Grafik Autobranche in Brasilien

Brasilien ist für ausländische Autohersteller ein interessanter Markt. Doch die Europäer müssen aufpassen, dass ihnen chinesische Hersteller nicht den Rang ablaufen. (Bild: Volkswagen do Brasil, Adobe Stock / Agrus)

Andere Länder, andere Nachrichten: Während VW bei uns im Krisenmodus fährt, die Beschäftigungsgarantie aufgekündigt und sogar ein Werk zur Disposition gestellt hat, investieren die Niedersachsen in Brasilien kräftig. Dort, wo sie seit 1953 und damit lange vor China eine zweite Heimat haben, wollen sie in den nächsten zwei Jahren rund drei Milliarden Euro ausgeben, um sich an der Spitze der Statistik zu halten und ihren Absatz um 40 Prozent zu steigern.

Denn auch wenn sich das Zulassungsvolumen im Dekadenvergleich halbiert hat, gehört Brasilien mit zuletzt 2,2 Millionen neu zugelassenen Pkw und leichten Nutzfahrzeugen im Jahr zu den wichtigsten Automärkten der Welt. Nur in Deutschland, Japan, Indien, den USA und China sind die Zulassungszahlen noch höher. Und während viele Märkte im Moll sind, weisen die Indikatoren in Südamerika wieder steil nach oben, melden die Analysten. Schon 2023 sind die Zulassungszahlen um zehn Prozent gestiegen und für 2024 wird ein ähnliches Wachstum erwartet.

Im brasilianischen Markt herrscht Goldgräberstimmung

VW ist mit seinen Investitionen, die unter anderem 16 neue Modelle bringen sollen, deshalb auch nicht alleine. Begünstigt von einem staatlichen Förderprogramm für nachhaltige Mobilität und wirtschaftliches Wachstum haben zahlreiche Konkurrenten ebenfalls große Summen ins Spiel gebracht. Toyota investiert bis zum Ende der Dekade 2,2 Milliarden, Hyundai und Chevrolet jeweils rund eine Milliarde, Mitsubishi 0,6 Milliarden und Stellantis von 2025 bis 2030 sogar sechs Milliarden Euro: „Diese Ankündigung unterstreicht unser Vertrauen und unser Engagement für die Zukunft der südamerikanischen Automobilindustrie und ist eine Reaktion auf das günstige Geschäftsumfeld, das wir hier vorgefunden haben“, zitieren lokale Medien Stellantis-Chef Carlos Tavares, der von niedrigere Lohn- und Energiekosten schwärmt und von einer Willkommenskultur, die Industrialisierung als ausdrückliches Regierungsziel nennt.

Nicht umsonst haben Präsident Lula und seine Vorgänger die Hersteller aus anderen Ländern seit Jahrzehnten mit offenen Armen empfangen, statt eine eigene Automobilindustrie aufzubauen. Während VW unter dem Spitznamen „Volks“ deshalb von vielen Brasilianern längts zum nationalen Kulturgut gezählt wird, hat es außer ein paar Kleinserien und Geländewagen bis dato keine heimische Marke auf die Straße geschafft. Und trotzdem ist der Autosektor ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im fünftgrößten Land der Welt: rund 100.000 Menschen produzieren dort etwa 2,2 Millionen Fahrzeuge im Jahr.

Auch Brasilien schwenkt auf E-Mobilität um

Mit den Investitionen in neue Fabriken und neue Modelle geht auch in Brasilien die fortschreitende Abkehr von fossilen Treibstoffen einher. Doch ganz so ambitioniert wie in Europa sind die Strategien zur Elektrifizierung nicht. Aktuell beträgt der Anteil an den Neuzulassungen für elektrifizierte Fahrzeuge gerade mal 3,4 Prozent, wobei nur jedes zehnte rein elektrisch fährt. Und auch die optimistische Prognosen sehen für das Ende des Jahrzehnts allenfalls knapp 50 Prozent Marktanteil für elektrifizierte Antriebe. Und darunter stellen Hybride oder Plug-in-Hybride auch künftig den größeren Anteil.

Aus gutem Grund, sagt Roger Guilherme. Er leitet das Way to Zero-Center  im VW-Stammwerk in São Bernardo do Campo und muss den Wolfsburger Auftrag der globalen Dekarbonisierung mit den örtlichen Gegebenheiten in Einklang bringen. Zwar sei Brasilien mit einem bei 85 Prozent überdurchschnittlich hohen Anteil an Strom aus erneuerbaren Quellen, vor allem aus Wasserkraft, einerseits prädestiniert für elektrisches Fahren. Zumal das Land obendrein nah am Lithium-Dreieck von Argentinien, Bolivien und Chile liege und auch über eigene Lithium-Vorkommen verfüge, die für Akkus von E-Autos unumgänglich sind. „Doch auf der anderen Seite kann sich unsere Bevölkerung teure Elektromodelle einfach nicht leisten“, sagt er mit Blick auf die prekären Einkommensverhältnisse im Land. Schon der Polo Track, das billigste Modell im VW-Portfolio, koste umgerechnet 63 durchschnittliche Monatsgehälter, und das ist ein klassischer Verbrenner.  

Ethanol spielt wichtige Rolle in Brasilien

Außerdem gibt es in Brasilien eine Alternative, die je nach Statistik kaum weniger nachhaltig ist: Ethanol. Gewonnen aus Zuckerrohr kommt es auf eine um 70 Prozent geringere CO2-Last als konventionelles Benzin und deckt mit eines Jahresproduktion von 30 Milliarden Litern rund 38 Prozent des Bedarfs an Ottotreibstoff im Land, rechnet Guilherme vor. 84 Prozent der Neufahrzeuge in Brasilien haben deshalb einen so genannten Flexfuel-Motor, der Benzin und Ethanol in allen Mischungsverhältnissen verbrennen kann. An den Tankstellen verkaufen sie wahlweise reines Ethanol oder vermeintlich reines Benzin, das aber auch zu mindestens 25 Prozent aus vergorenem Zuckerrohr besteht. Und Apps kalkulieren angesichts des leichten Mehrverbrauchs bei Ethanol-Betrieb und der tagesaktuellen Tankstellenpreise den jeweils billigeren Sprit. Wo andere immer mehr E-Modelle fordern, macht der VW-Experte sich deshalb für effizientere Verbrenner stark.

„Denn angesichts unserer ganz speziellen Situation ist für Brasilien der Hybrid-Abtrieb mit Ethanol als primärer Energiequelle erst einmal das zielführende Konzept“, sagt Guilherme. Ja, VW hat mit dem ID.4 und dem ID.Buzz auch die ersten Elektroautos ins Land geholt, wenngleich die nur im Leasing angeboten und nicht verkauft werden. Doch während Guilherme für das Ende der Dekade mit nicht einmal zehn Prozent Marktanteil für reine E-Autos rechnet, suchen die Wolfsburger ihr Heil deshalb erst einmal in Teilzeitstromern mit mehr oder minder großen Pufferakkus, auf die ein Gros der 16 für die nächsten Jahre geplanten Neuheiten entfallen sollen.

Chinesische Autobauer drängen in Brasiliens Markt

Allerdings teilen nicht alle Guilhermes Einschätzungen– und es sind auch in Brasilien vor allem die Chinesen, die bei der Elektrifizierung voranschreiten. Genau wie VW & Co haben sie große Investitionszusagen gemacht und den Markt bereits mit den ersten E-Modellen beschickt – wahlweise als Hybrid oder sogar voll elektrisch. Und das mit Erfolg: Jedes dritte importierte E-Fahrzeuge war 2023 chinesischen Ursprungs.

Dass sie noch viel mehr vorhaben, zeigen ihre Produktionspläne – die eine gewisse Symbolik kaum verhehlen können. Denn die neuen Modelle von Great Wall Motors laufen ausgerechnet in jenem Werk in Iracemapolis vom Band, in dem Mercedes noch bis vor ein paar Monaten A- und C-Klassen gebaut hat. Und das ehemalige Ford-Werk in Camacari läuft nach Jahren des Stillstands 2025 als BYD-Fabrik ebenfalls unter chinesischer Flagge wieder an – und produzirrt neben Hybridfahrzeugen auch reine E-Modelle.

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