Marc Winterhoff, Interim CEO Lucid

„Wir fokussieren den Premiumbereich“

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Marc Winterhoff, Interim CEO von Lucid
"Fokussieren den Premiumbereich und wollen später mit der Midsize-Plattform selbstverständlich auch in einen Bereich größerer Stückzahlen vordringen", sagt Marc Winterhoff.

Der US-amerikanische Elektroautohersteller Lucid lanciert nach der Limousine Air nun das SUV Gravity. Im Interview verrät Interim CEO Marc Winterhoff, welche Märkte man erobern will und was das Unternehmen sonst noch im Köcher hat.

Marc Winterhoff ist Interim Chief Executive Officer beim US-amerikanischen Elektroautohersteller Lucid. In dieser Position überwacht er die Strategie und den Geschäftsverlauf des jungen Unternehmens und arbeitet mit dem leitenden technischen Team zusammen, um alle Produkt-, Technik- und Designinitiativen zu managen. Im Interview erläutert er die Strategie von Lucid und wie das neue Modell Gravity sowie weitere künftige Modelle den Absatz steigern sollen.

Herr Winterhoff, 2024 produzierte Lucid gut 9.000 Fahrzeuge, für das laufende Jahr ist ein Produktionsumfang von 20.000 Einheiten geplant, langfristig wollen Sie sechsstellig werden. Sind Sie auf Kurs?

Mit unserem neuen Modell Gravity fahren wir einen kräftigen Ramp-up, insbesondere mit Blick auf das Quartal vier. Bereits im Q3 sind wir deutlich besser unterwegs als noch in den ersten beiden Quartalen des Jahres. Im Q3 bauen wir mehr Gravity als im gesamten ersten Halbjahr. Das zeigt: Es geht aufwärts. Im ersten Halbjahr galt es zudem einige Themen, einige Supplier Issues, zu umschiffen oder zu lösen, etwa das Thema Magnete. Diese Themen sind inzwischen größtenteils geregelt. Zudem haben wir unsere Produktionsplanung so umgestellt, dass wir unsere Ziele auch schaffen können. Der Plan beinhaltet eine Range von 18.000 bis 20.000 Fahrzeugen. Natürlich geschehen im Automobilsektor nahezu täglich Dinge, für die man rasch Lösungen finden muss. Aber diesen Themen können wir flexibel begegnen.

Das Oberklasse-SUV Gravity soll für Furore und frischen Wind beim Absatz sorgen. Technisch begeistert es mit einem 926-Volt-Bordnetz, hoher Leistung, viel Luxus und zielt auf etablierte Konkurrenz vor allem aus Europa und den USA. Welche Erwartungen haben Sie an dieses sowie weitere Fahrzeuge aus Ihrem Hause?

Mit unserem Gravity zielen wir in die Oberklasse und starten hier in Europa, in Deutschland, mit einem Preis von 116.000 Euro. In Kürze werden wir das Touringmodell lancieren, für das wir knapp unter 100.000 Euro abrufen wollen. Natürlich haben wir die Märkte untersucht und sehen, dass der adressierbare Markt für den Gravity, der ja ein geräumiger siebensitziger SUV ist, größer ist als jener für unsere Limousine Air. Mit dem Gravity erhoffen wir uns einen Sprung zu schaffen. Größere Volumina wollen wir letztlich mit dem erreichen, was wir Midsize-Plattform nennen, mit Modellen und Plattformen, die erst noch kommen. Wir haben derzeit keine Illusion, plötzlich hunderttausende Gravity zu verkaufen.

Macht Sie diese Strategie nicht auch unabhängig vom Hype um chinesische Hersteller und deren günstige Autos?

Ganz richtig. Natürlich gibt es auch bei den chinesischen OEMs Produkte, die sich bei höheren Einstiegspreisen bewegen. Wir sehen uns aber auf einem anderen Niveau. Bei dem, was wir derzeit rund um China beobachten, handelt es sich schlicht um ruinösen Wettbewerb, um ein Spiel, das man nicht gewinnen kann. Daher sind wir als Hersteller auch nicht in China präsent. Die Preise, die dort aufgerufen werden, sind zum einen hoch subventioniert und zum anderen gibt es starke Überkapazitäten. In diesem Umfeld verdient niemand Geld. Wir fokussieren den Premiumbereich und wollen später mit der Midsize-Plattform selbstverständlich auch in einen Bereich größerer Stückzahlen vordringen. Schauen Sie sich etwa das Model Y von Tesla an, das noch vor einem Jahr recht erfolgreich Stückzahlen geschrieben hat. In der Zwischenzeit kamen bekanntermaßen andere Themen auf, aufgrund derer sich der Markt für dieses Modell in Europa schlechter entwickelt hat. Wir gehen davon aus, dass wir höhere Stückzahl hinbekommen.

Bleiben wir bei Ihrem Star der IAA, dem Gravity. Welche weiteren technischen Highlights wird der insbesondere mit Blick auf die Themen ADAS und Software-Defined Vehicles bieten?

Unsere Modelle Gravity und Air sind beide Fahrzeuge, die sich weiterentwickeln. Vorbei sind die Zeiten, in denen Automobile relativ schnell alterten und schlicht nicht mehr up to date waren. Dadurch, dass wir nahezu alles im Fahrzeug updaten können, entwickeln sich die Fahrzeuge beständig weiter. Wir werden teilweise alle paar Monate oder sogar alle paar Wochen Updates rausschicken. Etwa mit Blick auf ADAS-Funktionen wie das Spur- oder Abstandhalten. In einem nächsten Schritt sollen diese Funktionen nicht nur auf dem Highway funktionieren, sondern auch innerorts, auf den Nebenstraßen. Dies noch innerhalb dieser Fahrzeuggeneration.

SAE Level 3 werden Sie im Gravity aber nicht anbieten?

Wir sprechen dabei noch von Level 2 + oder 2 ++, wenn Sie so wollen. Die Augen des Fahrers müssen also noch auf die Fahrbahn gerichtet bleiben. Hands-free denken wir also bereits durchaus innerhalb der jetzigen Gravity-Generation an. Echten Level 3, bei dem der Fahrer dann seine Aufmerksamkeit vom Verkehrsgeschehen abwenden kann, ist in der aktuellen Gravity-Generation jedoch nicht angedacht.

Ein größeres Marktvolumen wollen Sie im angesprochenen mittleren Segment erobern. Die Rede ist von Einstiegspreisen um 50.000 US-Dollar. Ein kleinerer Bruder des Gravity soll zu diesem Startpreis 2027 folgen.

So viel sei verraten: Auf Basis unserer Midsize-Plattform planen wir drei Varianten, von denen zwei in einem zeitlich kurzen Abstand kommen werden. Eine dritte Variante könnte mit etwa anderthalb Jahren Abstand folgen. Freilich kann ich so früh noch nichts Näheres zu den Fahrzeugen sagen. Eine konkretere Ankündigung planen wir fürs kommende Jahr.

Air und Gravity rollen in Ihrem Werk in Arizona vom Band. Mehr Modelle könnten in einer Fertigungsstätte in King Abdullah Economic City in Saudi-Arabien entstehen. Was können Sie zu diesem Werk berichten? Welche technischen Highlights zünden Sie mit Blick auf die Produktion etwa in Form von Digitalisierung und KI?

In Saudi-Arabien bauen wir schon heute den Air und auch den Gravity in SKD-Produktion. Kits werden dort zusammengestellt und an unsere Vertriebsstätten weitergereicht. Allerdings haben wir keinen Plan, den Air und den Gravity vollständig in Saudi-Arabien zu bauen. Eine vollständige Fertigung werden wir dort in Form unserer Midsize-Plattform umsetzen. Richtig ist, dass wir jetzt wesentlich mehr automatisieren und mehr Intelligenz in die Fertigung reinbringen. Man kann sagen, dass wir zuvor eher traditionell unterwegs waren.

In vieler Munde ist derzeit Megacasting, das Fertigen ganzer Karosserieteile im Druckgussverfahren in einem Schuss. Volvo und der von Ihnen genannte US-Wett-bewerber Tesla setzen dies bereits um. Ist dies auch für Sie ein Thema?

Auch wir setzen Druckguss um, aber nicht in dieser extremen Form. Neben manchen Vorteilen gilt es eben auch auf die Nachteile zu achten. Ein Fahrzeug benötigt unterschiedliche Strukturstärken in den einzelnen Elementen, gerade im Crashbereich. Kommt es zu einem Unfall und ist der entsprechende Bereich beschädigt, kann es so komplex werden, dass eine Reparatur kaum wirtschaftlich ist. Wir haben uns das Thema daher genau angeschaut, setzen aber nicht auf diese riesigen Castings. Unsere Aufmerksamkeit legen wir darauf, generell die Teilezahl runterzubringen und damit auch die Komplexität zu reduzieren, wo es uns sinnvoll erscheint. Bei der Teilezahl unserer Midsize-Plattform der ersten Variante liegen wir im Übrigen unter der des aktuellen Model Y.

Fahrdienstvermittler Uber will mit dem Gravity und der Autonomie-Technologie von Nuro künftig den Markt beflügeln. Wie sehr wiederum beflügelt diese Partnerschaft die Geschäfte von Lucid?

Wir reden hier über einen Markt, in dem wir vorher eigentlich nicht stattgefunden haben. Dabei dreht es sich um 20.000 Fahrzeuge, die sind für uns ein echter Start. Die Partnerschaft mit Uber ist für uns eine veritable Validierung, eine Auszeichnung, wenn einer der Marktführer auf dem Gebiet der Fahrdienste sich für eine Plattform wie die unsere entscheidet. Freilich sind auch zahlreiche andere Spieler mit im Boot, denn der Markt ist weit größer als die genannten 20.000 Autos. Im Bereich der Robotaxis wird es in Zukunft indes noch mehr Themen für uns geben, etwa, wenn Partner einen qualifizierten Elektroantrieb benötigen, denn nicht jeder wird alles selbst machen können. Und zu den Themen Software, zur AI im Fahrzeug, führen wir obendrein eine ganze Reihe spannender Gespräche mit Partnern.

Lucid sieht sich außer als Automobilhersteller auch als moderner Tech-Konzern. Welche weiteren Themen, Geschäftsideen oder gar Joint Ventures planen Sie?

In der Vergangenheit lag der Fokus darauf, unsere EV-Technik zu optimieren und darauf Marktführerschaft zu erlangen. Die Wahrnehmung im Markt, dass wir Leading Edge sind, haben wir, glaube ich, geschafft. Jetzt gehen wir stärker hinein in die Themen Autonomous Driving und ADAS. Zwar haben wir unsere Autos daraufhin ausgelegt, aber nicht so sehr in Software investiert, wie wir dies jetzt tun. Daher kommen diese neuen Partnerschaften, wie mit Uber und Nuro. Im Bereich der Robotaxis wird es in Zukunft noch mehr Themen für uns geben. Es gibt zudem Partner, die einen qualifizierten Elektroantrieb benötigen, denn nicht jeder wird alles selber entwickeln können. Jeder hat den Euro oder Dollar nur einmal. Und zu den Themen Software, zur AI im Fahrzeug und User Interface führen wir derzeit obendrein eine ganze Reihe spannender Gespräche mit Partnern.

Zur Person:

Marc Winterhoff, Interim CEO Lucid

Marc Winterhoff ist Interim CEO bei Lucid. Als solcher behält er auch seine Verantwortlichkeiten aus seiner vorherigen Rolle als Chief Operating Officer bei, einschließlich der Steigerung der operativen Effizienz, der Beschleunigung der internationalen Expansion von Lucid, der Verbesserung der Go-to-Market-Strategie des Unternehmens und der Leitung der Produktionsabläufe. Bevor er zu Lucid kam, war er Partner bei Roland Berger, wo er sich auf die operative Führung großer Automobilhersteller, das Management von Produktion und Kosteneffizienz, die Einführung von Vertriebs-, Service- und neuen Mobilitätskonzepten sowie langfristige Strategien für Automobilmarken konzentrierte. Winterhoff hat einen Master-Abschluss in Elektrotechnik und Elektronik und Management der Technischen Universität Darmstadt.