Herr Nedeljkovic, BMW verfolgt die Philosophie, Fahrzeuge aller Antriebsarten im selben Werk auf demselben Band herstellen zu können. Wie gut fahren Sie mit dieser Maxime der hohen Abtauschfähigkeit?
Flexibilität steckt in mehrfacher Hinsicht in den Genen der BMW-Produktion. Flexibilität mit Blick auf die Derivate je Fertigungsband, den Abtausch unter den Werken sowie die Arbeitszeitmodelle an den Standorten. Gerade in Zeiten von Volatilitäten ist Flexibilität ein entscheidendes Instrument, um sicher durch Krisen zu manövrieren, wie zuletzt durch Covid oder den Halbleitermangel. Beim Blick nach vorne, der bei uns ein weiteres Volumenwachstum bei den vollelektrischen Antrieben, weiterhin aber auch das Angebot von Plug-in-Hybriden und Verbrennern bedeutet, geben uns diese hohe Abtauschfähigkeit und Flexibilität in den Werken sehr wichtige Instrumente an die Hand. Unsere Mitarbeiter verfügen dazu über ausgeprägte Kompetenzen, wie man diese Philosophie als integralen Bestandteil weiterführt. Dies ist im Übrigen mit ein Grund dafür, dass all unsere Werke derzeit sehr gut ausgelastet sind.
Nehmen wir als Beispiel das Werk Dingolfing, das nicht nur das größte europäische, sondern auch das Leitwerk für die Oberklasse ist. Wie gestaltet sich dort die Integration des neuen i5?
In Dingolfing haben wir die Integration der Elektromobilität bereits vor vielen Jahren begonnen. Zunächst in Form von Plug-in-Hybriden, vor zwei Jahren kam dann der iX hinzu. Mit diesem Modell haben wir die Montage für die Produktion vollelektrischer Fahrzeuge befähigt. Im vergangenen Jahr kam dann noch der i7 hinzu. Beide Modelle haben dort also die strukturelle Vorbereitung für Elektromobilität geschaffen. Die Integration des i5 gestaltet sich daher jetzt sehr geschmeidig. Das Werk Dingolfing ist längst in der Lage alle Antriebsarten vollumfänglich darzustellen. Auch bei anderen Themen als dem Antrieb sind wir dort Nachfrage-flexibel aufgestellt. Für die vorbereitenden Aktivitäten zur Integration neuer Fahrzeuge konnten wir in den vergangenen zwei Jahren insbesondere die Werksferien nutzen.
Der Anteil der i-Modelle soll in Dingolfing bereits im Jahr 2024 auf über 40 Prozent steigen, korrekt?
Das ist richtig. Daran sehen Sie, wie schnell wir die Elektromobilität hochfahren. Im vergangenen Jahr konnten wir bei den E-Fahrzeugen im Vergleich zum Vorjahr eine Verdopplung verzeichnen. In diesem Jahr wachsen wir signifikant weiter und im nächsten Jahr soll bereits jedes fünfte Fahrzeug in der BMW Group elektrisch sein. 2025 wird es jedes vierte, 2026 dann jedes dritte Fahrzeug sein. Dingolfing wird mit drei Derivaten und einem Elektroanteil von 40 Prozent zu einem der treibenden Werke.
Wie hoch liegt bei der aktuellen weltweiten Produktion von BMW, Mini und Rolls Royce der Anteil reiner Elektroantriebe, wie hoch der für Hybride und der für reine Verbrenner?
Im vergangenen Jahr haben wir rund elf Prozent vollelektrische Fahrzeuge produziert. Wenn wir das auf die Marken runterbrechen liegen wir bei BMW bei über zehn Prozent BEV Anteil und bei Mini bei 15 Prozent. Bei Rolls-Royce läuft der vollelektrische Spectre jetzt an. Plug-in-Hybride und BEVs lagen zusammen im letzten Jahr bei knapp 20 Prozent. Und in diesem Jahr sind wir auch gut unterwegs.
Das Konzept der iFactory ist eine Art Masterplan für die weltweiten Fertigungen und zählt zur BMW-Leitprämisse „Lean.Green.Digital.“ Welche Strategien und nächsten Schritte verbergen sich hinter der iFactory?
Die iFactory beschreibt unser Zukunftsbild und ist unser Masterplan. Schwerpunkte sind Elektrifizierung, Profitabilität, Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Jedes dieser vier Felder hat eine strategische Ausrichtung. Bei der E-Mobilität geht es um Transformation und Wachstum. Die meisten Werke sind jetzt schon für voll-elektrische Fahrzeuge befähigt und fahren kontinuierlich die Produktion hoch. Parallel dazu bereiten wir uns auf die nächste Antriebsgeneration vor – wir sagen dazu Generation 6. Mit ihr beginnen wir im Werk Debrecen, dann folgen unter anderem die Standorte München, China und Mexiko. In der Digitalisierung sehen wir einen der größten Hebel mit Blick auf die Zukunft und die entsprechenden Prozesse und Abläufe sowie die Effizienzen der Werke. Automatisierung, wie man sie bislang kannte, ersetzte vereinfacht gesagt repetitive Tätigkeiten. Mit der Digitalisierung stehen wir jetzt an einem Punkt, an dem ein gewisser Anteil neue Intelligenz hinzukommt. Digitalisierung wird daher zum Befähiger der Automatisierung in neuen Feldern. Mit ihrer Hilfe können wir das gesamte Produktionsnetzwerk noch viel stärker als Verbund gestalten. Dabei sprechen wir über ein großes Netzwerk, das keine Redundanzen in sich hat. Zur Nachhaltigkeit sei gesagt: Von 2019 bis heute haben wir bereits 20 Prozent CO2-Reduktion in unserem globalen Produktionsnetzwerk erreicht. An jedem Standort erarbeiten wir dazu einen Footprint und schöpfen lokale Möglichkeiten aus, etwa die Geothermie, wo wir Potenziale beispielsweise in München, in Debrecen sowie in China haben.
Automotive Lean Production Award 2023
Die Gewinner des „Automotive Lean Production Award“ erhalten ihre Auszeichnungen am 14. und 15. November 2023, dieses Jahr bei BMW im Werk Dingolfing und der BMW Welt in München. „Der Gewinn des Automotive Lean Production Awards zeigt, dass die DNA der BMW iFACTORY in unserem Werk Dingolfing bereits erlebbar ist. Unser Masterplan für die Zukunft der Produktion heißt LEAN. GREEN. DIGITAL. Und ist das strategische Zielbild unseres weltweiten Produktionsnetzwerks. Das Herzstück der BMW iFACTORY sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen ich zu dem Gewinn des Awards herzlich gratulieren möchte. In jedem unserer Werke sind sie die Gestalter des Transformationsprozesses", sagt BMWs Produktionsvorstand Milan Nedeljković.
Alle Infos unter: https://www.automotive-lean-production.de
Als eine Art Vorzeigewerk mit Blick auf Nachhaltigkeit wird gerne das Werk in Debrecen genannt. Was sind die Besonderheiten des Werks und wie strahlt es auf andere ab?
Debrecen ist ein sehr gutes Beispiel für die Umsetzung unserer Nachhaltigkeitsstrategie. Wir setzen wir konsequent auf Technologien, die komplett auf Gas verzichten. So implementieren wir Wärmetauschkonzepte, prüfen Geothermie sowie Solar- und Windenergie, um die Versorgung mit regenerativer Energie sicherzustellen. An den bestehenden Standorten können wir auf Gas nicht kurzfristig verzichten, da wir es für das Heizen der Hallen und als Prozessgas für die Lackierereien benötigen. Hier setzen wir auf einzelne technische Lösungen, um die Energieverbräuche zu reduzieren. Zudem setzen wir auf ein cleveres Energiemanagement, mit dem wir den Verbrauch über den Tagesverlauf steuern und etwaige Spitzenverbräuche ausgleichen können.
Kommen wir nach München: Im BMW-Stammwerk herrschen auf Grund der zum Stadtzentrum nahen Lage besondere Herausforderungen. Nicht zuletzt deshalb soll das Werk in kürzester Zeit zu einer – auch optisch – besonders grünen Fabrik werden. Und hier startet ab 2026 die Neue Klasse. Wie steht es um die Fortschritte?
Ein Werk im Herzen einer Stadt ist und bleibt ein Alleinstellungsmerkmal. In den letzten Jahren haben wir unsere Projekte mit einem hohen Nachhaltigkeitsanspruch umgesetzt, zum Beispiel den Neubau der Lackiererei. Jetzt bereiten wir in München die Neue Klasse vor, was auch eine Erneuerung des Montagegebäudes mit sich bringt. Das Werk wird mit diesen Veränderungen strukturell wie auch technisch den Ansprüchen der Nachhaltigkeit gerecht. Im letzten Jahr haben wir einen Masterplan entwickelt, zu dem auch ein Architektenwettbewerb mit namhaften Architekturbüros zählt. Damit wagen wir einen Blick in die Zukunft eines urbanen Werks etwa in den Jahren 2040, 2045 oder 2050. Mit dieser Vision kann man die anstehenden Umbauten in einen Masterplan einbetten. Dazu zählt langfristig ein neues Erscheinungsbild des gesamten Werks mit Verkehrsflächen, Begrünungen und Bio-Zonen.
München war immer auch eine Art Herz und Imageträger für die „Bayerischen Motoren Werke“, weil hier viele der besonders imageträchtigen Antriebe gefertigt wurden. Wie einschneidend ist die Verlagerung der Aggregatfertigung nach Großbritannien und Steyr für die Belegschaft?
Das Werk München zeichnet sich schon immer durch eine starke Zukunftsorientierung aus. Über hundert Jahre Geschichte beweisen, dass man hier immer in der Lage war, sich stetig zu wandeln. Die Tatsache, dass wir in eine Zukunft blicken, in der Elektromobilität eine zunehmende Rolle spielt, und hier die Neue Klasse entsteht, waren derart starke Motivatoren für die Belegschaft, dass das Thema Verbrenner in den Hintergrund rückte. Wir haben für den Standort ein gemeinsam getragenes Konzept erarbeitet, das wir bereits früh und klar an die Mitarbeiter kommuniziert haben. Jede und jeden mitzunehmen ist eine wichtige Grundlage für Veränderung. Zudem bietet der Standort in hohem Maße Veränderungsoptionen und offene Stellen. Zum Beispiel das Batterie-Kompetenzzentrum oder auch die Prototypenfertigung für Zellen und Hochvoltbatterien in Parsdorf.
Mit der neuen Mini-Generation kommt der Mini Countryman jetzt nach Leipzig. Welche Vorteile versprechen Sie sich vom Ausbau des sächsischen Standorts, wo dann erstmals BMWs und Minis gemeinsam vom Band rollen?
In Leipzig produzieren wir Fahrzeuge unserer UKL-Plattform. Mit Mini kommt nun ein weiteres Derivat hinzu. Die Flexibilität des Standorts ermöglicht es, dort auch den Mini vom gleichen Band laufen zu lassen. Dadurch wird die Auslastung gesteigert und die Kapazität hochgefahren. Die Fertigung in Leipzig werden wir auf über 300.000 Einheiten auslegen. Dafür nutzen wir verstärkt die Synergien zwischen den Derivaten.
Welche Rolle bleibt dem Auftragsfertiger Nedcar in den Niederlanden, wo der Mini Countryman bislang vom Band läuft?
Bis zum Auslauf wird der Countryman dort weiterhin produziert. Dort rollt auch das Mini Cabrio bis ins nächste Jahr hinein vom Band. Diese Fertigung wird später nach Oxford umziehen. All dies beruht auf Vereinbarungen, die wir mit Nedcar schon sehr früh getroffen haben.
Wie sehr wirkt sich der Brexit auf den Warenverkehr zwischen Großbritannien und Deutschland aus?
Von Vorteil sind hier die Handelsabkommen und Vereinbarungen zwischen der EU und UK. Diese schaffen eine Grundbasis des wirtschaftlichen Handelns. Schwieriger sind nach dem Brexit jedoch die administrativen Abläufe, Zollabfertigung, steuerliche Formalitäten sowie die Abwicklung der Logistik. Das bedeutet schlicht mehr Aufwand und nimmt mehr Zeit in Anspruch. Die Spontaneität ist gebremst, ebenso der Austausch von Personal. Kurzfristige Rotationen, auch zur Weiterbildung, lassen sich nur mit einem höheren Aufwand gestalten. Mein Fazit lautet daher: Offene Märkte sind schlicht das A und O für unsere Industrie.
Welche Pläne haben Sie mit Blick auf Ihre Produktionen in China?
Anfang des Jahres konnten wir das 20-jährige Jubiläum unserer Produktion in China feiern. Dort blicken wir auf einen beständig wachsenden Produktions-Footprint. Im vergangenen Jahr haben wir die beiden Standorte in Shenyang erweitert. Das Werk, das den 5er sowie den X3 fertigt, hat zwischenzeitlich auch den X5 für die lokale Fertigung für China hinzu erhalten. Am anderen Standort, wo wir UKL- und KKL-Fahrzeuge fertigen, haben wir mit Hilfe einer neuen Struktur eine Spiegelung der Kapazitäten durchgeführt und konnten dadurch nun die Produktion des vollelektrischen i3 aufnehmen (Anm. d. Red.: das Fahrzeug entspricht dem elektrischen 3er und nicht dem i3 aus europäischer Fertigung). Mittlerweile liegen unsere Kapazitäten bei über 800.000 Einheiten. Damit sind die Weichen für weiteres Wachstum in China gestellt. Wie eingangs erwähnt, sind die Werke dort zudem auf die Neue Klasse vorbereitet.
Wie sehen die Pläne speziell für die Marke Mini in China aus?
Die Mini-Produktion in China läuft demnächst an und zwar im Rahmen eines Joint Ventures mit Great Wall und einem Werk nahe Shanghai. Mit unserem Partner werden wir dort den neuen vollelektrischen Mini Cooper fertigen und zudem ein kleines Crossover.
Um in der Produktion die Effizienz zu heben und die Kosten zu senken, steht auch bei BMW ein hoher Automatisierungsgrad auf der Agenda. Welche Schritte gehen Sie und wie und wo setzen sie in der Fertigung bereits auf Instrumente der künstlichen Intelligenz?
KI sehen wir zum einen stark im Bereich Qualität, zum anderen in der Logistik. Im Qualitätswesen ist KI in der Lage, über ihre Lernfähigkeit Fehlerbilder zu erkennen und Entscheidungen zu treffen. In der Logistik ermöglicht KI bei AGVs eigene Entscheidungen etwa beim Abbiegen auf einer Route zu treffen. Diese Fähigkeiten wachsen mit zunehmender Rechenleistung und werden immer besser. Durch die Vernetzung von Systemen werden diese in die Lage versetzt, Information untereinander auszutauschen und KI kann letztlich auch dazu genutzt werden, ganze Produktionsabschnitte zu steuern. Daraus lassen sich Entscheidungen über Ressourcen wie auch über Instandhaltungsmaßnahmen treffen. Dies sind Beispiele für Anwendungen, die wir ganz konkret in die Umsetzung bringen. Die Potenziale wachsen stetig, wie es Anwendungen wie etwa ChatGPT zeigen. Auch solche Themen bewerten wir derzeit sehr intensiv. Ein gutes Beispiel kommt aus unserem Werk Spartanburg - dort unterstützt eine Applikation unsere Instandhalter bei Fragen nach Reparaturbedarfen. Das System greift dazu auch auf Wissen von Handbüchern zurück und komprimiert dieses Wissen für den Anwender. Die Zeit, die Mitarbeiter dazu in Archiven verbringen müssten, kann man mit Hilfe derartiger Technologien deutlich reduzieren.
Wie wichtig ist mit Blick auf solche Instrumente das Thema Aus- und Weiterbildung und was zeichnet Ihr Haus auf diesem Gebiet aus?
Die Grundlage eines jeden Wandels und jeder technologischen Entwicklung sind die Mitarbeiter und deren Fachwissen. Im vergangenen Jahr haben wir über 30.000 Mitarbeiter allein rund um das Thema Elektromobilität geschult. Dies beginnt mit einfachsten Themen wie dem Umgang mit Fahrzeugen und reicht bis hin zu komplexen Ausbildungen in der Programmierung, der Steuerung, der Instandsetzung sowie der Planung von Anlagen. Die Digitalisierung spielt dabei eine zunehmende Rolle. Dabei ist ein essenzielles Ziel, dass Mitarbeiter die Potenziale der Digitalisierung kennen und für ihren eigenen Bedarf umsetzen können. Die Zeiten, als es ein vorgegebenes Konzept für den Mitarbeiter gab – ein zentrales IT-System, an das er seine Arbeitsweise adaptiert – sind vorbei. Heute setzen wir auf Streamingdienste innerhalb der Fertigung sowie auf Apps, die die Mitarbeiter teilweise auch selbst programmieren können, um sich unterstützen zu lassen. Von unseren 150.000 Mitarbeitern durchlaufen etwa 80.000 eine Art digitalen Boost, zu dem Grund- und Aufbauqualifikationen zählen. Man muss Kompetenzen aufbauen und die Scheu vor Technik reduzieren. Dadurch entsteht Wachstum und Veränderung.
Zur Person
Milan Nedeljkovic ist Mitglied des Vorstands der BMW AG, Produktion. Der gebürtige Serbe studierte von 1988 bis 1993 Maschinenbau an der RWTH Aachen sowie am Massachusetts Institute of Technology und promovierte am Lehrstuhl für Umformtechnik und Gießereiwesen der Technischen Universität München (2000 bis 2004). 1993 trat er als Trainee in die BMW Group ein und übernahm zwischen 1994 und 1999 Planungsfunktionen in den Technologien Karosseriebau und Presswerk und hatte in den Jahren 1999 bis 2005 verschiedene Führungsfunktionen in den Werken Regensburg und München inne.
Zwischen 2006 und 2010 leitete Nedeljkovic bei Mini in Oxford die Lackierte Karosserie und von 2010 bis 2013 die Montage im Werk Leipzig, wo er ab 2013 die Leitung des Standorts übernahm. Zwischen 2015 und 2018 war Nedeljkovic Werkleiter am Standort München. Vor seiner Berufung in den Vorstand 2019 war er als Leiter Unternehmensqualität aktiv.