Reduzieren oder substituieren
Diese Wege gehen Zulieferer beim Thema Seltene Erden
Wie lange und zu welchen Preisen kann die Automobilbranche (noch) die begehrten Rohstoffe insbesondere für die Elektromobilität beziehen?
(Bild: Adobe Stock/Roman Dziubalo)
Stabile Lieferketten und mehr Nachhaltigkeit beschäftigen die Branche insbesondere mit Blick auf Elektroantriebe. Schwere Seltene Erden kommen zumeist aus China und galten bislang auch als schwer zu ersetzen. Jüngste Entwicklungen lassen aufhorchen
Die Reduzierung des Einsatzes von Seltenen Erden in Elektromotoren ist zu einer dringenden Herausforderung geworden, wenn man es ernst meint mit den Megathemen Nachhaltigkeit und Kosten. Zunehmend im Fokus stehen besonders schwere Seltene Erden wie Dysprosium (Dy) und Terbium (Tb), - Elemente, die in elektrischen Maschinen dafür zuständig sind, die thermische Belastbarkeit zu erhöhen, was besonders für deren Dauerleistung von Bedeutung ist. Diese Materialien tragen in elektrischen Antrieben dazu bei, dass Magnete ihre Festigkeit auch bei hohen Temperaturen behalten, wodurch sie auf die Langlebigkeit der Endprodukte einzahlen. In den unterschiedlichen Magnetsorten sind schwere Seltenerdelemente (kurz: HRE, für Heavy Rare Earth Elements) als Additive enthalten. Die gerade für den Automobilbau in großen Mengen benötigten schweren Erdmetalle sind jedoch teuer. Ihre Beschaffung gilt volkstümlich ausgedrückt als eher umweltschädlich. Und sie sind an instabile Lieferketten gebunden, wie man es beim Anbieter von Komponenten für den Antriebsstrang, SEG Automotive, beschreibt. Eine Reduzierung oder gar die Substituierung der begehrten Materialien könnte daher zielführend sein.
Jenseits des Blicks auf die Frage, wie umweltverträglich Seltene Erden gewonnen werden, steht für die weltweite Autobranche die Frage im Raum, wie lange und zu welchen Preisen man (noch) an die begehrten Rohstoffe gelangt und Abhängigkeiten abbaut. Unter anderem auch deshalb, weil man im Automobilsektor beim Ringen um die Ressourcen mit ebenfalls rohstoffhungrigen Branchen wie dem Anlagen- und Werkzeugbau oder der Consumer Electronic-Industrie im Wettbewerb steht.
Die Preise für Seltene Erden haben deutlich zugelegt
All den Branchen gemein ist die derzeit alternativlos erscheinende Abhängigkeit von einem Land: China. Die zweitgrößte Industrienation hat nahezu eine Art Monopol auf die HRE und damit strategisch gesehen den Finger am Drücker. Ein weiterer Aspekt verleiht der Thematik Dringlichkeit: Die für die Industrie wichtigen Seltenen Erden haben sich nach der Verschärfung der chinesischen Exporthürden weiter stark verteuert. Wie die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) in ihrem monatlichen Rohstoffpreisindex (Stand Mai) ermittelt hat, stiegen die Preise für 17 unter dem Oberbegriff Seltene Erden zusammengefassten Metalle auf Dollarbasis insgesamt um acht Prozent. Die Volkswirte der DZ Bank gehen davon aus, dass sich die Abhängigkeit Deutschlands, der USA und anderer westlicher Staaten von chinesischen Lieferungen nicht schnell reduzieren lässt. Peking bleibe damit ein politisches Druckmittel erhalten, so die Marktexperten.
Nicht unerwähnt bleiben darf dabei, wie bei so vielen anderen Themen dieser Tage, der US-Präsident, der auch zu diesem Wirtschaftsreigen seinen Beitrag geleistet hat. Trumps Ankündigung von Strafzöllen brachte die chinesische Führung dazu, als Revanche Exportkontrollen auf sieben Seltene Erden zu verhängen. Laut vbw-Index sind die Preise für diese Metalle noch weit stärker gestiegen. So verteuerte sich demnach das gerade für E-Automobile relevante Terbium um knapp 19 Prozent, Gadolinium um knapp 17 Prozent und Samarium um über 15 Prozent. vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt konstatiert: „Mitverantwortlich für diese Entwicklung ist der Handelskonflikt zwischen den USA und China“. Mit den Exportbeschränkungen habe China im Handelsstreit mit den Vereinigten Staaten offenbar mit Erfolg sein wohl schärfstes Schwert gezogen, heißt es in der Analyse der DZ Bank. Zu dieser Einschätzung gelange man beim Blick darauf, dass die republikanische US-Regierung sich anschließend sehr viel kompromissbereiter zeigte als vorher.
Gerade die deutschen Autobauer und Zulieferer sind betroffen. „Die schnell entstandenen Engpässe und drohenden Produktionsunterbrechungen in deutschen Schlüsselindustrien sollten ein Weckruf sein, dass sich Deutschland dringend gegen vergleichbare Situationen in der Zukunft wappnen muss", schreiben die Ökonomin Monika Boven und ihr Mitarbeiter Bastian Reßing. Sie empfehlen den Aufbau einer strategischen Rohstoffreserve, Recycling und Freihandelsabkommen beziehungsweise Partnerschaften mit anderen Lieferländern. Zuvor hatte bereits auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vor wachsender Abhängigkeit von China bei kritischen Rohstoffen gewarnt.
Lösung des Dilemmas durch technische Innovation
Die Alternative im Kampf um die Rohstoffe könnte indes wie so oft in technischer Innovation liegen. Da gerade Permanentmagnet-Synchronmaschinen das Herzstück effizienter Elektroantriebe bilden, deren Leistung häufig auf HREs wie Dysprosium und Terbium basiert, ringt man bei SEG Automotive um Alternativen. „Leichte Seltenerdelemente wie Neodym (Nd) sind häufiger und stabiler verfügbar. Unser Ziel ist es daher, Motoren zu entwickeln, die HREs vollständig vermeiden können – ohne Leistungseinbußen“, erklärt Torsten Knorr, Senior Manager für elektromagnetisches und thermisches Layout sowie NVH von E-Maschinen beim Zulieferer. Knorr leitet ein Spezialistenteam in Stuttgart, das sich der Entwicklung kosteneffizienter, leistungsstarker Elektromaschinen widmet. Ihre Mission: Die Grenzen der E-Motorentechnologie zu erweitern und gleichzeitig auf Kundenbedürfnisse und globale Ressourcenbeschränkungen einzugehen.
Der Ansatz von SEG Automotive, die für ihre Starter, Generatoren und E-Maschinen bekannt ist, basiert auf einer Kombination aus innovativem mechanischem Design und fortschrittlichen Simulationsmöglichkeiten. Zum einen dem Wärmemanagement. Effiziente Ölkühlsysteme für Rotor und Stator – einschließlich ölgeführter Hohlwellen – ermöglichen es den Experten zufolge, Magneten, unter kritischen Temperaturgrenzen (<120 °C) zu bleiben. Dies ermögliche den Einsatz von Magnetsorten, die keine HRE-Additive benötigen. Zum zweiten nennt man bei SEG die Robustheit im Fehlerfall: Durch die Reduzierung der Entmagnetisierungsströme, die bei Fehlern auftreten würden, will das Team das Risiko dauerhafter Schäden an den Magneten minimieren – auch ohne HRE-Verstärkung. Als dritten Aspekt nennt man die Flussoptimierung. Die Reduzierung der erforderlichen magnetischen Flussdichte und deren Ausgleich durch eine größere Maschinenlänge, sofern der Bauraum dies zulassen, trage dazu bei, das Drehmoment mit besser zugänglichen Materialien aufrechtzuerhalten. All dies werde durch präzise Simulationsabläufe erreicht, heißt es. Die werden vom hauseigenen Hochleistungsrechnercluster von SEG Automotive unterstützt – für schnelle und zuverlässige Ergebnisse. Die Validierung durch umfangreiche Prototypentests trägt SEG zufolge zur weiteren Verfeinerung der Modelle bei.
Als ein Unterscheidungsmerkmal sieht man den Einsatz der sogenannten Multi-Objective Optimization (MOO) – einer simulationsgetriebenen Methode, die Kompromisse wie Drehmoment, Effizienz, thermische Grenzen und Kosten ausgleichen soll. Durch iterative Anpassung der Designparameter kann das Team Maschinen für spezifische Anwendungen optimieren und gleichzeitig den Seltenerdanteil so gering wie möglich halten. Darüber hinaus hat SEG Automotive proprietäre Modelle entwickelt, die die durch Pulsweitenmodulation (PWM) induzierten Magnetverluste berücksichtigen – ein entscheidender Faktor für eine präzise thermische Vorhersage und Magnetauswahl, heißt es beim Tier-1-Zulieferer. Die erfolgreiche Integration längerer, optimierter Maschinen in begrenzte Bauräume erfordert mehr als nur technisches Knowhow: „Es bedarf einer engen Zusammenarbeit zwischen Elektromagnetik-Designern, Maschinenbauingenieuren sowie System- und Softwareexperten“, resümiert Knorr.
Freiere Anordnung einer geringeren Zahl Magnete
Womöglich wird dies nicht von heute auf morgen gelingen. Im Hier und Jetzt gilt es jedenfalls die Lieferkette abzusichern. Beim Zulieferer ZF setzt man dazu auf strategische Partnerschaften, Dual-Sourcing-Strategien und eine erhöhte Transparenz innerhalb des eigenen Lieferantennetzwerks. Matthias Beringer, Leiter Vorentwicklung E-Motor & System, erläutert: „Unabhängig von den dauerhaften globalen Herausforderungen wie Halbleiter- und Rohstoffengpässen optimieren wir kontinuierlich unsere Logistik- und Beschaffungsprozesse, um eine zuverlässige Lieferung unserer E-Antriebskomponenten sicherzustellen. Unsere globale Fertigungsstruktur ermöglicht es uns zudem, flexibel auf regionale Störungen zu reagieren.“ Auf technischer Seite arbeitet ZF ebenso an der Substituierung Seltener Erden für E-Maschinen. Mit der fremderregten Synchronmaschine I2SM habe man bereits ein marktreifes Produkt entwickelt, das komplett ohne Seltene Erden auskomme – „bei gleichwertiger Leistung zu permanentmagneterregten Synchronmaschinen, die heutzutage unter anderem wegen ihrer Effizienzvorteile am häufigsten eingesetzt werden“, so Beringer.
Bei der neuen eDrive-Plattform Select etwa setzt ZF gezielt auf Technologien, die den Einsatz schwerer Seltenerdmetalle minimieren oder diesen sogar entfallen lässt. Als Beispiel nennt Beringer den PSM-Rotor, der mit einem Karbonband umwickelt ist, um die Fliehkräfte bei hohen Drehzahlen besser abzufangen. Der Experte erläutert: „Das ermöglicht es uns, die Magnete freier anzuordnen, man kommt mit weniger Magneten aus als beim herkömmlichen permanenterregten Synchronmotor, und wir können diese Magnete auch sehr gut kühlen, was bedeutet, dass wir ohne schwere Seltene Erden auskommen, die man für eine hohe Thermobeständigkeit braucht.“ Potenzial mit Blick auf die Substituierung Seltener Erden sieht man in der Verwendung neuer Verbundwerkstoffe, beispielsweise für leichtere und thermisch leitfähigere Komponenten, sowie in der Weiterentwicklung von Isolations- und Kühlmaterialien, die höhere Leistungsdichten ermöglichen. Simulation ist dabei ein relevantes Instrument: Der Friedrichshafener Zulieferer setzt dazu auf den digitalen Zwilling. KI-gestützte Simulationen werden zu unverzichtbaren Instrumenten, so Beringer, der schildert: „Sie helfen dabei, komplexe Zusammenhänge frühzeitig zu erkennen, fundierte Entscheidungen zu treffen und Entwicklungszyklen deutlich zu verkürzen. In Zukunft werden diese Technologien noch stärker in alle Phasen der Produktentwicklung integriert sein – von der ersten Idee bis zum Betrieb im Feld.“