Bereits im Pförtner-Häuschen wird man von der freundlichen Sächsin mit bekannt anspruchsvollem Dialekt hinter einer schützenden Glasscheibe begrüßt. Rund um den Eingangsbereich des VW-Werks Zwickau gibt es überall bunte Klebemarkierungen auf dem Boden und Hinweisschilder, einen Mindestabstand von 1,5 bis zwei Metern einzuhalten. Zwickau, im weltweiten Produktionsverbund der mehr als hundert Werke des VW-Konzerns sonst allenfalls in der zweiten Reihe, ist seit 2018 in den Fokus von internen wie externen Beobachtern gerutscht. Liefen hier bis vor einem Jahr allein Modelle wie der VW Passat oder der Golf von den traditionsreichen DDR-Bändern, so wurde die erste der beiden Fertigungslinien im vergangenen Sommer bereits aufwendig umgebaut. Seit Ende des Jahres wird in Halle fünf der elektrische Hoffnungsträger ID.3 produziert, der ab August in den internationalen Verkauf gehen soll.

Dabei soll es nicht bleiben, denn neben den Rohkarossen der Nobelmodelle Lamborghini Urus sowie Bentley Bentayga, die in einem anderen Bereich des Geländes gefertigt und danach ins britische Crewe sowie ins italienische Sant‘ Agata zur Montage exportiert werden, läuft noch in diesem Jahr in Halle sechs die zweite Fertigungslinie für Verbrenner aus. Der dort für den europäischen Markt produzierte Golf Variant macht ebenso Platz für Fahrzeuge des modularen Elektrobaukastens. Neben dem Elektro-Doppelpack aus VW ID.3 / ID.4 können auch andere MEB-Modelle von Seat, Skoda oder Audi in Zwickau vom Band laufen. Doch wie allen anderen Autowerken auf der Welt macht der Fertigung in Sachsen derzeit die Corona Krise mächtig zu schaffen.

"Unsere Fertigung läuft gerade im 5,9er-Takt", erläutert Holger Hollmann, der für die Montagehalle des ID.3 verantwortlich ist, "langsamer können wir gar nicht arbeiten. Wir wollten die Taktzeit des ID.3 gerade von 1,8 auf 1,5 Minuten reduzieren, als Corona über uns kam." Seither lief in Zwickau erst einmal gar nichts und jetzt gibt seit kurzem ein Notbetrieb den Arbeitsrhythmus vor. Das heißt: mehr Abstand, andere Prozesse, nur noch zwei geänderte Schichten und ein maximal langsamer Takt. Die Coronakrise trifft die Autoindustrie nicht nur in der Fertigung hart; doch gerade im Werk Zwickau mit seinen 8.000 Beschäftigten gibt es eine besondere Drucksituation. Das Werk ist das erste, das von einem reinen Verbrennerwerk zu einer kompletten Elektrofertigung umgewandelt wird. Seit zwei Jahren wurden und werden Mitarbeiter aller Bereiche auf den Umstieg vorbereitet. Einst waren in Zwickau Trabbis gefertigt worden und zuletzt war die Produktion eine wichtige Ergänzungslokalität für die Kernmodelle Passat und Golf.

Blick nach vorn

Jetzt soll Zwickau nicht weniger als ein neues Zeitalter für den Konzern und insbesondere für deren Basismarke Volkswagen einläuten. Dass das unter den Rahmenbedingungen der anhaltenden Coronakrise nicht einfach ist, wird nicht zuletzt in der Kantine im Obergeschoss deutlich. Hier darf nur noch ein Bruchteil der normalen Belegschaft ihr Essen zeitgleich fassen. Muntere Gespräche und Frotzeleien zwischen Kollegen sind schwerer denn je. Die Tische sind maximal auseinandergezogen und zwischen den einzelnen Sitzplätzen gibt es mindestens 1,5 Meter Abstand. Noch schwieriger ist für viele, dass man sich nicht mehr gegenübersitzen darf, sondern nur noch eine Blickrichtung hat, um über Fußball, die Familie oder eben Corona zu plaudern.

In der Fertigungshalle fünf ist ebenfalls nichts wie immer. Zwar wird einem nicht wie am Eingang der Kantine von einem Mitarbeiter mit Mundschutz und Hygieneschürze sowie Handschuhen das Tablett einzeln gegeben, aber die Abstandsregelungen gelten natürlich auch hier. Wer sich wie zum Beispiel bei der Montage von Scheinwerfern oder Innenräumen nahe kommt, muss mit einem Mundschutz arbeiten und das ist während der stundenlangen Schicht alles andere als eine Freude. Immerhin erlaubt der langsame Takt eine Verlegung einiger Arbeiten an andere Stationen und somit können sich die Werker am Band zumindest etwas besser aus dem Weg gehen.

Probelauf für die halbe Welt

Anders sieht es im Karosseriebau aus, denn hier wird kaum noch händisch gearbeitet. Die wenigen Arbeiter müssen keinen Mundschutz tragen, denn der Abstand ist groß genug. Durch die neuen Fertigungsanlagen, die für den elektrischen VW ID.3 montiert wurden, ist die Zahl der Mitarbeiter am Standort generell gleichgeblieben. Im Karosseriebau selbst sind jedoch weniger Leute tätig, da gerade anstrengende Arbeiten wie das Auf- und Abladen von Seitenteilen mittlerweile automatisiert vonstatten geht und die Automatisierung von 85 auf rund 90 Prozent angehoben werden konnte. "Arbeiteten auf dieser Fertigungslinie mit ihren etwa 150 Metern Länge bis letztes Jahr noch 27 Personen, so sind es nunmehr durch die neuen Maschinen nur noch neun", erläutert Koordinator Markus Becker. "Dafür konnten wir die Personen nunmehr an anderer Stelle mit anspruchsvollerer Arbeit einsetzen."

Die Erwartungen an das Werk in Zwickau, das einen Produktionsverbund mit den Standorten in Chemnitz und Dresden als Volkswagen Sachsen bildet, sind höher denn je. Produzierte man im Jahr 2017 dort insgesamt 303.000 Fahrzeuge, so will man diese Zahl nach der Komplett-Transformation in eine Elektrofertigung bis 2022 noch übertreffen. Die beiden Fertigungslinien sollen ab nächstem Jahr 1.500 Fahrzeuge am Tag produzieren; vorrangig die beiden Elektromodelle VW ID.3 und ID.4. Entsprechend häufig kommen Verantwortliche von anderen Volkswagen-Standorten aus aller Welt, um sich die neue Elektrofertigung im Süden von Sachsen anzuschauen und wertvolle Anregungen für andere Anlagen in Chattanooga / USA, Mlada Boleslav / Tschechien oder Fusan / China mitzunehmen. Selbst die aktuell noch benötigten Trainingsräume gehen Ende des Jahres auf die Reise nach Tennessee zur Schulung der dortigen Mitarbeiter.

Doch erst einmal heißt es, die Coronakrise hinter sich zu bringen, denn die rund 70 Fahrzeuge, die nach Aussage von Holger Hollmann derzeit pro Schicht im Notmodus vom Band tröpfeln, reichen nicht aus, um den Bestand der Fahrzeuge entsprechend der 37.000 Vorbestellungen zu füllen. Im Normalfall müsste allein die erste Produktionslinie im Halle fünf knapp 280 Fahrzeuge pro Schicht bringen. Doch keiner weiß, wie lange der Notmodus noch anhaltenden muss. So muss auch das Cockpit in den VW ID.3, an sich der ganze Stolz der neuen Fertigung, aktuell von zwei Personen manuell eingesetzt werden. An sich würde diese Arbeit erstmals vollautomatisiert ein Roboterarm von ABB erledigen. "Doch Fertigung und Montage erledigt eine Firma aus Spanien und die Experten durften durch Corona bisher nicht anreisen", grummelt Holger Hollmann, "ich hoffe, dass sie nächste Woche wieder kommen können, damit es weiter geht."

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