Dass sich der Umstieg auf intelligente Fabrikkonzepte lohnt, zeigt beispielsweise Daimler. Der OEM hat Anfang September seine vernetzte, flexibel organisierte Factory 56 in Sindelfingen eröffnet. Erstmals kommt dort 5G in der Breite zum Einsatz. Nach eigenen Angaben will man im Vergleich zur bisherigen Montage der S-Klasse die Effizienz um 25 Prozent steigern. Neue Modelle mit unterschiedlichen Antrieben sollen demnach innerhalb weniger Tage in die Serienfertigung integriert werden können.
Eine aktuelle Studie des Capgemini Research Institute kommt zu dem Ergebnis, dass die Automobilindustrie ihre Investitionen in den Aufbau von Smart Factorys in den nächsten drei Jahren um mehr als 60 Prozent erhöhen will. Das Potenzial für Produktionssteigerungen in der intelligenten Fabrik sieht die Studie bei mehr als 160 Milliarden US-Dollar. Aus Sicht von Thomas Bauernhansl, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) und Professor am IFF der Universität Stuttgart, setzt sich das Konzept der Smart Factory vor allem im Bereich der fahrerlosen Transportsysteme (Autonomous Intelligent Vehicle, AIV) durch.
„Praktisch alle OEMs haben in der Endmontage angefangen, ihre Logistik komplett zu flexibilisieren. AIVs haben sich in Greenfield- und Brownfield-Aktivitäten durchgesetzt, hauptsächlich in Feldern mit großer Variantenvielfalt“, so Bauernhansl. Themen wie Matrixmontage oder Schwarmproduktion sollen dazu beitragen, die Fertigung zu flexibilisieren. Prozessmodule, die über flexible Transportsysteme verbunden sind, helfen vor allem dort, wo die Komplexität weiter steigt. „In der Praxis zeigt sich, dass die OEMs mehr Flexibilität im Produktionssystem vorbereitet haben und anfangen, das Thema schrittweise bei neuen Linien umzusetzen“, so Bauernhansl.
Zugleich sollten Unternehmen noch mehr auf eine herstellerunabhängige Orchestrierung achten, meint Jens Fath, Associated Partner und verantwortlich für IIOT Transformation und Smart Manufacturing beim Beratungshaus MHP: Gerade in den Bereichen AIV und Robotik sei eine Entkopplung von Devices und Software entscheidend, um nicht in technologische Deadlocks zu geraten. Aber auch Track and Trace beschäftigt die Branche stark: Aufträge und Material in Echtzeit lokalisieren zu können, bringt erhebliche Effizienzgewinne. Zwar haben bereits einige Hersteller angefangen, eigene Industrial-IoT-Plattformen aufzubauen. „Die Daten werden bisher vor allem für mehr Transparenz hinsichtlich der Maschinen genutzt, ihr Potenzial für eine autonome Steuerung wird allerdings noch nicht ausgeschöpft“, stellt Bauernhansl fest.
Ganzheitliche Konzepte stehen noch am Anfang
Die wohl größte Hürde, die noch genommen werden muss, damit sinnvolle ganzheitliche Konzepte der Zusammenarbeit mit Plattformen gelingen, ist das Thema Data Governance. „Beim Thema Multi-Vendor-Plattform haben viele Unternehmen Sorge, wie sie ihre Daten innerhalb der Plattform absichern können“, sagt Jens Fath. Bisher sind vor allem BMW mit der Open Manufacturing Platform und VW mit der digitalen Produktionsplattform dabei, ein zentrales System aufzubauen, das über die Unternehmensgrenzen hinausgeht.
„Die vielen involvierten Marken von VW zeigen beispielsweise, dass solche Projekte nicht an der OEM-Grenze scheitern müssen. Zugleich wird die Branche schlagkräftiger, wenn sie sich gemeinsam statt gegeneinander mit dem zukunftsweisenden Thema befasst“, sagt Fath. Es sei sogar wahrscheinlich, dass perspektivisch andere OEMs mit einsteigen könnten. „Auch die Zulieferer drängen in diese Richtung – sie wollen nicht für jeden Vendor eine eigene Plattform bedienen. Zumindest sind diese Gedanken angestoßen, denn die Größe der aktuellen Initiativen übersteigt alles, was wir in der Vergangenheit gesehen haben“, vermutet Fath.
Es gebe immer mehr neue Zusammenschlüsse, darunter Initiativen wie die Open Industry 4.0 Alliance oder auch Gaia-X. „Sie haben alle nicht den Auftrag, etwas Neues zu schaffen, sondern Kompetenzen und Lösungen zu bündeln und daraus einsetzbare Standards zu entwickeln“, meint Fath.
Zu den Smart-Factory-Trends der nächsten Jahre dürfte die Entwicklung eines Fabrikbetriebssystems gehören. Unter dem Namen FabOS sind führende Forschungsinstitute dabei, ein solches offenes Betriebssystem voranzutreiben. Das Ziel: Einzelne Komponenten in der Fabrik herstellerunabhängig und flexibel austauschen zu können und ein Ökosystem für datenbasierte Services zu schaffen. Dafür sollen Automatisierungstechnik, IT-Systeme und die technische Gebäudeausstattung einschließlich der Kommunikationstechnik (beispielsweise 5G), aber auch Cloud und Edge Computing stärker zusammenwirken.
„Entscheidend ist eine Standardisierung der Datenmodelle: Wenn jeder sein eigenes Modell wählt, funktioniert es nicht. Deshalb ist die Industrie-4.0-Verwaltungsschale als Basis für die Umsetzung in den Unternehmen so wichtig“, erklärt Thomas Bauernhansl.
Ein anderer wichtiger Aspekt der Smart Factory ist weiterhin das Thema 3D-Druck, das flexiblere Geometrien und deutlich mehr Geschwindigkeit bei der Entwicklung erlaubt. „Im Automotive-Umfeld sind Anlagen für Additive Manufacturing mittlerweile an der Tagesordnung: Der Schritt aus der Nische in die Massenfertigung ist getan“, glaubt der Fraunhofer-Experte.
Die Anbieter von 3D-Druckanlagen arbeiten mit Hochdruck daran, die gesamte Prozesskette zu industrialisieren, von der Materialbereitstellung bis hin zum Abbauen von Stützstrukturen und der Oberflächennachbehandlung. Assistenzsysteme helfen mittlerweile dabei, den Engineeringprozess stärker zu automatisieren. Einen weiteren Schub für die intelligente Fabrik werden neue Übertragungsstandards mit extrem niedrigen Latenzzeiten auslösen, die auch großen Datenmengen standhalten.
Zukunft der Fabrik liegt im Bereich 5G
„5G spielt neben Time-Sensitive Networks (TSN) eine entscheidende Rolle dabei, den Virtualisierungsgrad von Anlagen weiter auszubauen und Softwaredienste über Softwareplattformen oder Egde Devices für Maschinen nutzbar zu machen“, ist sich Bauernhansl sicher. 5G ist dabei insbesondere für mobile Anwendungen wie AIV und Robotics relevant, die in harter Echtzeit kommunizieren müssen. Perspektivisch wird es darum gehen, Steuerungen aus den Maschinen auszulagern und neue Funktionalität per Update over the Air in die Maschine zu bringen.
Von einer flächendeckenden Umsetzung der Smart Factory ist man jedoch immer noch weit entfernt. „Die Zulieferer hatten in den letzten Jahren starken Kostendruck. Sie haben bereits viele einzelne Use Cases umgesetzt, die in eine Smart Factory einzahlen, um die Effizienz zu erhöhen und Kosten zu sparen. Bei den OEMs wurden und werden vor allem neue Werke mit dem Anspruch der intelligenten Fabrik ausgestattet – vor der ganzheitlichen Transformation alter Werke scheut man jedoch aus Gründen der Komplexität oft zurück“, berichtet Fath.