Das Vietnam-Abenteuer von Michael Lohscheller ist beendet. Mitte November stand der 53-Jährige bei der Los Angeles Autoshow noch auf der Bühne des Vinfast-Messestandes, Ende des Jahres verkündete der vietnamesische Autohersteller dann seinen Abschied. Nach nur vier Monaten im Amt kehrt der ehemalige Opel-Chef nun „aus persönlichen Gründen“ nach Europa zurück. Zu sehr hatte der Kontakt zur Familie unter den Pandemiebedingungen gelitten, erfährt die dpa aus dem Umfeld des Managers.
Der Abschied Lohschellers ist ein Paukenschlag. Schließlich sollte er den erst 2017 gegründeten Autohersteller als elektrische Premiummarke aus dem Heimatmarkt in die große, weite Autowelt führen. Über fehlende Finanzmittel kann sich das Unternehmen jedenfalls nicht beklagen. Als Mitglied der Vingroup, an welcher der Milliardär Pham Nhat Vuong größter Anteilseigner ist, stehen immerhin 5,4 Milliarden US-Dollar zur Verfügung.
Setzt Vinfast auf eine Übergangslösung?
Am Erfolg des Newcomers hat Lohscheller deshalb keinen Zweifel. „Vinfast ist auf dem Weg, eine erfolgreiche globale Marke für Elektrofahrzeuge zu werden“, verkündet er zum Abschied. „Danke, Vinfast! Danke, Vingroup! Danke, Vietnam!“ Indes wird Le Thi Thu Thuy fortan die Führung übernehmen – zusätzlich zu ihrer Funktion als stellvertretende Vorstandschefin der Vingroup. Sie werde die Aktivitäten in den aktuellen Märkten direkt beaufsichtigen sowie Marktforschung und künftige Expansionen leiten, berichtet der OEM aus Hanoi.
Obwohl der Autobauer die 47-Jährige nicht als Interimslösung benennt, liegt die Suche nach einem Nachfolger mit Erfahrung im Automobilsektor nahe. Lohscheller wurde im September schließlich als erfahrener Langstreckenläufer verpflichtet. Sein plötzlicher Abgang gerät zur Hürde für die ambitionierten Expansionspläne. So war Thuy zwar in diversen Führungspositionen bei Lehman Brothers, als CFO der Vingroup sowie später als deren CEO tätig, neben Lohscheller und dem ehemaligen GM-Manager James DeLuca, der seinerzeit den Aufbau der Marke Vinfast verantwortete, fällt die Finanzexpertin als Global CEO jedoch merklich aus der Reihe.
Vinfast kommt Ende 2022 nach Europa
Einst fertigten die Vietnamesen lediglich Motorroller für den Heimatmarkt. Unter der Führung ehemaliger GM-Verantwortlicher kamen 2018 die beiden Modelle Vinfast Lux A 2.0 und Lux SA 2.0 hinzu – beides Lizenzbauten der ausgelaufenen BMW-Modelle 5er und X5. Zudem wird mittlerweile der Fadil gefertigt, welcher technisch auf dem Opel Karl Rocks basiert. Künftig kommen die Elektro-Crossover VF e35 und VF e36 hinzu, die in der oberen Mittelklasse sowie der Oberliga angesiedelt sind. Im Rahmen der CES 2022 wurden sie zu VF 8 und VF 9 umbenannt und durch die Modelle VF 5, VF 6 und VF 7 aus dem A-, B- und C-Segment ergänzt. Ein "e" im Namen ist bei einer reinen Elektromarke schließlich überflüssig,
Der derzeitige Verkaufsanteil von acht Prozent in Vietnam soll in diesem Sinne nur den Anfang markieren: Vinfast will sich weltweit als neue Elektromarke positionieren. Entsprechend selbstbewusst sehen die beiden Elektro-SUV VF 8 und 9 mit der Unterstützung von Pininfarina aus. „Wir planen, im vierten Quartal 2022 nach Europa zu kommen“, verkündete Lohscheller, „zunächst nach Deutschland, Frankreich und die Niederlande. Danach folgen andere europäische Staaten.“ Darüber hinaus erwägt Vinfast, auch mit seinen Rollern nach Europa zu expandieren. Sie würden für zusätzlichen Absatz sorgen und die Marke schneller bekannt machen.
Ohne Gewerkschaften geht alles schneller
Aktuell kommen alle Fahrzeuge aus dem noch jungen Automobilwerk im Dinh Vu Industrial Park in Hai Phong, wo innerhalb kürzester Zeit eine hochautomatisierte Produktion aufgebaut wurde. „6.000 Leute bauen eine Fabrik auf einer Fläche von 135 Hektar in 15 Monaten, in der pro Jahr 250.000 Fahrzeuge produziert werden können. Die Entscheidungen werden einfach viel schneller getroffen“, resümierte Lohscheller während seiner Zeit bei Vinfast.
„In Vietnam geht ohne Gewerkschaften alles viel schneller. Ein neues Auto entsteht hier in 18 und nicht 48 Monaten, die Leute arbeiten sechs Tage in der Woche und leben nahe der Fabrik“, erzählte Lohscheller damals von seinen ersten Monaten in Südostasien. Inwieweit sich dieses Tempo bei Bauvorhaben in westlichen Gefilden halten lässt, bleibt folglich abzuwarten. Jedenfalls sei eine eigene Fertigung in den USA geplant, berichtete Lohscheller Ende des vergangenen Jahres. Bezüglich der genauen Lokalität hielt er sich jedoch bedeckt.
Kurz nach der Amtsübernahme zieht die neue Vinfast-Chefin Le Thi Thu Thuy nach: Gesucht sei ein Produktionsstandort in Deutschland. Besonders seit Corona sei die Zeit vorbei, Autos rund um die Welt zu transportieren, erklärt Thuy. Man müsse nah am Markt produzieren, um die Kunden zu überzeugen. Ein Produktionsstandort in der größten europäischen Volkswirtschaft würde einen Meilenstein der Unternehmensstrategie markieren. Zu Größe, Kriterien oder Zeitrahmen der Investition wurde nichts mitgeteilt.
Vinfast steigt in Batterieproduktion ein
Um in den USA eine Chance zu haben und so schnell als möglich zu einer Elektromarke zu werden, haben Vinfast und LG Chem bereits vor längerer Zeit ein gemeinsames Akkuunternehmen mit Namen VLBP gegründet. Ziel des neuen Unternehmens ist es, in Vietnam Lithium-Ionen-Akkupakete für die eigenen Elektromodelle herzustellen. Vinfast ist für den Betrieb der Produktionslinie und die Lagerung der Lithium-Ionen-Akkus verantwortlich, während der koreanische Zulieferer die nötige technische Unterstützung leistet und das Facility-Management überwacht. Für das nötige Technologieniveau sorgen zahlreiche Zulieferer aus Deutschland und Europa.
Neben der Technologie und dem gefälligen Pininfarina-Design wird die Marktpräsenz über Erfolg und Misserfolg entscheiden. In Europa will Vinfast auf ein Netz von Autohändlern verzichten. „Es wird in den großen Städten zentrale Flagship Stores geben, in denen die Kunden die Fahrzeuge erleben können“, erläuterte Lohscheller damals die Strategie. „Das Fahrzeug wird nach Hause geliefert. Zum Service kommen unsere Techniker zu den Kunden nach Hause und versuchen das Problem dort zu lösen.“ Sei dies nicht möglich, überlassen sie ein Ersatzfahrzeug.