Der Lucid Air Pure von hinten.

Die Einstiegsversion des Lucid Air Pure ist in Europa für unter 90.000 Euro zu bekommen. (Bild: Lucid)

Wer der Konzernzentrale von Lucid am Gateway Boulevard im kalifornischen Newark einen Besuch abstattet, erlebt ein typisches Startup im Silicon Valley. Es geht ebenso lässig wie international zu. Bunte T-Shirts, wilde Basecaps, ausgetretene Sneaker und gute Laune - modern innen wie außen und in den Labors wird auch am späten Abend noch munter gewerkelt. Lucid war einer der großen Stars der neuen Autoszene, die vor rund zehn Jahren auf die Welt rollte. Ebenso wie Rivian, Faraday Future, Fisker oder Byton wollte der Tech-Konzern mit kaum mehr als 300 Mitarbeitern zu einem zweiten Tesla werden.

Doch es kam für die meisten Startups ganz anders und auch Lucid blickt auf schwere Jahre zurück. „Wir mussten in den drei Jahren von 2018 bis 2021 einiges bewältigen“, erzählt Chefentwickler Eric Bach, der ebenso wie viele andere von Tesla zu Lucid gekommen ist, „die Leute sind uns weggelaufen, weil andere ihnen auf dem Markt so viel bezahlt haben. Wir haben fast alles in die Technik gesteckt und davon profitieren wir heute.“

Mit saudischem Geld zum Erfolg?

Mit exzellentem Personal und voller Enthusiasmus gestartet, kam erst die Konkurrenz, die viele Mitarbeiter abwarb, dann folgten Covid, Halbleiterkrise und Geldsorgen. Das innovative Erstlingswerk Lucid Air als extravagante Alternative zu Mercedes S-Klasse, BMW 7er und Audi A8 gedacht, war plötzlich in die Jahre gekommen und die stattlichen Einstiegspreise von über 150.000 US-Dollar schreckten Kunden mehr ab, als dass Design und Technologie begeistern konnten.

Mittlerweile ist trotz mächtiger Verluste in 2024 und dem Austausch von CEO Peter Rawlinson beim Startup aus Newark im Silicon Valley etwas Ruhe eingekehrt und der Hauptinvestor, ein Staatsfond aus Saudi-Arabien, glaubt mehr denn je an den Erfolg der etwas anderen Luxusmarke. Vieles entscheidet dabei der neue Oberklasse-SUV Lucid Gravity, der sich gegen so etablierte Wettbewerber wie BMW X7, Cadillac Escalade iQ, Rivian R1S oder Mercedes EQS SUV durchsetzen soll.

Marc Winterhoff, der die Rolle des CEO erst Ende Februar von Peter Rawlinson übernommen hat, räumt ein, dass man Fehler gemacht habe und einiges in der Außendarstellung ändern muss. Gerade bei der Bekanntheit hapert es mächtig und auch das stattliche Preisniveau der Modelle hielt viele Kundentüren verschlossen. Entsprechend groß ist der Druck auf den neuen Gravity, der neben dem leistungsfähigen 926-Volt-Bordnetz, 123-kWh-Akku und Ladegeschwindigkeiten von 400 kW eben auch mit seinem Design die Konkurrenz aus Europa und den USA angreifen soll. Der chinesische Markt, gerade für die Premium- und Luxusmarken aus Europa elementar für den wirtschaftlichen Erfolg, spielt für Lucid zunächst keinerlei Rolle. Neben USA, Kanada, dem Nahen Osten und Staaten wie Deutschland, den Niederlanden oder der Schweiz sind nur zaghafte Expansionen in Europa und später Asien geplant. China bleibt außen vor.

Fabriken in Arizona und Saudi-Arabien

Lucid kann es kaum erwarten, dass der Gravity nun in Nordamerika startet und dann Ende des Jahres auch nach Europa kommt. Der 5,03 Meter Crossover soll einen siebensitzigen Spagat von der flüsterleisen Luxussänfte bis zum Sport-SUV schaffen und auch von der Imageschwäche des Hauptwettbewerbers Tesla profitieren. Zudem schielen Interims-CEO Marc Winterhoff und Europa-Chef Lawrence Hamilton erwartungsvoll ins Jahr 2027. Dann soll in der zweiten Fertigungsstätte in King Abdullah Economic City (Saudi Arabien) das erste von zunächst drei geplanten Mittelklasse-Modellen entstehen, das zu Preisen ab 50.000 US-Dollar große Volumen und neue Kunden bringen soll.

Aktuell werden die Fahrzeuge in Casa Grande (Arizona) produziert, während die Ideen am Stammsitz im Silicon Valley entstehen. Die zweite Fertigung in der Nähe von Dschidda produziert in einem ersten Schritt Fahrzeuge in SKD-Fertigung (Semi Knock Down), wodurch die lokalen Arbeitskräfte Schritt für Schritt an das Qualitätsniveau einer Luxusklasse herangeführt werden soll. Ab 2027 soll der kleine Bruder des Gravity dann das dritte Lucid-Modell werden. Ob es für diese Modelle bei den drei Akkuzulieferern LG, Samsung und Panasonic bleibt, wird sich zeigen, denn die besonders aufwendigen Module der Luxusliga werden in diesem Segment kaum zu finanzieren sein.

Wie schnell klappt es mit der Skalierung?

2024 wurden gerade einmal 10.000 Fahrzeuge ausgeliefert, doch mittelfristig plant Lucid mit 500.000 Fahrzeugen pro Jahr und langfristig plant man an Tesla-Volumina zu kratzen. Ebenso wie Wettbewerber Rivian will Lucid mit seinen aktuell 7.000 Mitarbeitern sein Geld nicht allein mit dem Verkauf von Fahrzeugen verdienen und sieht sich als Tech-Konzern, der ganz nebenbei auch mit CO2-Zertifikaten Millionen in die eigenen Kassen spülen will.

Das mächtige Defizit in 2024 und ein erst langsamer Hochlauf des Gravity machen ebenso Druck wie der Hauptinvestor aus dem Nahen Osten, der nach dürren Jahren Ergebnisse sehen will. Daher sind Lucid-Verantwortliche in Verhandlungen mit etablierten Autoherstellern, um Antriebe, Plattformen und Module zu vertreiben. Zumindest im kleinen Rahmen hat das mit Aston Martin bereits geklappt und das milliardenschwere Joint-Venture-Paket von Volkswagen mit Konkurrent Rivian hat auch am Lucid-Stammsitz Hoffnungen geweckt.

Von den geradezu abstrusen Preisen, mit denen Lucid 2021 international gestartet ist, hat man sich nur zum Teil verabschiedet. Zwar ist die Einstiegsversion des Lucid Air Pure in Europa für unter 90.000 Euro zu bekommen, doch auch das Kernmodell des neuen Gravity Grand Touring dürfte beim Marktstart im vierten Quartal rund 130.000 Euro kosten. Das aktuelle Topmodell des Lucid Air Sapphire mit wahnwitzigen 1.250 PS kratzt bereits an der 250.000-Euro-Marke. Deutlich nach unten werden die Preise erst mit dem Mittelklasse-Dreigestirn gehen.

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