Darf es ein bisschen mehr sein? Diese Frage gehörte früher in Restaurants ebenso zum guten Ton wie die Regel "draußen nur Kännchen". Bei den Elektro-Fahrzeugen beschränkt sich das Prinzip des Extra-Raums bislang fast nur auf die SUVs. Logisch - Gewicht plus Luftwiderstand nagen bei BEVs heftig an der Reichweite. Das ist auch der Grund, warum elektrische Transporter, Vans und Kleinbusse bislang eher dünn gesät sind. Opel wagt jetzt einen durchaus gelungenen Vorstoß mit dem Zafira-e, doch manchmal geht Prestige über Zweckmäßigkeit. Der solvente Hotelgast packt seine Louis-Vuitton-Tasche eben lieber in ein standesgemäßes Transportmittel. Genau auf dieses Klientel der Premium-Shuttle-Services und Hotels zielt Mercedes mit dem EQV 300 ab.

Allerdings hat sich der schwäbische Autobauer mit dem hastig auf den Markt geworfenen Stromer-Crossover EQC nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Eine unterdurchschnittliche Reichweite und das Fahrzeugkonzept eines mehr auf Elektro getrimmten Verbrenners statt eines reinrassigen Stromers sorgten für Kritik. Auch beim EQV ist diese Verwandtschaft und die Regentschaft des Rotstifts unübersehbar. Also findet man neben der linken Schiebetür die Aussparung für die klassische Tankklappe, Strom wird aber vorne am Kühlergrill getankt, dort wo sich auch der bekannte Mercedes-Elektromotor mit 150 kW / 204 PS befindet. Da sich die 100-Kilowattstundenbatterie, von der 90 kWh nutzbar sind, im Unterboden befindet, fühlt man sich im EQV wie in einer V-Klasse mit konventionellem Antrieb. Das ist doch schon mal etwas Gutes.

Der Innenraum des 5,14 Meter langen Kleinbusses verströmt jenes Ambiente, das der solvente Fahrgast von seinem Shuttle-Service gewöhnt ist: Auf Wunsch gibt bis zu acht Sitzplätze oder sechs einzelne Ledersitze und jede Menge Beinfreiheit. Auch für das Gepäck ist genug Platz. Die große Batterie liefert Strom für bis zu 418 Kilometer (NEFZ) beziehungsweise 350 Kilometer nach dem WLTP-Zyklus und merzt damit einen Nachteil des EQC aus, bringt aber auch rund 700 Kilogramm Gewicht ins Auto. So bringt der EQV knapp 2,7 Tonnen auf die Waage, was natürlich zu strafferen Federn führt. "Wir zielen auf die Kunden im Fahrservice ab. Eine Taxischicht von acht bis zehn Stunden sollte ebenfalls klappen", sagt Projektleiter Benjamin Kaehler. Auch mehrere tägliche Fahrten zum Flughafen sollen mit dem EQV möglich sein und die berühmten Soccer Mums dürfen ebenfalls gerne zugreifen.

Systeme vom EQC

Um sich die Energie einzuteilen, hilft die Mercedes-Technik, mit der man zum Beispiel festlegen kann, dass der Ladezustand der Batterie nicht unter zehn Prozent fallen darf. Apropos Laden: Die Batterien des EQV können mit maximal 110 kW geladen werden. An einer Wechselstrom-Wallbox bis 11 kW sind die Akkus in gut zehn Stunden voll, an der 110-kW-Ladesäule dauert es etwa 45 Minuten, um die Energiespeicher von zehn Prozent auf 80 Prozent zu füllen. Wenn man sich hinter das Lenkrad schwingt, muss man sich zunächst durch eine recht kleine Einstiegsluke winden, um auf einem bequemen, aber hohen Sitz Platz zu nehmen.

Das Elektronikgehirn und die dazugehörigen Systeme stammen vom EQC und gehörten da schon zu den Stärken des Elektro-Crossovers. Also kann man auch am Steuer des Mercedes EQV mithilfe der Wippen die Stärke der Rekuperation definieren. Überlässt man dem System die Hoheit über die Motorbremse, nutzt dieses auch den Abstandsradar, verzögert zwar stark, aber nicht bis zum Stillstand. Also muss man an Ampeln selbst die Bremse bemühen und bestenfalls die maximale Rekuperationsstärke einstellen.

Elektro hat seinen Preis

Je nach Fahrprogramm variieren sowohl die Kraft des Motors als auch die Heizleistung der Klimaanlage. Bei der sparsamsten Einstellung E+ sind es 80 kW / 109 PS mit einem Drehmoment von 293 Nm, die Heiz- und Klimaleistung ist stark reduziert. Damit tut sich der EQV schon leer ziemlich schwer, bei Vollbesetzung ist dieser Modus nur etwas für die Stadt bei ebenen Strecken. Deutlich passender ist da schon der E-Fahrmodus mit 100 kW / 136 PS, ebenfalls 293 Nm, aber einer besseren Klimaanlagenleistung. Am meisten Spaß macht der EQV in den Modi C und S, die beide die maximale Kraft des Motors nutzen. Allerdings geht das zulasten der Reichweite. Deswegen sollte man Sport nur dann wählen, wenn der Fahrgast mit einem Bündel scheinen wedelt und eine Extra-Prämie verspricht, wenn er seinen Flug noch erreicht. Allerdings sollte man dann die optionale Höchstgeschwindigkeitssteigerung von 140 km/h auf 160 km/h aktiviert und volle Akkus haben.

Das Mercedes-MBux-System mit der 10,25 Zoll großen Touchscreen-Kommandozentrale und dem virtuellen Cockpit kommt auch beim EQV zum Einsatz und bietet allerlei Einstellungsmöglichkeiten. Bleibt zum Schluss noch der Preis, eine V-Klasse mit 140 kW / 190 PS-Dieselmotor kostet 50.161 Euro netto plus 16 Prozent MwSt. (8.025,76 Euro) macht also insgesamt 58.186,76 Euro. Der EQV 300 kostet ab Anfang Oktober netto aktuell 59.990 Euro und brutto 69.588,40 Euro. Das sind rund 10.000 Euro mehr. Allerdings hat der EQV eine Standheizung serienmäßig, die bei der V-Klasse etwa 1.500 Euro Aufpreis kostet. Aktuell denkt Mercedes über eine Version des EQV mit einer kleineren Batterie nach. Entschieden ist noch nichts. Allerdings ist die Effizienz ohnehin keine Stärke der Sternen-Fahrzeuge, sodass der "kleine" EQV nur etwas für Fahrdienste mit kurzen Wegen beziehungsweise festen Lademöglichkeiten wäre.

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