Dauerregen im sonnenverwöhnten Spielparadies in der Wüste Nevadas. "Hier regnet es sonst nur ein paar Tage im Jahr. Im Juli oder August haben wir solche Tage wie jetzt herbeigesehnt", lächelt Taxifahrer James in seinem beigen Toyota Camry in sich herein, "die meisten hier freuen sich darüber. Geht mir nicht anders. Wir brauchen den Regen; aber zugegeben: diesmal ist es schon ganz schön viel. Aber ist eben auch gut fürs Geschäft." Bei den Besuchern der CES sieht die Einschätzung des Dauerregens etwas anders aus. Im jährlich wachsenden Las Vegas Convention Center nahe des legendären Strip sind nicht alle Hallen überdacht miteinander verbunden. Der ein oder andere sieht aus, wie ein begossener Pudel als er über die wohl wichtigste Messe für Unterhaltungselektronik schlurft. Der Dauerregen scheint irgendwie zur diesjährigen Leistungsschau zu passen; zumindest für die Autoindustrie.
Hatte man vor Jahren das Gefühl, die CES würde als perfekter Jahresauftakt selbst die traditionsreiche Detroit Motorshow (NAIAS) unter Druck setzen, die nur ein paar Tage später in Michigans Motorcity das internationale Automobiljahr eröffnet, so sieht die 2018er-Auflage blasser aus als in den Jahren zuvor. Europäische Autohersteller wie Audi, Volkswagen oder BMW, bis vor kurzem zumindest nach außen hin glühende Fans des Las-Vegas-Showprogramms, sind gar nicht mehr oder nur noch mit blassen Ständen vertreten. Auch bei Ford, Hyundai, Nissan oder Honda sowie einer Reihe Autozulieferer sind echte Neuheiten überschaubar. Vieles dreht sich um das autonome Fahren, die besten Lademöglichkeiten für das Elektroauto der Zukunft, alternative Antriebe oder voll vernetzte Mitfahrgelegenheiten - Uber, Lyft und Co. lassen grüßen.
Schön, dass es dann doch noch ein paar Neuigkeiten gibt, die es in sich haben. Byton will mehr sein als das 100. chinesische Start-Up-Unternehmen, das auf die Idee kommt, ein verheißungsvolles Elektroauto auf den Markt zu bringen. Die Leute hinter Byton wissen dabei allemal wovon sie reden, denn viele haben vorher in verantwortlichen Positionen bei Herstellern wie BMW, Audi und Tesla gearbeitet. Das Design des SUV Concepts kann sich sehen lassen - 4,85 Meter lang und in zwei Leistungsstufen von 200 und 350 Kilowatt verfügbar, soll es ab Anfang 2020 zunächst in China und ein halbes Jahr später in Teil der USA auf den Markt kommen. Neben dem günstigen Basispreis von 45.000 Dollar sind insbesondere das gigantische Instrumentendisplay und der hohe Vernetzungsgrad eine Schau. "Mit einem Preis von 45.000 Dollar und einer Reichweite von bis zu 520 Kilometern fokussieren wir uns auf ein vollelektrisches und trotzdem bezahlbares Premiumautomobil, das allen Kundenwünschen an ein solches Automobil gerecht wird", sagt Byton-Präsident Daniel Kirchert, "wir sind preislich wesentlich attraktiver als andere Premiumhersteller, bieten dabei allerdings meistens mehr Komfort, einen größeren Innenraum oder eine höhere Reichweite." Der Byton SUV, noch ohne Namen, ist kein Solitär. "Es wird nach dem SUV zwei weitere Modelle geben", sagt Produktmanager Henrik Wenders, "einen Sedan und einen MPV."
Mercedes mit neuem Bedienkonzept
Ob und wann Byton Europa und speziell in Deutschland, Österreich oder der Schweiz mit dem Allrad-Crossover startet, steht so recht noch nicht fest. Während Byton als Automarke des Future Mobility Konzerns trotz der kurzen Lebensphase einen recht erwachsenen Eindruck macht, sieht es eine Messehalle weiter am Stand des chinesischen Konkurrenten Xpeng ganz anders. Fragen nach dem knallroten Elektro-SUV namens G3 werden von Produktmanager Wei nur rudimentär beantwortet. "Der Wagen wird ab Ende 2018 produziert und kommt 2019 dann in China auf den Markt. Später aber auch in USA und vielleicht auch Europa." Technische Daten des Xpeng G3? "Die stehen noch nicht fest", fabuliert Wei, "es wird ein reines Elektroauto mit Allradantrieb werden. Leistung und Reichweite sind ebenfalls noch nicht klar." Aha. Da hätte man sich den Messestand nebst Prototypenbau auch sparen können und das gesparte Geld lieber in einem der Casinos auf der rot oder schwarz gesetzt.
Deutlich mehr Realitätssinn gibt es erwartungsgemäß am Stand von Mercedes. Die Schwaben haben diesmal kein komplett neues Auto im Gepäck, sondern eine Reihe von Showmodellen der letzten Monate vom car2go der Zukunft bis zum AMG-Hypercar mit in die regnerische Wüste gebracht. Der eigentliche Star ist aber das neue Bediensystem MBUX, das im kommenden Monat bei der neuen Mercedes A-Klasse seine Premiere feiert. Das große Doppeldisplay im neuen Einstiegsmodell von Mercedes ist dabei sogar sehenswerter als das von E- und S-Klasse. Und es ist erstmals mit Hightech-Prozessoren und einer künstlichen Intelligenz hinterlegt, die kaum Grenzen zu kennen scheint. Nach dem Befehl "Hey Mercedes" kann man per Sprache den Sitz verstellen, die Temperatur modifizieren oder Restaurants der Umgebung finden. "Mit MBUX sind wir unserem Ziel, das Fahrzeug zum mobilen Assistenten zu machen, wieder einen großen Schritt nähergekommen. Man kann ganz normal mit dem System sprechen und braucht keine speziellen Befehle", erläutert Sajjad Khan, verantwortlich für Digitalisierung bei Daimler, "es reicht, wenn man sagt, dass es einem kalt ist oder man morgen Flip-Flips tragen will." Ebenfalls neu bei Daimler: eine Touchfunktion für den Bildschirm. Die Mercedes A-Klasse macht dabei nur den Anfang. In den kommenden Jahren werden alle Daimler-Modelle mit dem neuen System ausgestattet.
Der nächste Fisker-Versuch
Doch Daimler ist nicht der einzige Autohersteller, der die CES noch nicht von seiner weltweiten Messeliste gestrichen hat. Toyota zeigt ein autonomes Pärchen von Konzeptstudien, von denen ein Modell zusammen mit Firmen wie Amazon, Uber und Pizza Hut für Lieferdienste entwickelt wurde. Hyundai setzt in Las Vegas auf die nächste Generation seines Wasserstofffahrzeugs - natürlich im Kleid eins SUV. Der 163 PS starke SUV soll mit einer Länge von 4,70 Metern Platz für bis zu fünf Personen bieten und mit einer Wasserstofftankfüllung bis zu 600 Kilometer weit fahren können. Für Jeep ist die CES indirekt ein Heimspiel. Doch während andere Hersteller automatisierte Fahrzeuge und Hightech-Bildschirm- und Bediensystemen zur Schau stellen, präsentiert Jeep nur ein paar Meter von Toyotas Zukunftspärchen entfernt den neuen Wrangler - ein Offroad-Urgestein ohne jeden Captain-Future-Charme. Auch das ist eben Las Vegas und bei den überfluteten Straßen der Spielermetropole wäre der Wrangler fraglos einer der Stars. Da täte sich der ebenfalls in Vegas präsentierte Kia Niro Ev schon schwerer.
Den nächsten Anlauf in eine ungewisse Zukunft macht Henrik Fisker mit seiner eigenen Automarke. Auf der CES präsentiert der kreative Däne seine viertürige Coupélimousine namens Emotion als Konkurrenz zu Teslas Model S. Sie kann vollautonom fahren, hat eine Reichweite von über 600 Kilometern und soll 260 km/h schnell sein. Einmal mehr schick anzuschauen, doch ob dieses Modell nach den zahlreichen Versuchen der vergangenen Jahre diesmal zu einem Erfolg wird? Eher fraglich.
Doch es sind auf der CES nicht immer Autos oder große Neuheiten, die Besucher locken. Einige Firmen zeigen mit ihren aufwendigen 3D-Drucken, dass die Gestaltung von Gegenständen - gerade auch für Autoindustrie - keine Grenzen kennt. Bei Zulieferern stehen Bedien- und Anzeigesysteme im Fokus. Sprache und Geste scheint hier Dreh-Drücksteller und Touchfunktionen mehr und mehr in den Hintergrund zu drücken. Bleibt die Frage, ob die CES für die Autoindustrie eine feste Größe bleibt, oder sich in den kommenden Jahren weitere Firmen zurückziehen. Nach dem Dauerregen der ersten Tage soll jetzt wieder die Sonne scheinen. Das kann kaum ein Zufall sein.