Alexander Schulz, Geschäftsführer und COO bei Ferchau

Die Stärke des deutschen Markts sieht Ferchau-Geschäftsführer Alexander Schulz in dessen Mittelstand und stabilem Umfeld. (Bild: Ferchau GmbH)

Herr Schulz, hat sich durch die Volatilität der Märkte und aktuell durch Corona innerhalb der gewachsenen und teils engen Beziehungen zwischen EDL und Auftraggebern etwas verändert?

Der Umbruch hin zur Elektromobilität und zu alternativen Antriebskonzepten sowie der Bedarf nach einem schnelleren Wandel hin zur Digitalisierung haben bereits im vergangenen Jahr erste Zeichen für eine Veränderung im Markt gesetzt. Corona hat dies noch beschleunigt. Aufgebaute Kompetenzen in konventionellen Bereichen werden nicht mehr im bisher gewohnten Maße benötigt. Die große Aufgabe ist es nun, den Wandel hin zu Batterieprüfständen und Energiespeicherkonzepten abzubilden. Zu den Herausforderungen zählen aufgrund der Dynamik in der Digitalisierung auch die immer kürzeren Entwicklungszyklen und der Fachkräftemangel.

Wie wirkt sich der Mangel an Fachkräften aus?

Die Zahl der Bewerbungen in unserem Haus ist hoch. Diese ist aber geprägt von einer Vielzahl an Absolventen. Wir sehen auch, dass sich junge Kolleginnen und Kollegen ohne relevante Berufserfahrung eher schwertun, einen Einstieg ins Berufsleben zu finden. Dies ist im Übrigen branchenübergreifend. Um dem Mangel an Fachkräften entgegenzuwirken, fokussieren wir auf Einsatzgebiete, die für ein breiteres Spektrum von Interesse sein könnten. Ein Beispiel ist unser Batterietestfeld, das unabhängig vom Fahrzeughersteller oder dem Einsatzgebiet, betrieben wird. Ein weiteres ist unser Anfang des Jahres aufgebautes Komponenten-Testfeld, wo wir noch stärker als in der Vergangenheit Komponenten in ihrem Crashverhalten untersuchen. Hier macht der Trend zur Digitalisierung keinen Unterschied, da wir hier sowohl auf dem Gebiet der Verbrennungsmotoren wie auch in der Elektromobilität Kompetenzen benötigen

Gibt es mit Blick auf das Equipment und das Know-how Synergien zwischen der alten Verbrenner- und der neuen E-Welt?

Bei den Investitionen in die Elektromobilität haben wir eine längerfristige Perspektive: Die Bereitschaft in diesem Umfeld Investitionen zu tätigen, ist derzeit hoch. Bei Investitionen in die Verbrennertechnologie gilt es hingegen sehr genau auf die Nachhaltigkeit im Bedarf zu achten, also etwa die Themen Abgas- und PEMS-Prüfstände. Die werden nach wie vor auch in Zukunft gefragt sein. Dennoch sind sie eher Auslaufmodelle. Spannender ist der Bereich Batterietestzentrum/-Prüffeld. Ein weiteres Zukunftsthema sind Steuergeräte. Denn alle sind bestrebt, deren Zahl zu reduzieren und vom Konzept der verteilten Netzstruktur im Fahrzeug wegzukommen. Hier können wir bestehende IT- Ressourcen aus anderen Bereichen einsetzen, wie etwa aus dem Flugzeugbau und der Medizintechnik. Wir verfügen über ein Netz mit 70 Niederlassungen und hundert Standorten, zwischen denen sich sehr schnell Kompetenzen nutzen lassen. Unsere Stärke ist es, nicht im engen Sinne auf Automotive spezialisiert zu sein. Wir können verschiedene Branchen miteinander vernetzen und Ressourcen austauschen. Darin liegt auch der Reiz für unsere Mitarbeiter, bei uns nicht in einer Branche verhaftet sein zu müssen.

Welche besondere Rolle kommt Dienstleistungsunternehmen in Zeiten der Corona-Pandemie zu, um die Automobilwirtschaft zu unterstützen?

Übergreifendes Know-how und Ressourcen-Potenzial helfen uns, die OEMs bei den Megatrends Elektroantriebe, autonomes Fahren sowie Connectivity zu unterstützen und sie beim Wandel in Richtung Digitalisierung und IT zu begleiten. Ein zunehmendes Thema sind die bei allen OEMs laufenden Effizienzprogramme, die darauf zielen, bei der Entwicklung von Derivaten die Komplexität zu managen. Projekte in diesem Umfeld laufen bei uns stark in Europa. Themen, die zunehmend in Fernost stattfinden, unterstützen wir zum Beispiel in Indien mit Kooperationspartnern.

Welche Pakete sind dies?

Grob gesagt, alles, was nicht im Kerngeschäft des Fahrzeugherstellers liegt. Dazu zählt der Prüfstandsbetrieb - ein Bereich, der stark Kapazitäten bindet, die womöglich aber nicht dauerhaft benötigt werden. Beim OEM verbleiben eher Kernthemen wie die Architektur der Fahrzeuge. Sobald es in die Peripherie geht, in die Elektronikentwicklung, das Schreiben von Software und das Testen Hardware-in-the-Loop, wird eher ausgelagert.

Alexander Schulz, Geschäftsführer Ferchau
Alexander Schulz, Ferchau: "EDL, die IT-Dienstleistungen anbieten und dies womöglich auch mit Hilfe von Freelancern, kommen sehr gut durch die derzeitige Situation." (Bild: Ferchau GmbH)

Deutschland bietet eine Kultur mittelständischer Unternehmen im Bereich Automobilbau. Liegen darin Vorteile?

Die Stärke des deutschen Markts ist sein Mittelstand und das stabile Umfeld. Das Instrument der Kurzarbeit etwa hilft der Industrie, an Mitarbeitern festhalten zu können, um das Know-how auch noch nach der Krise im Unternehmen zu halten. Dies ist weder in den mir gut bekannten Märkten Frankreich, noch in Spanien und selbst in Österreich nicht so gut beziehungsweise langfristig organisiert. In Deutschland zählen zudem die geringe Fluktuation und die Möglichkeit, auch längere Projekte durchhalten zu können, zu den Stärken.

Stichwort Internationalität: Aus welchen Märkten kommen Anfragen und zu welchen Inhalten?

In Spanien und Frankreich erhalten wir zurzeit überwiegend Projektanfragen im Schienenfahrzeugbau, Automobilbau und aus dem IT-Sektor. In den anderen Ländern liegen die Schwerpunkte aktuell auf Ressourcen-Anfragen. In Indien etwa gibt es sehr große Dienstleistungs-Unternehmen, die auf der Suche nach Auslastung sind. Bereits aus der Vergangenheit kennen wir das Phänomen, dass die Bedarfe gar nicht so sehr im dortigen Markt bestehen. Vielmehr ging es darum, Projekte aufgrund der geringeren Kosten nach Indien zu verlagern. Mittlerweile nehmen wir ein Umdenken in die Richtung wahr, Projekte wieder eher in Europa zu belassen.

Um welche Inhalte geht es bei diesen zurückgeholten Projekten?

Dazu zählen Finite-Elemente-Berechnungen, das Vernetzen von Berechnungsmodellen, hinter denen sich ein großer Zeitaufwand verbirgt. Bei ihnen handelt es sich um klassische Fleißthemen, bei denen die Kosten ausschlaggebend sind. Begonnen hat dies im Bereich Luftfahrt mit der Vernetzung großer Flügelstrukturen in der FEM-Berechnung.

Welche Dienstleistungen sind derzeit bei EDL im Bereich Automotive gefragt und wie stellt sich Ferchau auf?

EDL, die IT-Dienstleistungen anbieten und dies womöglich auch mit Hilfe von Freelancern, kommen sehr gut durch die derzeitige Situation. Der Charme der IT liegt aus Dienstleisterperspektive darin, dass sie Unabhängigkeit gewährt. Denn die IT-Dienstleistung ist über zahlreiche Branchen hinweg einsetzbar und so gesehen also ein strategisch gutes Thema. Bei Ferchau selber machen IT-Dienstleistungen rund 35 Prozent des Dienstleistungsgeschäfts aus. Unser Ziel ist es, hier auf gut 50 Prozent zu kommen. IT bietet uns den Zugang zu neuen Branchen, wie etwa zu den Bereichen Pharma und Energietechnik. Mit Blick auf Automotive liegt das Besondere darin, dass das moderne Fahrzeug extrem vernetzt sein wird. Wir sehen einen starken Planungsbedarf über die gesamte Kette hinweg - vom Elektrofahrzeug selbst, bis hin zu Infrastrukturellen Fragestellungen, etwa wie Kommunen ihre Ladeangebote planen und bereitstellen müssen. Diesen gesamten Entwicklungszyklus können wir als Dienstleister mitbegleiten und Brücken bauen.

Ferchau hat neben der Fahrzeugentwicklung auch den Anlagen- und Maschinenbau im Portfolio. Wo findet derzeit mehr Bewegung statt?

Mit Blick auf die Fahrzeuge sehen wir den Bedarf in der Elektronik, in alternativen Antrieben und der IT. Wenig Nachfrage verzeichnen wir rund um Karosserie- oder Fahrwerkthemen. Im reinrassigen Maschinen- und Anlagenbau ist das Geschäft extrem rückläufig. Ein Indiz dafür ist, dass ich seit drei bis vier Jahren keine größeren Investitionen in CAD-Anlagen mehr freigegeben habe. Die reine Konstruktion an CAD-Systemen spielt nur noch eine untergeordnete Rolle, denn heute bedient man sich aus Baukastensystemen. Ein noch ungeklärtes Feld ist Industrie 4.0. Es gibt diesen Markt, aber er ist noch nicht recht greifbar. Die Vernetzung von Maschinen untereinander, die Vernetzung von Maschinen mit SAP – hier fehlt es noch an Normung und Struktur.

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