Als im Jahr 2012 bei den 24 Stunden von Le Mans die legendäre Garage 56 von Nissan belegt wurde, war die Überraschung groß. Die ausschließlich für technische Innovationen geblockte Garage wurde für ein paar Tage zur Heimat des Delta Wing. Einem vorn nur 60 Zentimeter schmalen und hinten 1,70 Meter breiten Boliden mit einem 1,6 Liter Vierzylindermotor, der für eine Leistung von 300 PS sorgt. Ins Ziel kam der über keinerlei Flügel verfügende Delta Wing aufgrund eines Unfalls mit einem Toyota Hybrid-TS030 zwar nicht, doch blieb die Idee des luftwiderstandsoptimierten Rennwagens mit geringem Reifenverschleiß im Hinterkopf der Ingenieure aus dem Hause Nissan. Vier Jahre später dreht eine potentielle Straßenversion mit reinem Elektroantrieb im modifizierten Kleid des Delta Wing seine ersten Runden im fernen Brasilien. Eine Mitfahrt an Bord des dreisitzigen Sonderlings zeigt auf, dass auch sportliche Misserfolge durchaus saftige Früchte tragen können.

Schon der Einstieg in den 4,30 Meter langen Prototypen mit dem Namen BladeGlider gefällt. Die beiden hinten angeschlagenen Türen öffnen lamborghinigleich nach oben. Jedoch nicht nach vorn oben, sondern nach hinten oben. Ob ein potenzieller japanischer Olympiasieger dafür Modell stand bleibt zu bezweifeln, doch besitzt diese Tür-Siegerpose durchaus ihren eigenen Charme. Mal abgesehen davon, dass sie jedem Lambo sofort die Show stehlen würde. Während der Fahrer mittig im recht eng geschnittenen Cockpit Platz nimmt, bleiben für die beiden Mitfahrer zwei bequeme Einzelsitze, die rechts und links hinter dem Fahrersitzt installiert sind, zur Wahl. Eine Platzanordnung, die nicht nur den Vorteil beinhaltet, dass beide Mitfahrer am Fahrer vorbei nach vorn schauen können, sondern auch das Ausstrecken der mitunter sehr langen Beine ermöglicht. Und auch die Tatsache, dass sich unmittelbar über den Köpfen der Insassen kein Dach befindet, rundet das gewaltige Platzangebot äußerst positiv ab. Mangel gibt es hier an Bord vielleicht an so manch anderen Dingen, aber an Platz mangelt es hier definitiv nicht. So fehlen zum Beispiel die Seitenspiegel. Sie sind zwei kleinen Kameras gewichen, die ihr Bild auf zwei Bildschirme im Innenraum projizieren. Auf den im Lenkrad und im Armaturenbrett befindlichen Bildschirmen lassen sich Daten wie Drehmoment, Tempo, Batterieleistung und Co. anzeigen. Per an die Formel 1 erinnerndes Lenkrad lassen sich zudem zahlreiche Einstellungen bezüglich Traktionskontrolle und Fahrmodi anpassen.

Noch kurz den Vierpunkt-Gurt fixiert, den Motor gestartet und per Schaltwippe die Härte der Rekuperationsleistung eingestellt und ab geht es. Wem beim Motorstart die dennoch anhaltende Ruhe aufgrund eines zu hohen Adrenalinspiegels nicht aufgefallen ist, der fragt sich spätestens beim Tempo 100-Sprint in unter sechs Sekunden, ob er an Gehörverlust leidet. Des Rätsels Lösung liegt im zum Delta Wing deutlich veränderten Antrieb. Denn beim BladeGlider werden keine fossilen Brennstoffe, sondern Strom verheizt. "Wir finden, dass Auto-Enthusiasten sich auf eine Null-Emissions-Zukunft freuen sollten. Der BladeGlider demonstriert dies eindrucksvoll: Er ist ein Elektrofahrzeug für Auto-Liebhaber", schwärmt Carlos Ghosn, President und Chief Executive Officer Nissan Motor Corporation. Gesagt, getan, rollt nun ein 268 PS leistender und 707 Newtonmeter starker Sportler vom Fleck. Der Antrieb über die Hinterräder erfolgt mit Hilfe von zwei 130 Kilowatt starken Elektromotoren - einer für jedes Rad und das Ganze natürlich lautlos. Wobei so ganz ohne einen Laut von sich zu geben gleitet der BladeGlider nun auch nicht an einem vorüber. Zu hart muss die Luftkühlung für eine geeignete Arbeitstemperatur der 220 Kilowatt-Lithium-Ionen-Batterie mit fünf Modulen kämpfen.

Batteriegröße unbekannt

Ein Grund, warum die unter der Hand auf rund 500.000 Euro taxierte Batterie so viel Kühlung benötigt, liegt unter anderem am mit 1.300 Kilogramm sehr stattlichen Gewicht des Prototypens. Sind die Kilos erst einmal in Schwung, gibt es hingegen kaum noch ein Halten. Dank der vom Delta Wing adaptierten schmalen vorderen Spur und einer in mehreren Einstellungen bis hin zum Driftmodus konfigurierbaren Traktionskontrolle, drängt der Nissan BladeGlider weder über die 175er 17-Zöller an der vorderen Achse, noch drückt er das Heck mit seinen 19 Zoll großen und 265 Millimeter breiten Hinterreifen übermäßig nach außen. Ein Unter- oder Übersteuern scheint es bei diesem Japaner nicht zu geben. Dafür jedoch jede Menge Leistung. Über 190 Kilometer pro Stunde wird der auch in der Gesamtansicht äußerst futuristisch daherkommende BladeGlider schnell. Dass das bei Elektroautos nicht immer Sinn macht, zeigen seine Serien-Brüder Leaf oder auch e-NV200.

Da eines der Einsatzziele des Nissan BladeGliders Rennsportserien wie die Formel E sein könnten, darf am Thema Höchstgeschwindigkeit aber natürlich nicht gespart werden. Mithilfe einer 40 Kilowatt-Schnellladestation lässt sich die Batterie, deren Größe noch zu den großen Geheimnissen im Nissan-Reich gilt, innerhalb von 40 Minuten von 20 Prozent auf 95 Prozent laden. Dass mit ein wenig Rechenleistung aus diesen Daten auf die korrekte Batteriekapazität schließen lässt, diesen Gedanken vertreibt nicht nur Gareth Dunsmore, seines Zeichens Direktor für die Elektrofahrzeuge von Nissan in Europa: "Ladestation und BladeGlider kommunizieren während des Ladevorgangs miteinander. Wir laden nicht zu jedem Zeitpunkt mit derselben Leistung." Da die nächste Leaf-Generation mit einer bis zu 60 Kilowatt großen Batterie auf den Markt kommen soll, dürfte die des BladeGliders über eine nicht gerade weit davon abweichende Kapazität verfügen. Doch all das muss heute noch gar nicht interessieren, denn die Wahrscheinlichkeit, dass der Nissan BladeGlider überhaupt auf den Markt kommt, liegt aktuell bei knapp null Prozent. Schade. Aber aus Null Prozent werden in der Automobilindustrie auch schnell mal wieder mehr.

Sie möchten gerne weiterlesen?