Der ehemalige Produktionsvorstand Michael Oeljeklaus im Interview

„Die Umstellung auf die Elektromobilität verlangt uns Produktionern enorme Kraftanstrengungen ab“, sagt Oeljeklaus. (Bild: Skoda)

Herr Oeljeklaus, wir haben vor einem Jahr miteinander gesprochen. Was hat sich in den vergangenen zwölf Monaten im Produktionsnetz von Skoda getan?

Die Versorgung mit Halbleitern hat sich in den vergangenen zwölf Monaten erheblich verbessert. Im Juni und Juli konnten wir unsere Fabriken seit langem wieder voll auslasten, inklusive Sonderschichten. Unsere Auftragsbücher sind weiterhin gut gefüllt. Nun bauen wir so schnell wie möglich diese hohen Bestände ab und bringen die Fahrzeuge zu den Kunden. Die Möglichkeit einer Unterversorgung mit Microchips ist nach wie vor nicht ausgeschlossen, hat aber inzwischen einen ganz anderen Stellenwert. Unser Fokus liegt momentan vor allem auf unserer kürzlich geschlossenen Kooperation mit der vietnamesischen Thanh Cong Group. Unser Partner baut derzeit ein Werk, in dem nach 2030 rund 27.000 Skoda-Fahrzeuge vom Band laufen werden. Wir arbeiten gemeinsam mit Hochdruck an den Vorbereitungen auf den SOP. Bis vor kurzem hat uns außerdem eine Unterversorgung mit Teilen von einem Sublieferanten im Bereich der Motorenfertigung in Slowenien beschäftigt. Dessen Werke haben aufgrund einer Überschwemmung erheblichen Schaden genommen und dieses Teil beziehen wir bislang im Single Sourcing von dem betroffenen Unternehmen. Inzwischen fahren wir an unseren Standorten Mladá Boleslav und Kvasiny wieder die volle Fertigungskapazität. Seit den Überflutungen waren mehr als 80 unserer Experten in Slowenien vor Ort, zuletzt haben noch 10 Fachleute bei der Wartung unterstützt.

Sind im Lichte dieser Ereignisse nicht Veränderungen an der Beschaffungsstrategie nötig?

Nachher ist man immer schlauer, heißt es doch so schön. Natürlich ist die Konzernbeschaffung dabei, all solche Themen auf den Prüfstand zu stellen –nicht erst seit der Überschwemmung in Slowenien. Das klingt allerdings einfacher, als es ist. Oftmals weiß man nicht genau, welche Unterlieferanten entlang der Tier-Ebenen existieren. Da kann es sein, dass verschiedene Zulieferer für ein Bauteil denselben Unterlieferanten haben. Aber Sie haben recht, wir schauen uns diese Themen derzeit sehr genau an.

Lassen Sie uns ein wenig weiter zurückschauen: Sie verlassen den Volkswagen-Konzern nach fast 36 Jahren, 13 davon waren Sie Produktionsvorstand von Skoda. Was hat sich denn an der Art und Weise, wie ein Fahrzeug heute gefertigt wird, in den letzten 30 Jahren verändert?

Es hat sich insbesondere die Geschwindigkeit geändert, mit der wir die Produktion heute angehen. Gleichzeitig ist die Komplexität der Fahrzeuge deutlich gestiegen. Zudem sind zwischenzeitlich die Ausstattungsvarianten regelrecht explodiert, das war stellenweise schwer zu beherrschen. Und dabei geht es weniger um Mechanisches wie den Karosseriebau, die Lackiererei oder die Montage. Komplex wird es heute auch bei der Software, inzwischen bauen wir bis zu 80 Steuergeräte in die Fahrzeuge ein, die alle miteinander kommunizieren. Das hat Anläufe zwischenzeitlich komplizierter gemacht, aber da sind wir meiner Ansicht nach auf einem sehr guten Weg. Die Digitalisierung hat in den vergangenen 30 Jahren ebenfalls zu massiven Veränderungen geführt. Wir können heute fast jedes Bauteil zurückverfolgen bis zum Hersteller, falls es nötig sein sollte. Und die digitale Transformation hat natürlich auch starken Einfluss auf die Fertigungstechnologie. Intelligente fahrerlose Transportsysteme, die nicht mehr bodengeführt sind und ihren Weg eigenständig durch die Hallen finden, gehören heute zum Alltag. Auch die flexible Automatisierung hat einen enormen Boost bekommen. Von den heutigen Automatisierungsgraden konnten wir vor 30 Jahren nur träumen.

Das waren jetzt viele Faktoren, die sich Ihnen gegenübergestellt haben. Auf welchen Hebel, den Sie selbst umlegen konnten, sind Sie denn besonders stolz?

Ich habe Bilanz gezogen nach so vielen Jahren im Konzern. Ich bin ja einer der letzten Dinosaurier, die nur einen Arbeitgeber kennen (lacht). In all den Jahren war ich vor allem immer ein großer Fan von Innovation. Die Produktion und Logistik von Skoda Auto war vor rund zehn Jahren der erste Unternehmensbereich, der einen Innovationstag veranstaltet hat. Damals haben wir den gesamten Vorstand eingeladen und unsere Ideen für die Fertigung vorgestellt. Aber wenn ich das eine oder andere Projekt rauspicken soll: Besonders stolz macht mich die Einführung unseres FORCE-Programmes. Dieses neue Produktionssystem haben wir vor vier Jahren gelauncht. Das mag zunächst nicht spektakulär klingen, Produktionssysteme sehen überall auf der Welt ähnlich aus. Das Besondere ist, dass wir das FORCE-Programm komplett inhouse bei Skoda entwickelt haben – und laufend weiterentwickeln. Es wird auch heute regelmäßig auf den Prüfstand gestellt und feinjustiert. Und es gibt noch eine Sache, auf die ich stolz bin.

Die wäre?

Die Einführung der Elektromobilität. Gegen Widerstände haben wir damals sehr für die Fertigung eines E-Modells bei Skoda gekämpft. Wir haben es geschafft, mit handfesten Argumenten nicht nur unsere ersten PHEV-Fahrzeuge, sondern auch unser erstes reinelektrisches Fahrzeug, den Enyaq, hier nach Tschechien zu holen. Ich erinnere mich aber auch gut an den Aufbau unseres Lean-Centers, an die Entwicklung unserer zentralen Pilothalle, sie ist eine der leistungsfähigsten im gesamten Konzern, oder an unser neues Logistikzentrum Ost, an dem wir gerade arbeiten. Sie sehen: Es gibt mehrere Projekte, auf die ich gern zurückschaue.

Nun sprechen wir bereits über die E-Mobilität. Was kommt im Zuge dieser Transformation auf die Produktion der Marke Skoda zu?

Die Umstellung auf die Elektromobilität verlangt uns Produktionern enorme Kraftanstrengungen ab. Unsere heutigen Automobilwerke für Modelle mit Verbrennungsmotoren und die entsprechende Fördertechnik sind in der Regel nicht auf die deutlich schwereren Einsatzgewichte der Fahrzeuge ausgelegt. Da sprechen wir bei den Karosserien aufgrund der Eigenstatik für die Batterie bald nicht mehr von 450 Kilogramm, sondern von 650 Kilogramm, daher sind erhebliche Umbauten in der Anlagentechnik notwendig. Und wenn sich dann noch Fügefolgen ändern, dann müssen wir auch die Zulieferströme anpassen. Das heißt: Es wird Stillstandsphasen geben, die überbrückt werden müssen. Nach dem Umbau muss man die Fabrik noch mit den Vorserien freifahren. Diese Herausforderung ist nicht zu unterschätzen. Aber ich bin mir sicher, dass das Team bei Skoda das schaffen wird. Es ist uns immer gelungen, aus den gegebenen Voraussetzungen das Optimale herauszuholen.

Angesichts der Herausforderungen rund um den Dreiklang aus Effizienz, Nachhaltigkeit und Digitalisierung: Lassen sich Werke im Brownfield überhaupt mit der nötigen Geschwindigkeit transformieren?

Natürlich! Das ist alles eine Frage der Zeit und des Geldes. Zeit hat man wenig, Geld hat man kaum, dann wird es richtig interessant. Mlada Boleslav II werden wir als erstes Werk auf diese Weise transformieren, bis dahin wird es aber noch einige Jahre dauern. Was das Thema Nachhaltigkeit betrifft, arbeiten wir mit unserem Partner Ško-Energo daran, die Skoda-Werke bis 2030 komplett CO2-neutral zu betreiben. Die Digitalisierung sorgt ebenfalls für Anpassungsdruck in der Produktion. Die Zunahme an Fahrzeugsoftware macht die Inbetriebnahme der Autos immer aufwändiger. Heute dauert sie etwa zwei Stunden – und das, während die Fahrzeuge durch die Montage laufen, weil Steuergeräte bis zu 20 Minuten angelernt werden müssen. Das kann nicht mehr nachgelagert passieren wie früher, sondern muss parallel geschehen. Für all diese Herausforderungen haben wir allerdings klare Pläne. Ich bin sicher, dass wir das gut meistern.

Gemeistert haben Sie auch den Umbau des Werks Kvasiny für den neuen Kodiaq. Wo mussten Sie anpacken?

Das war im Grunde ein normaler Generationswechsel, so wie wir ihn üblicherweise erleben. Wir haben unsere Werke immer so flexibel wie möglich aufgebaut. Bei uns im Konzern gilt eine Anlage als voll ausgelastet, wenn sie an fünf Tagen die Woche dreischichtig mit einem bestimmten Nutzungsgrad gefahren wird. Wir fahren meist 18 Schichten, manchmal mehr. Wir stehen oft bei rund 118 Prozent Auslastung. Das schaffen Sie nur, wenn Anlagen innerhalb kürzester Zeit flexibel umgerüstet werden können, etwa weil ein Werk vielleicht noch 20.000 Einheiten frei hat. Das bedeutet im ersten Schritt höhere Investitionen, die sich aber innerhalb weniger Monate amortisieren, wenn Kapazitäten dadurch voll ausgefahren werden können. So haben wir uns bei Skoda schon immer aufgestellt, daher war auch der Modellwechsel vom Kodiaq gut zu meistern.

Wo wir gerade bei den Werken sind: Welche Rolle spielen die einzelnen Standorte für die Innovationsfähigkeit der Skoda-Produktion?

Das Thema Innovation ist mir wie gesagt sehr wichtig, wir haben regelmäßig auch entsprechende Wettbewerbe ausgerufen. Hier kommen die Werkleiter ins Spiel. Wir haben mehrere Werke in Tschechien und richtig gute Standortleiter. Sie bringen nicht nur enormes Fachwissen mit, sondern auch einen gesunden Wettbewerbsgedanken. Wenn es darum geht, wer die besten Lösungen und Ideen im Bereich Produktion und Logistik hat, dann werden Kräfte und Energien freigesetzt, da macht es richtig Spaß, zuzuschauen. Ich bin dann eigentlich nur noch der Dirigent, die Musik kommt von ganz allein. Innovativ sein ist für mich die wichtigste Eigenschaft in der Produktion. Die Prozesse in einer Fabrik sind nie optimal, es gibt immer Verbesserungspotenzial. Und diese Möglichkeiten auszuloten, diesen täglichen Wettkampf anzunehmen, das macht mir unglaublich Spaß.

Hat sich die Rolle des Werkleiters in den vergangenen Jahren verändert?

Ich würde sagen, die Rolle des Werksleiters hat sich eher nicht verändert, aber sie war schon immer besonders wichtig. Ein Werkleiter ist ja ein wenig wie ein Außenminister. In der Regel sind wir in der jeweiligen Region der größte Arbeitgeber, da finden natürlich Termine mit politischen Vertretern statt, es werden soziale Projekte in der Region umgesetzt. Da nimmt der Werkleiter eine besonders wichtige Position ein. Aber die wichtigsten Entscheidungen für die Standorte werden weiter auf Konzernebene getroffen, in der sogenannten Werkbelegung. Da halten wir genau fest, welche Modelle über die nächsten Jahre an welchen Standorten gefertigt werden.

Zu Beginn unseres Gesprächs haben wir in den Rückspiegel geschaut, blicken wir nun nach vorn: Wo sehen Sie die Autoindustrie in fünfzehn Jahren?

Der maßgebliche Erfolgsfaktor wird die Daten- und Softwarewelt rund um das Fahrzeug sein. Natürlich muss die Hardware verlässlich sein, aber kaufentscheidend ist aus meiner Sicht die Software. Und da sehe ich eine große Herausforderung auf uns zukommen…

Welche wäre das?

China! Ich war vor wenigen Wochen zum ersten Mal seit Covid wieder in Shanghai und muss sagen: Die chinesischen OEMs haben die Zeit der Pandemie hervorragend genutzt. Die Fahrzeuge sind qualitativ auf gutem Niveau, die Software ist uns in vielen Bereichen mindestens ebenbürtig und die Autos bieten viele innovative Features. Selbst wenn 80 Prozent der neuen chinesischen Hersteller wieder von der Bildfläche verschwinden – was vermutlich nicht unrealistisch ist – fahren immer noch eine ganze Menge gute Autos aus China auf den Straßen dieser Welt. Wir nehmen diese Konkurrenz sehr ernst und den Wettbewerb selbstbewusst an. Er treibt uns an, die Transformation entschlossen weiterzuführen, uns weiter ambitionierte Ziele zu setzen und bei der Umsetzung weiter an Fahrt zu gewinnen.

Was geben Sie angesichts dieser Herausforderungen Ihrem Nachfolger mit auf den Weg?

Im Augenblick machen mein Nachfolger Andreas Dick und ich eine Rundreise an unsere Standorte, um das Produktionsnetz zu übergeben. Wir waren gerade in Pune, dann in Vietnam, später Bratislava. Ich möchte mich natürlich auch noch von den Mitarbeitenden in den Werken verabschieden. Wissen Sie, in all den Jahren im Volkswagen-Konzern habe ich viele Jobs von anderen übernommen. Und jeder sagt: ‚Wenn du Fragen hast, ruf mich jederzeit an! Ich habe nie einen meiner Vorgänger angerufen und ich gehe nicht davon aus, dass Andreas mich anruft. Jeder muss seinen eigenen Weg gehen.

Zur Person:

Dr. Michael Oeljeklaus, ŠKODA AUTO Board Member for Production and Logistics, portrait

Michael Oeljeklaus war von 2010 bis 2023 Vorstand für Produktion und Logistik der tschechischen Volkswagen-Tochter Skoda. Zuvor hatte der studierte Maschinenbauer mehrere Positionen bei Volkswagen inne, unter anderem als Technischer Vorstand bei Shanghai Volkswagen in China (2005-2010), Technischer Geschäftsführer der Volkswagen Sachsen GmbH (2002-2005) und Leiter Anläufe Fahrzeugprojekte der Marke Volkswagen (2001-2002).

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