Batterien und vor allem Mangel an Ladestationen. Die billigsten E-Mobile kosten ihren Erwerber in Brasilien umgerechnet zwischen 27.450 und 56.860 Euro. Das ist viel Geld, da ein Großteil der Privathaushalte monatlich mit höchstens 1.000 Euro auskommen muss.

Verarbeitung von Lithium läuft langsam an

Bei der Versorgung mit Lithium klaffte bisher eine Lücke zwischen relativ gutem Rohstoff-Angebot und unzureichender Verarbeitungskapazität. Um die Jahreswende geht jedoch eine Anlage der kanadischen Firma Sigma Lithium zur Herstellung von jährlich 270.000 Tonnen Konzentrat in Betrieb. Sigma schloss in der Automobilbranche bereits Lieferverträge mit VW do Brasil, Stellantis und Tesla ab; es will ferner über den Atlantikhafen Ilhéus auch Lithium-Konzentrat exportieren.

Das Problem mit Ladestationen schließlich erklärt allein schon die Ausdehnung des südamerikanischen Landes. Brasilien ist 24-mal so groß wie Deutschland, verfügt auf dieser Fläche bisher aber nur über 1.250 Ladestationen, davon die Hälfte in der Millionenstadt Sao Paulo. Und in der jetzigen Stagflation riskieren eben nur wenige Tankstellenbesitzer eine Investition von fast 100.000 Euro für eine Ladestation. Aufladung in der heimischen Garage kommt bei den hohen Kosten pro Kilowattstunde nur für eine Minderheit der Brasilianer in Frage.

Umstrukturierungen gehen voran

Wegen des Krisenumfelds bedurfte es zum Beispiel bei VW do Brasil langwieriger Verhandlungen zwischen Management und Metallarbeiter-Gewerkschaft, bis das Unternehmen wieder in zwei Schichten arbeiten konnte. Trotz aller Widrigkeiten treibt Brasiliens Automobilindustrie ihre Umstrukturierung jedoch zielstrebig voran. Dabei geht es sowohl um neue Antriebsformen als auch um veränderte Produktionssysteme und systematische Verbreiterung der lokalen Zulieferbasis. Mercedes-Benz etwa entschied sich im Rahmen eines Transformationsplans für verstärktes Outsourcing von Bauteilen, weil wegen steigender Produktionskosten die Strategie, möglichst alles im eigenen Haus zu fertigen, keinen Sinn mehr machte. Ähnlich stützt sich Stellantis jetzt auf Zulieferer in drei verschiedenen Bundesländern Brasiliens.

Bei Ford vollzieht sich die Umrüstung in Form eines globalen Dekarbonisierungsplans, für den der Konzern bis 2026 an die 50 Milliarden Dollar aufwenden will. In Brasilien stellte er die Pkw-Produktion zwar ein, dafür werde der Standort künftig aber zu einem F&E-Zentrum umfunktioniert, erläutert Rogélio Goldfarb, Vizepräsident für die Region Südamerika. Damit bleibe das Know-how von 1.500 Ingenieuren, Technikern und Wissenschaftlern erhalten. Deren Kompetenz in Elektronik, Automatisierung und Konnektivität soll zu 85 Prozent das weltweite Ökosystem von Ford speisen, wovon sich das Unternehmen schon kurzfristig Mittelrückflüsse nach Brasilien von 100 Millionen Euro verspricht. Die restlichen 15 Prozent dienen der Produktion in Südamerika. Bei der Antriebsform setzt Ford nach Angaben von Daniel Justo, Präsident der Südamerika-Tochter, auf Hybridmodelle, von denen drei schon 2023 sowohl in Brasilien als auch am Weltmarkt angeboten werden.

Stellantis mit den Marken Peugeot, Citroën, Fiat oder Jeep investiert im Werk Porto Real westlich von Rio 43 Millionen Euro zum Aufbau einer Common Modular Platform, die ebenso gut Verbrenner wie E-Mobile liefern kann. Bei letzteren entschied sich Stellantis ebenfalls für die Hybrid-Technologie, die auch VW do Brasil, Renault-Nissan, Toyota und Caoa Chery nutzen wollen. In Brasilien fahren solche Autos wahlweise mit Strom oder Ethanol. Nissan erprobt zudem die Brennstoffzellen-Technik, bei der ein Ethanol-Verbrenner einen Generator antreibt, der Strom für den Antriebsmotor erzeugt und so das Aufladen erspart.

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