Der erste Blick auf die Flanke des VW Virtus verursacht Stirnrunzeln. Die 17 Zoll Räder sind viel zu klein für diese Radkästen. Die Stufenhecklimousine steht so hochbeinig da, wie ein Golf Country. "Wir brauchen den Federweg für die schlechten Straßen im Süden des Landes", erklärt der Leiter der Entwicklung Gesamtfahrzeug Jose Loureiro. Das Schlechtwege-Können des VWs hat nicht nur eine gegenüber dem um zwei Zentimeter höhere Bodenfreiheit als beim europäischen Polo zur Folge, sondern auch einen Ersatzreifen im Kofferraum. Der hilft aus der Patsche, wenn man im Süden des großen südamerikanischen Landes eine Reifenplatzer haben sollte. Denn in den entlegenen Landstrichen ist Chance nicht besonders groß, einen Pannendienst, geschweige einen Ersatzpneu zu finden.

Aus diesen Parametern leiten sich auch die Fahreigenschaften des Virtus (lateinisch: Mannhaftigkeit) ab. Der knapp 1,2 Tonnen schwere VW ist sehr komfortabel gefedert. Und wer einmal über brasilianische Straßen gefahren ist, weiß, dass jeder Zentimeter Federweg seine Berechtigung hat - in manchen Gegenden haben die Straßen nicht einmal eine Asphaltdecke. Deswegen gibt es auch am Unterboden beim Tank ein Schutzblech, das zwar nachgibt aber nicht brechen soll.

Dass sich die Karosserie etwas in die Kurven legt, verwundert angesichts dieser Abstimmung nicht besonders. Stört auch nicht, da der 85 kW / 115 PS Einliter-Dreizylinder in Kombination mit der Sechsgangautomatik (ist in Brasilien offenbar ein Statussymbol, da das am Heck angeschrieben ist) ohnehin kein Ausbund an Temperament ist. Geht es bergauf, müht sich das Triebwerk sehr und macht aus seinen Anstrengungen auch keinen Hehl. Das Zusammenspiel zwischen Schaltung und Motor läuft nicht ganz so geschmeidig ab, wie man es von europäischen Fahrzeugen kennt. Die Fahrleistungen sind allemal ausreichend, denn in 10,4 Sekunden schafft der Virtus aus dem Stand auf Landstraßentempo und ist 189 km/h schnell. Wenn man reines Ethanol tankt, leistet der Motor 94 kW / 128 PS und das Ganze geht etwas schneller über die Bühne. Da hilft es, dass bei den TSI-Motoren an der Hinterachse ebenfalls Scheibenbremsen anstelle der Standard-Trommelbremsen verbaut sind.

Europäisches Antlitz

Doch das tut dem Kofferraumvolumen mit mindestens 521 Litern keinen Abbruch. Platz ist im Virtus mehr als genug vorhanden. Schließlich übertrifft die Stufenhecklimousine mit einer Länge von 4,48 Metern den europäischen VW Polo um 42,5 Zentimeter, wobei 8,5 Zentimeter direkt bei der Beinfreiheit der Fondpassagiere ankommen. Das macht sich in wahrlich fürstlichen Platzverhältnissen bemerkbar. Das ist nicht alles: Das der Virtus eine Familienlimousine ist, müssen nach brasilianischen Selbstverständnis auch fünf Personen im Auto Platz finden. In der Regel wird es auf dem Mittelplatz eng. Wohin mit den Füßen lautet die Frage. Nicht beim Virtus: Der Mitteltunnel ist deutlich flacher als bei europäischen Fahrzeugen. Außerdem gibt es beim VW zwei Luftdüsen der Klimaanlage hinten, gemeinsam mit zwei USB-Anschlüssen. "Die Kunden verlangen das wegen der Hitze, außerdem wollen sie überall ihre Smartphones und Tablets laden", erklärt Designer J.C. Pavone.

VW tut gut daran, dass die Designer dem Virtus ein europäisches Antlitz verpasst haben. Die barocken Formen der Südamerika-Varianten gehören endgültig der Vergangenheit an. Auch die Technik nähert sich dem deutschen Standard an, auch wenn Assistenzsysteme wie der Toterwinkelwarner oder ein Spurhalteassistent beim Virtus fehlen. Auch bei der Verarbeitung kommt der Brasilianer nicht ganz an die deutschen Verwandte heran. Irgendwie müssen ja die umgerechnet 14.334 Euro Einstiegspreis erreicht werden. Immerhin stehen Parksensoren und adaptiver Tempomaten zur Verfügung. Die gefahrene Highline-Version kostet mindestens 18.677 Euro, bietet aber viele Extras ab Werk.

Beim Infotainment kann der Virtus dagegen sehr gut mit seinen deutschen Technikverwandten mithalten: Das digitale Cockpit ist vorhanden und ein 10,25 Zoll Touchscreen dient als Kommandozentrale. Das Smartphone wird mit Apple CarPlay und Android Auto gespiegelt und auf dem Armaturenbrett ist eine Handyhalterung inklusive USB-Ladmöglichkeit angebracht. Das Teil ist zwar praktisch, aber alles andere als ansehnlich, schaut aus, wie ein Insektenfühler und kann ruckzuck demontiert werden. In Brasilien ist es auch noch wichtig, dass es eine Klimaautomatik und ein gekühltes Handschuhfach gibt. Da unterscheiden sich die Südamerikaner nicht großartig von den deutschen Autofahrern.

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