Das Verdikt des EU-Parlaments war eindeutig und fraktionsübergreifend. Mit 578 Stimmen bei 30 Gegenstimmen und 25 Enthaltungen stimmten die Abgeordneten der Verordnung zu Einführung verpflichtender Assistenzsysteme zu. Die begleitenden Worte sind in besten blumigen Politiker-Sprech verfasst. "Dieses Gesetz ebnet den Weg, um in den kommenden Jahren Tausende von Leben zu retten. Unser Hauptaugenmerk lag stets auf der Sicherheit der Verkehrsteilnehmer, insbesondere der besonders gefährdeten. Die zusätzliche verpflichtende Ausrüstung von Pkw, Lkw und Bussen wird dazu beitragen, Menschenleben zu retten", freut sich die Berichterstatterin des Parlaments Róża Thun von der Europäischen Volkpartei (EVP).
Folgende Fahrerassistenzsystemen, werden frühestens ab 2022 für alle neuen Fahrzeuge verpflichtend eingeführt:
- Intelligenter Geschwindigkeitsassistent ("Geschwindigkeitsbremse")
- Vorrichtung zum Einbau einer alkoholempfindlichen Wegfahrsperre
- Warnsystem bei Müdigkeit und nachlassender Aufmerksamkeit des Fahrers
- Warnsystem bei nachlassender Konzentration des Fahrers
- Notbremslicht
- Rückfahrassistent
- Ereignisbezogene Datenerfassung ("Black Box")
- Notbrems-Assistenzsystem
- Notfall-Spurhalteassistent
Die vom Parlament durchgewunkene Vorlage ist noch nicht rechtskräftig, sondern muss noch einige Hürden überwinden. Das gilt aber als gesichert, sodass voraussichtlich Anfang des nächsten Jahres die Gesetzesvorlage in Kraft tritt. Das gilt dann auch für Deutschland, denn solche Typgenehmigungsvorschriften sind in Europa einheitlich. Aus diesem Grund verweist die deutsche Straßenverkehrsordnung (StVO) bereits seit Jahren auf die EU-Verordnungen. Die EU-Vorlage umfasst 149 Seiten und wurde an einigen Stellen nachgebessert, auch sind die Aussagen in zentralen Punkten, wie zum Beispiel der Umsetzung des Geschwindigkeitsassistenten noch recht vage.
Wer bekommt die Daten?
Da diese Assistenzsysteme über alle Fahrzeugklassen hinweg eingeführt werden, müssen die Neuwagenkäufer tiefer in die Tasche greifen. Bei großen, teureren Autos fällt das kaum ins Gewicht, da die meisten Vorrichtungen ohnehin schon im Fahrzeug verbaut sind. Anders sieht es bei Kleinwagen aus. Gerade in diesem Segment wird um jeden Euro gekämpft und die Käufer agieren sehr preisbewusst. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind einige der geforderten Systeme nicht serienmäßig vorhanden. Auch wenn bis zur verbindlichen Einführung noch über zwei Jahre ins Land ziehen und manche der Assistenten bis dahin bei Kleinwagen zum Standard gehören, werden die Autos unterm Strich dennoch teurer. Denn die Hersteller reichen derlei Zusatzkosten ohne mit der Wimper zu zucken an die Kunden weiter.
Ein weiteres Thema, das die Gemüter erhitzt, ist das, was die EU-Bürokraten als "Intelligenten Geschwindigkeitsassistenten" bezeichnen. Für die meisten ist das nichts anderes als eine Tempobremse, die mithilfe der On-Bord-Systeme, wie Kameras und GPS-Chips, darüber wacht, dass die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit auch eingehalten wird. Viele Autofahrer befürchten eine Bevormundung. Dem widerspricht Róża Thun: "Der intelligente Geschwindigkeitsassistent gibt dem Fahrer auf Grundlage von Karten und Verkehrszeichen eine Rückmeldung bei Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit. Wir führen keinen Geschwindigkeitsbegrenzer ein, sondern ein intelligentes System, das den Fahrer aufmerksam macht, wenn er sehr schnell fährt. Dies wird uns alle nicht nur sicherer machen, sondern auch den Fahrern helfen, Strafzettel zu vermeiden." Jeder der so eine Vorrichtung einmal im Rahmen seines Navigationssystems genutzt hat, weiß, wie sehr das ständige Geblinke und Gebimmel den Fahrern auf die Nerven gehen und letztendlich auch ablenken kann. Das wäre dann kontraproduktiv. Allerdings steht die Art der Umsetzung noch in den Sternen. Ob es einen kleinen punktuellen Widerstand im Gaspedal gibt, wenn man über die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit geht oder zum Beispiel der Widerstand immer weiter zunimmt, ist noch nicht raus. Klar ist nur eines: "Ihnen wird aber immer klar sein, dass Sie die Höchstgeschwindigkeit überschreiten", lässt Róża Thuns Büro verlauten. Eines ist in der Gesetzesvorlage klar formuliert: "Es muss möglich sein, das System abzuschalten."
Eine weitere Baustelle ist der Datenschutz. Der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) verweist darauf, dass die von der General Safety Regulation (GSR) betroffenen Systeme vorrangig Fahrzeugsicherheitssysteme und keine Datenerfassungssysteme sind. Bei der Blackbox gibt die EU-Verordnung folgendes vor: "Die Daten, die im Zeitraum kurz vor, während und unmittelbar nach einem Zusammenstoß erfasst und gespeichert werden können, umfassen Fahrzeuggeschwindigkeit, Abbremsen, Position und Neigung des Fahrzeugs auf der Straße, Zustand und Grad der Aktivierung aller Sicherheitssysteme." Dies geschieht nur im Rahmen der Unfallforschung. Außerdem schreibt die Verordnung eine Anonymisierung der Daten vor und dass diese "vor Manipulation und missbräuchlicher Verwendung geschützt sind." Wie das genau geschehen soll, steht noch in den Sternen. Zumal "der genaue Fahrzeugtyp, die Version und die Variante und insbesondere die im Fahrzeug eingebauten aktiven Sicherheits- und Unfallvermeidungssysteme identifiziert werden können." Es bleiben hier noch offene Fragen. Wer hat Zugriff auf die Daten? "Der Zugriff wird sehr beschränkt sein", heißt es aus Brüssel und in der Verordnung weiter: "Die nationalen Behörden über eine Standardschnittstelle." Klingt nach leichtem Spiel für Hacker.