Vor Jahren zog sich der mittlerweile ausgeschiedene Volkswagen-Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg mit seinem Gefolge in ein stilles Kämmerlein zurück und ersonn zusammen mit ihnen den modularen Querbaukasten, der den Konzern in eine vielversprechende Technologiezukunft tragen sollte. Auf der variablen Bodenplatte mit Quermotor, Front- oder Allradantrieb sollten innerhalb weniger Jahre nahezu alle Modelle mit dem VW-Signet auf dem Kühlergrill unterwegs sein. Hinzu ein nennenswerter Teil der Konzernfahrzeuge unterhalb der Mittelklasse, mit Modellen von Seat, Audi oder Skoda. Kein Wunder, dass das Spektrum vom kleinen Seat Ibiza über den VW Passat (Europa-Modell) bis hin zum 5,04 Meter langen VW Atlas / Terramont mittlerweile auf dem überaus variablen Querbaukasten unterwegs ist. Kleiner Wermutstropfen zu der großen Skalierbarkeit sind die hohen Kosten, die der Volkswagen Konzern bisher jedoch erfolgreich an die Kunden weitergeben konnte. Eine der wenigen Ausnahmen im Konzern ist der amerikanische Passat, der im US-Werk in Chattanooga zusammengeschraubt wird. Auch in seiner neuesten Auflage (Premiere auf der NAIAS 2019) bleibt es bei der deutlich günstigeren PQ35-Plattform - die Kunden stört es nicht.

Die Anforderungen an einen neuen Baukasten als variable Plattform für die neue Elektrogeneration waren hoch. Bei ihm hatten die Entwickler die Chance, bei null zu beginnen. Ein großer Teil der zukünftigen Elektromodelle wird daher auf dem modularen Elektrobaukasten unterwegs sein. Den Anfang macht Anfang 2020 der VW ID. Neo, der seine Weltpremiere in diesem Herbst feiern soll. Nach Angaben der Entwicklungsverantwortlichen ist die neue MEB-Plattform für Elektrofahrzeuge noch skalierbarer als die MQB-Architektur. Das neue Batterie-Skateboard soll den Wolfsburgern einen deutlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz verschaffen, in kurzer Zeit mehrere elektrifizierte ID.-Fahrzeuge zu entwickeln. Wahlweise gibt es Hinterrad- oder Allradantrieb, sowie eine breite Spanne bei Radstand und Spurbreite. Der Aufbau ist weithin veränderbar. Vom kleinen Elektro-Buggy bis zum elektrischen VW Bus mit langem Radstand ist einiges in Planung. Die Ziele sind hoch gesteckt, denn bis 2025 sollen 15 bis 20 Prozent der eigenen Modelle elektrisch fahren.

"Dies ist eine Plattform, um Volumen zu erzeugen, indem dieselben Teile in einer Vielzahl von Modellen verwendet werden", sagt Tino Fuhrmann, Projektleiter und Leiter der MEB-Modellreihe, "wir haben weniger Abweichungen als beim MQB." Diese größere Flexibilität als bei MQB, auf die das Unternehmen rund 80 Prozent seines aktuellen Modellportfolios aufbauen wird, hat dazu geführt, dass Tino Fuhrmann und sein Entwicklungsteam die inzwischen fünf Jahre alte MQB-Plattform genau studiert haben, um zu sehen, wo bzgl. des Elektroantriebs Verbesserungen möglich sind. "Alles, was wir von MQB wissen, legen wir in die MEB rein", so Fuhrmann , "um die bestmögliche Skalierung zu erreichen." Während Wettbewerber wie BMW, Mercedes, Kia oder Jaguar bei der Einführung der hauseigenen Elektromodelle bevorzugt auf SUVs setzen, sieht sich Volkswagen scheinbar seiner kompakten Volumentraditionen aus Käfer und Golf verpflichtet und folgt damit Elektrovorreitern wie Renault oder Nissan. Der erste Elektroableger, der für die Marke aus Wolfsburg ein neues Zeitalter einläuten soll, ist der ID. Neo, der auf 19- und 20-Zoll-Felgen rollt.

ID. Neo gegen Golf

"Für unsere größeren Modelle wie die SUV mit Allradantrieb sind sogar bis zu 750 Millimeter Raddurchmesser drin", erläutert VW-Entwicklungsvorstand Frank Welsch, "auch das ermöglicht die neue MEB-Plattform." Der Entwicklungsvorstand, der vor gut drei Jahren von Skoda zu Volkswagen kam, war bei der Entstehung der Elektrofamilie von Anfang an dabei. "Derzeit beschäftigen wir uns in der Entwicklung zu rund 40 Prozent mit den I.D.-Modellen. Einiges müssen wir immer wieder neu testen, da wir nicht wie beim MQB auf entsprechende Grundlagen zurückgreifen können."

Optisch wirkt der elektrische ID. Neo im Vergleich zum fast zeitgleich neu aufgelegten VW Golf VIII wie ein Fahrzeug aus der Zukunft. Das gilt gleichermaßen für Design und Technik, denn die neue Elektroplattform gab sowohl Design- als auch Entwicklungsteam völlig neue Möglichkeiten. Die Überhänge sind kurz, der Radstand rund zehn Zentimeter länger als beim Golf und die Heckklappe besteht obligatorisch aus einem schwarzen Kunststoff. "Der Wagen besteht zu 99 Prozent aus Stahl", sagt ID.-Neo-Cheftechniker Frank Bekemeier, "Aluminium und andere Komponenten wurden in erster Linie in den Crashstrukturen verbaut. Das Thema Gewicht ist nicht derart entscheidend; auch weil wir davon bei der Rekuperation profitieren und das maximale Drehmoment vom Start anliegt." In der neuen Plattform sind auch die Akkupakete variabel zu verbauen. "Die Akkupakete sind bei uns wie eine Tafel Schokolade aufgebaut", erklärt Dr. Frank Welsch den Aufbau der verbauten Pouch-Zellen, "wir können diese daher variabel bei den verschiedenen Modellen zusammensetzen."

Auch Audi steigt auf MEB ein

Das Platzangebot im Innern ist durch die neue Elektroplattform mindestens eine Klasse größer als im Golf, denn ohne den Verbrennungsmotor konnten Stirnwand und Armaturenbrett nach vorne rutschen. Neben einem luftigen Design mit zwei separaten Displays vorne gibt es hinten so rund sieben Zentimeter mehr Beinfreiheit. Die Mittelkonsole hat große Ablagen, die Bedienmodule sind nahezu komplett in den Touchbildschirm gerutscht und die einzelnen Fahrstufen legt man über einen groben Drehschalter rechts von der Instrumenteneinheit ein. Der größere Radstand macht sich nicht zuletzt auch im Fond bemerkbar, wo der Neo ebenso wie seine Nachfolgemodelle aus der ID.-Familie deutlich mehr Raum bietet, als man es von einem Verbrennermodell kennt.

Bis 2022 will der Volkswagen Konzern 27 Fahrzeuge auf der neue MEB-Plattform auf die Märkte bringen. Neben den Modellen mit dem VW-Signet bringen auch Seat, Audi und Skoda elektrische MEB-Modelle, die das Verbrennerportfolio in Bedrängnis bringen dürften. Das sollte auch Premiummodelle wie Audi Q2 und Q3 treffen, denn die Ingolstädter arbeiten nicht nur mit Hochdruck an dem Serienmodell der viertürigen Sportlimousine E-Tron GT , sondern auch an einem kompakten Mittelklasse-SUV, der den Einstieg in die E-Tron-Welt darstellen soll. Das Modell soll - rein elektrisch angetrieben - zwischen Q2 und Q3 positioniert werden. Seine Plattform: der modulare Elektrobaukasten MEB. Aufgrund seiner Positionierung und der voraussichtlichen Preisgestaltung unter 40.000 Euro dürfte der neue kompakte Crossover-SUV höchstwahrscheinlich der meistverkaufte E-Tron werden, wenn er 2021 auf den Markt kommt.

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