Carl-Peter Forster, Chairman LEVC

Carl-Peter Forster, Chairman LEVC: "Unser Elektro-Taxi passt perfekt in die Zeit – das hätten wir uns so vor vier Jahren gar nicht ausmalen können." (Bild: Conny Kurz)

AUTOMOBIL PRODUKTION: Herr Forster, das Taxigeschäft war bis vor wenigen Jahren das Graubrot der Autobranche. Das hat sich durch die Megatrends E-Mobilität und autonomes Fahren drastisch geändert. Alle Experten erwarten, dass sich beide Themen zunächst über Fahrdienste in Städten durchsetzen werden. Hatte Geely das bei der Übernahme von London Taxi auf dem Radar oder ist es eher eine Story nach dem Drehbuch: zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Ich würde sagen: von allem etwas. Li Shufu, Eigentümer der Geely-Gruppe, hat sich ja bereits vor über zehn Jahren an der London Taxi Company beteiligt, weil er das Taxigeschäft interessant fand. Und ihn hat die Strahlkraft von London Taxi fasziniert. Es hat ja auch was: Das Design ist absolut ikonisch und obwohl ja über Jahrzehnte mehr oder weniger nur in London präsent, sind die Fahrzeuge weltweit bekannt. Die Ursprungsidee war zunächst, Komponenten aus China für London Taxi zu liefern, später wurde die Karosserie dann auch in China gebaut und nach Europa transportiert. Dann lief die LTI, eigentlich völlig überflüssig, in finanzielle Probleme. Da hat Li Shufu das Unternehmen komplett übernommen – weil er an die Kraft der Marke glaubte und das Potenzial, das in ihr steckt. Das war Anfang 2013.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie konkret war damals schon das Vorhaben, London Taxi zur Elektromarke umzubauen?
Klar war, dass es mit London Taxi in der bisherigen Form so nicht weitergehen würde. Just im Zeitraum der Übernahme kam von Stadt London die sehr eindeutige Bitte, dass wir uns mit einem elektrischen Taxi befassen sollen. Wir haben das als echte Chance begriffen und sind dann sehr schnell in die Projektphase eingestiegen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Die etwas über drei Jahre, die man bis zur Serienreife des TX benötigt hat, sind fast rekordverdächtig. Sie haben in Ansty Park bei Coventry ja auch noch nebenbei ein komplett neues Werk für die neue LEVC hoch gezogen ...
Wir haben uns auf die wesentlichen Fragen konzentriert. Das waren im Kern zwei. Die eine war: Wo bekommen wir in kurzer Zeit die elektrischen Komponenten her? Die zweite lautete: Wie können wir die technologische Neuausrichtung so gestalten, dass wir mit relativ geringen Investition auskommen? Schließlich ist der Taximarkt begrenzt. Für die Lösung beider Fragestellungen hat sich unsere Schwesterfirma Volvo angeboten. Volvo hatte damals den XC 90 schon fertig entwickelt, auch die Topversion als Hybrid. Das heißt, der Antrieb, die wichtigen elektrischen Komponenten waren weitestgehend serienreif. Da konnten wir also darauf zurückgreifen. Zur zweiten Frage haben wir uns im Zusammenhang mit dem Batteriethema in der Konzeptphase darauf festgelegt, dass die Batterie aus Kosten- und Gewichtsgründen nicht zu groß werden dürfte. Zudem wäre eine große Batterie auf zu lange Ladezeiten gekommen. Wir haben uns dann relativ schnell auf ein elektrisches Fahrzeug mit einem Reichweiten-Verlängerer festgelegt, wie es jetzt da steht.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Ein rein elektrisches Fahrzeug war nie ein Thema?
Nein. Schon in der Konzeptionsphase war klar, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem wir mit dem Wagen in den Markt gehen, eine ausreichend dichte Ladeinfrastruktur nicht zur Verfügung stehen würde. Nicht in London, nicht in China, und auch nicht in anderen für uns interessanten Märkten. Insofern war eine rein elektrische Lösung keine Option. Das kann in ein paar Jahren soweit sein. Wir haben sehr genau geschaut und analysiert, wie die Fahrer ihr Taxi benutzen, wie der Mix zwischen langen und kurzen Fahrten ausschaut und welche Ladezyklen mit den wirtschaftlichen Notwendigkeiten und Erwartungen am besten korrespondieren. Ich glaube, mit der jetzigen Kombination aus mittelgroßer 33 KWh-Batterie und Reichweitenverlängerer haben wir die optimale Lösung.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Was macht Sie da sicher?
Die Batterie ist mit ihrer Größe und einer elektrischen Reichweite von etwa 130 Kilometern so ausgelegt, dass ein Taxifahrer, wenn er mit einem 22 KW-Ladegrät ein- bis zweimal jeweils eine halbe Stunde lädt, den ganzen Tag rein elektrisch fahren kann. Damit trägt LEVC erheblich zur Senkung der Luftbelastung in den Städten bei und die Taxifahrer sparen. Wenn das Taxi rein elektrisch betrieben wird, spart das gegenüber dem bisherigen Taxi rund 100 Pfund die Woche. Das ist ein Batzen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Geld ist ein gutes Stichwort. Der Geely-Konzern hat sich einen Namen in der Autobauerszene als ein Unternehmen gemacht, dass es versteht, kunstvoll Synergien unter seinen Marken zu schöpfen und dass jede Marke ein Innovationsfeld neu beackert. Bei LEVC spielt Leichtbau eine ganz besondere Rolle ...
Ja. Wir schauen in der Tat sehr genau hin, wo wir Skaleneffekte erzielen können. Das müssen wir auch bei relativ überschaubaren Stückzahlen wie bei LEVC. Was Leichtbau und neue Leichtbaulösungen anbelangt: Das stand ganz oben in unserem Lastenheft. Nehmen Sie die Batterie. Eine Batterie mit 35 KWh etwa kommt auf 300 bis 400 Kilogram, was das Gewicht des Gesamtfahrzeugs schnell Richtung 2,5 Tonnen treibt, was dann wiede- rum zu Lasten der Reichweite geht. Zudem ist im Taxigeschäft Langlebigkeit ein großes Thema, was uns dazu gebracht hat, uns im Bereich Klebetechnologien verstärkt umzuschauen – und da spielen wir den Heimvorteil England aus. England ist das Land der Kleinserien, der Renntechnologie. Viele Formel 1-Teams sind hier angesiedelt, England ist immer noch sehr stark im Sportwagenbau. Marken wie Lotus oder Aston Martin haben viel Erfahrung mit Kunststoffverbundkarosserien in jeder möglichen Form. Alle Hochleistungssportwagen haben geklebte Chassis. Insofern ist die Technologie beherrschbar. Mittlerweile werden Airbus-Flügel und Leitwerke geklebt. Wir haben uns das lokale Know-how an Bord geholt. Da sind auch Leute aus der Formel 1 dabei.



AUTOMOBIL PRODUKTION: Ist es eigentlich schwierig, Entwickler, die sich mit Supersportwagen und Formel 1 befassen, zu einem „schnöden“ Taxihersteller zu holen?
Es hat sich schnell gezeigt: Die Frage ist nicht ob Taxi oder Formel 1, die Frage ist für viele Entwickler, ob ein spannendes und zukunftsfähiges Projekt hinter der Aufgabe steckt. Wir begannen mit einer Truppe von 15 Mann, die zuvor in England mit öffentlichen Geldern Prototypen eines elektrischen Stadtlieferwagens entwickelt hatten. Die Prototypen waren erstaunlich reif und gut durchkonstruiert. Auf die Truppe bin ich gestoßen. Und die wiederum suchten jemanden, mit dem sie ihre Technik weiterentwickeln konnten. Und da habe ich gesagt: Das passt ja wunderbar. Ihr habt da schon Erfahrung und wir ein konkretes Projekt. So ist das entstanden. Nun haben wir ein Fahrzeug, dessen Karosseriestruktur zu 100 Prozent geklebt ist. Wenn man das Gesamtpaket anschaut, kann man glaube ich schon sagen: Wir sind zwar eine alte Firma, aber doch ein Startup.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Sie wollen LEVC deutlich über das Taxigeschäft hinaus entwickeln. Wie liegen Sie im Fahrplan?
Gut. Unser erster Stadtlieferwagen kommt Ende 2019 in den Markt. Wir haben bei der Erstellung des Businessplans schnell gesehen, dass es aufgrund der beschränkten Volumina nicht sinnvoll ist, sich nur auf den Taxibereich zu stützten. Deshalb sind wir früh in die Entwicklung des LCV eingestiegen. Der Wagen hat etwa eine Tonne Nutzlast und ist so aufgebaut, dass wir die Bodengruppe des TX weitgehend übernehmen können, den Antriebsstrang komplett. Produzieren werden wir entsprechend flexibel in unserem Werk in Ansty Park, Coventry, und dann auch in China, wo wir in Yiwu Ende 2019 mit der Produktion starten. Ich denke, dass wir hier ein sehr interessantes Fahrzeug für Flottenbetreiber bringen, die im innerstädtischen Bereich ausliefern, aber im Gegensatz zum Beispiel zur Post keine klar definierte Route haben und deshalb aus Flexibilitätsgründen den Reichweitenverlängerer brauchen

AUTOMOBIL PRODUKTION: Aber erst einmal kommt der TX. Wie war die Resonanz auf die Premiere in Berlin?
Sehr vielversprechend. In London sind seit Jahresbeginn mehrere hundert Fahrzeuge auf der Straße und wir haben schöne große Aufträge aus Holland und Deutschland. Deutschland ist ein spannender Markt, es gibt einen sehr starken Wettbewerb. Insofern ist das auch ein bisschen ein Testfall. Ich sehe uns dafür gut positioniert: Wir haben ein Auto, das absolut perfekt für den Taxibetrieb entwickelt wurde und ausgerüstet ist und wir haben den Elektroantrieb. Damit passen wir angesichts der Diskussion um die Luftreinhaltung in den Städten perfekt in die Zeit – das hätten wir uns so vor vier Jahren gar nicht ausmalen können.

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