Ein Nio vor eine Wechselstation | Der chinesische Hersteller Nio setzt auf Wechseln statt Laden und ist damit in Europa ziemlich allein. Die Wechselstationen sind in Europa bislang noch rar gesät. Produziert werden sie in Europa ausschließlich in Ungarn.

Die Wechselstationen von Nio sind in Europa bislang noch rar gesät. Produziert werden sie in Europa ausschließlich in Ungarn. (Bild: Nio)

Schon oft wurde der chinesische Hersteller Nio in der Vergangenheit mit Tesla verglichen. Aktuell trennen die beiden Unternehmen noch Welten, doch gewisse Parallelen lassen sich nicht von der Hand weisen. Tesla verschaffte sich mit seinem flächendeckenden Netz an Superchargern früh einen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz. Davon ist Nio zwar noch weit entfernt – zuletzt kündigte das Unternehmen an, die Anzahl der Wechselstationen in Deutschland von aktuell zwei auf acht erhöhen zu wollen. Doch was, wenn es den Chinesen schneller als erwartet gelingt, ihr Netz an Standorten für den Akkutausch zu skalieren? Die beobachtende Haltung der Konkurrenz könnte sich noch rächen.

Große Skepsis gegenüber Batterietausch bei E-Autos

Zugegeben, die Wahrscheinlichkeit, dass sich Elektroautos mit austauschbarem Akku in der Fläche durchsetzen werden, ist gering. Der größte Vorteil der Technologie besteht aktuell noch in der kürzeren Zeit für einen Ladestopp. Doch die Entwicklung neuer Batteriezellen und Ladesysteme ist in vollem Gange. „Das Schnellladen wird immer schneller. Wenn ich künftig nur noch zehn bis 15 Minuten für einen Ladestopp brauche, ist der Zeitvorteil des Batteriewechsels kaum noch nennenswert“, sagt Achim Kampker, Professor am Lehrstuhl für Production Engineering of E-Mobility Components an der RWTH Aachen. Der technologische Fortschritt spreche gegen die Wechselbatterie.

Der Wissenschaftler beschäftigt sich seit Jahren mit der Technologie. In der Theorie sei sie absolut denkbar und interessant, in der Praxis habe sie aber keine Relevanz. Das liege vor allem an der Unfähigkeit der Branche, sich auf einheitliche Batterien zu verständigen. „Wir tun uns in Deutschland und Europa schwer, Dinge zu regeln. Das würde ewig dauern, bis man sich auf einen Standard geeinigt hat“, so Kampker. Trotzdem müsse man die Technologie ernst nehmen und weiter beobachten. Grund genug, sich die Strategie des bislang einzigen OEM, der Autos mit Wechselbatterie in Europa anbietet, näher anzusehen.

Welche Fahrzeuge bringt Nio auf den Markt?

Neben dem Hyundai-Ableger Genesis gibt es wohl kaum einen Hersteller, der in den vergangenen Jahren als Neustarter derart viele Fahrzeuge auf den Markt gebracht hat. Nio startete die drei Serien ET, EC und ES mit den Modellen ES 7/8, ET 5/7 und EC 6/7 – allesamt elektrisch angetrieben, gut vernetzt und schick anzuschauen. Innen gibt es puristischen Luxus, bequeme Sitze und stattliche Displays – typisch China.

Nio setzt im Unterschied zu allen anderen Herstellern auf das Wechselakkuprinzip, um lange Ladezeiten zu vermeiden. William Li hatte ebenso wie viele andere wohl gehofft, dass weitere Hersteller auf das Prinzip aufspringen und es so in die Breite bringen würden. Doch Fehlanzeige – bei der internationalen Konkurrenz geht es mit 800-Volt-Technik um maximale Ladetempi.

Wie viele Tausch-Stationen hat Nio in Deutschland?

Ende Juli 2023 wurde die siebte Wechselstation in Deutschland eröffnet. Regensburg, Waldlaubersheim, Großburgwedel, Ulm-Seligweiler, Dorsten, Hilden und Zusmarshausen sind die bisherigen Standorte. Weltweit sind mehr als 1.500 Stationen in Betrieb. Die große Mehrheit befindet sich in China. In Europa befindet sich Nio noch in einer Nische. Allerdings sind die Autos auch erst seit 2021 in Norwegen und seit 2022 in weiteren europäischen Ländern verfügbar.

Was kostet die Miete für die Batterie bei Nio?

Die Wechselakkus sind in der Liga der Elektroautoanbieter einzigartig – doch vielen Kunden scheint das Angebot allzu suspekt. Daher kann sich der geneigte Kunde wie beim neuen Nio ET5 entscheiden, ob er das Auto nebst Akkupaket zum reduzierten Einstiegspreis von 47.500 Euro kaufen will. Der kleine 75-kWh-Akku muss dann jedoch teuer gemietet werden - für 169 Euro im Monat. Wer 12.000 Euro Aufpreis für den Akku bezahlt, erspart sich die teure Monatsgebühr – sperrt sich die jedoch aus dem System der Wechselakkus aus. Das große Akkupaket macht den Nio ET5 sogar 21.000 Euro teurer.

In China vermietet Nio Batterien auch tageweise. Kunden, die ein Auto mit kleiner Batterie fahren, können den Speicher dann an einer Tauschstation kurzzeitig gegen eine größere Variante eintauschen. Wer etwa vom 75 kWh-Exemplar auf die 100-kWh-Ausführung wechselt, verfügt dann über gut 100 Kilometer mehr Praxisreichweite – etwa für eine Urlaubsfahrt oder eine Geschäftsreise. Der tageweise Wechsel kostet umgerechnet gut 6 Euro. Besonders interessant wird das Upgrade-Modell, wenn Nio die schon länger angekündigte 150-kWh-Wechselbatterie auf den Markt bringt, die mehr als 1.000 Kilometer Reichweite verspricht. Die Einführung verzögert sich dem Unternehmen zufolge allerdings, einen Zeitplan nennt es jedoch nicht. In Europa ist das Miet-Upgrade bislang nicht verfügbar, weder in der Tages- noch in der Monatsvariante. Es soll jedoch kommen, wenn das Netz an Wechselstationen hierzulande groß genug ist.

Wie funktioniert der Akkutausch bei Nio?

Abgesehen von all diesen Aspekten ist das reine Prozedere des Batteriewechsels für den Fahrer extrem simpel, er selbst muss nichts tun. Das Fahrzeug fährt autonom in die Ladebox. Roboter positionieren die Räder und schrauben den Unterboden auf. Die alte Batterie wird entnommen und durch eine neue ersetzt. Der Vorgang soll laut Nio nur rund fünf Minuten dauern. Die NIO Power Swap Stations sind von der Größe her vergleichbar mit einer Doppelgarage und wiegen in etwa 28 Tonnen.  Jede Power Swap Station ist für bis zu 312 Batterietauschvorgänge pro Tag ausgelegt.

Das Problem: Wird die Batterie nicht gewechselt, zieht sich der Charging-Vorgang. Die maximale Ladeleistung ist für ein Elektromodell der Premiumliga beim ET5 mit 130 beziehungsweise 140 Kilowatt allzu müde. Hier muss sich Nio etwas einfallen lassen, um wettbewerbsfähig sein. Audi oder Porsche tanken mit bis zu 270 kW nach, Tesla oder Hyundai mit 250 kW und die neuen Lucid-Modelle mit mehr als 300 Kilowatt.

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