Rainer Lehnen, CTO bei Purem by Eberspächer

Zum Portfolio von Purem by Eberspächer zählen Abgasreinigungs- und Akustiksysteme für Pkw, Nfz und Off-Road-Fahrzeuge. CTO Rainer Lehnen gibt Einblicke in neue Entwicklungen und die Strategie der Marke. (Bild: Eberspächer)

Herr Lehnen, welche Bedeutung hat das Thermomanagement bei Eberspächer?

Das Thema zieht sich wie eine Matrix durch alle Divisionen und reicht von der Klimatisierung bis hin zur Leistungselektronik. Die Funktionalität von Abgasanlagen ist zudem eng verwandt mit dem Thermomanagement im Rahmen eines aktiven und passiven Verständnisses. Im Bereich der passiven Systeme zählen etwa luftspaltisolierte Krümmer und Rohre zu unserem klassischen Portfolio. Heute kommen verstärkt aktive Komponenten hinzu, elektrische oder zum Teil auch brennstoffbetriebene Zuheizer. Bei den aktiven Systemen zählten in den vergangenen Jahren dieselbasierte Brennersysteme für Gabelstapler oder Busse traditionell zu unserem Programm. Gerade mit Blick auf die Euro 7-Abgasnorm kommt brennerbasierten Applikationen wieder gewisse Bedeutung zu. Wir helfen unseren Kunden insbesondere in der momentanen Findungsphase, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Im Zuge der Euro 7-Norm sollen Kohlenwasserstoffe (HC), Kohlenmonoxide (CO) und Stickoxide (Nox) drastisch reduziert werden. Für welche Komponenten in Ihrem Portfolio bedeutet dies die größte Herausforderung?

Im Rahmen unserer Kernkompetenzen kommt neben der Harnstoff-Gemischaufbereitung im Diesel-Segment dem Thema Heizen große Bedeutung zu. Hinsichtlich der zu erwartenden Festlegungen sind neben diesen Grenzwertverschärfungen auch die Reduzierung der Partikelmasse und -anzahl wichtig. Eine in Summe daraus resultierende Hauptanforderung ist das schnellstmögliche Erreichen und Aufrechterhalten der erforderlichen Light-off-Temperaturen. Hinzu gesellen sich mit Blick auf die Dauerhaltbarkeit auch Materialthemen bei den Abgassystemen.

Zu den Neuentwicklungen zählen Abgasklappen wie die sogenannte EVG2 und der elektrische Heizkatalysator EHC Lamella Heater, mit dem man vorwiegend Stickoxide adressiert. Welche Aufwände sind mit diesen Entwicklungen verbunden?

Die Entwicklung solcher Systeme und der neuen Generationen läuft über viele Jahre hinweg mit Blick auf die zukünftig mögliche Schwerpunktsetzung. Zum von Ihnen genannten EHC mit komplett isoliertem Heizleiter (Anm. d. Red.: EHC steht für Electrical Heated Component), gesellt sich der EHC Fractal Heater mit einer direkt bestromten Heizscheibe, der eine noch größere Möglichkeit zur Adaption bietet. Beide Systeme sind für 48 Volt-Bordnetze geeignet. Der EHC Lamella lässt sich auch mit weiteren, höheren Spannungslagen einsetzen.

Fractal Heater von Purem by Eberspächer
Der Fractal Heater gehört zur Active Heating-Produktfamilie. Er eignet sich für die Abgasnachbehandlung in Diesel- und benzinbetriebenen Fahrzeugen mit 48 V-Bordnetz und soll die Schadstoffe um bis zu 90 Prozent verringern. (Bild: Eberspächer)

Eberspächer ist auch für seine Akustikklappen bekannt. 2024 wird die europäische Akustikgesetzgebung verschärft. Welche Auswirkung hat dies auf Ihre Produkte?

Klappenprodukte sind Teil unseres Portfolios, sowohl mit einem Fokus auf das Akustikdesign wie auch auf das Thema Abgasgegendruck und damit dem Verbrauchsmanagement. Unsere gerade vorgestellte AVG2 ist noch einmal deutlich performanter und aufgrund der frühen und engen Zusammenarbeit zwischen Entwicklung und Produktion auch bei der Fertigung sehr interessant.

Welche Finessen bietet der Fertigungsprozess?

Für uns bieten sich neue Applikations- und Rahmenfelder. Im konkreten Fall hat der sehr enge Schulterschluss zwischen Fertigungsplanung, Fertigungsauslegung, Maschinenbeschaffung und der Entwicklung dazu geführt, dass wir im Bereich der Toleranzlagen Regionen erzielen konnten, die klar die Produkt-Performance unterstützen. Das Vermeiden mehrfacher Um- und Aufspannprozesse steigert die Effizienz in der Fertigung, gleichzeitig erreichen wir im Produkt eine höhere Performance. Grundsätzlich ist der Prozess auch auf andere Systeme übertragbar.

Folgen Produkte und Fertigung einem modularen Ansatz?

Soweit dies möglich ist, bevorzugen wir modulare Ansätze. Andererseits gibt es aber auch Entwicklungen, die aus sich heraus gar keiner Modularität bedürfen. Der EHC Fractal Heater etwa unterstützt dank seiner flexiblen Dimensionierung alle Applikations-Anforderungen, ohne dass er modular gestaltet wäre. Die geometrische Individualisierung von Abgasanlagen ist immer mit enormen Kosten verbunden. Wenn ein Heizer kompakt baut, bleibt für die Abgasanlage selbst mehr Varianz, sie kann quasi carry over ausgelegt werden.

Kürzlich meldete Eberspächer die Erweiterung des Werks für Diesel-Abgasreinigungssysteme in Louisville, Kentucky, USA. Welche Bedeutung kommt diesem Schritt zu?

Dort werden neue Produkte für einen großen nordamerikanischen OEM gelauncht. Sowohl die Produktionskapazitäten wie auch geografische und logistische Anforderungen zählen zu den Gründen für diese Standortentscheidung. Wir schaffen dort rund 250 neue Arbeitsplätze und wollen noch im November mit der Produktion beginnen.

Mit der Übernahme des US-Unternehmens Victori im vergangenen Sommer verstärkt Eberspächer das Engagement im Bereich der Produkte für Brennstoffzellensysteme. Wie sehen Sie ihre Rolle in diesem Markt?

Die Brennstoffzelle ist ein spannendes Thema, denn es zeigt den Weg von der klassischen in die Wasserstoffmobilität. Einige Umfänge sind bei Purem by Eberspächer angesiedelt, andere wiederum in weiteren Divisionen der Eberspächer-Gruppe. Der Zukauf von Victori oder Vairex (Anm. d. Red.: Victori ist bekannt als Vairex Air Systems) wurde über eine Schwesterdivision getätigt. Das Unternehmen hat eine übergeordnete Marktstellung bei Seitenkanalverdichtern. Dies ist eine gute Basis, um mit der Kernkomponente performanter Luftverdichter den Markt zu besetzen. Der Fokus liegt auf der Mobilität mit Rädern wie auch auf stationären Applikationen. Auf Basis des Seitenkanalverdichters wollen wir im Rahmen unseres Wasserstoffpfads auch neue Produkte für sogenannte Wasserstoff-Rezirkulationsgebläse ableiten. Dies sind wesentliche Umfänge, die wir in einer neu gegründeten Einheit für die gesamte Eberspächer-Gruppe abbilden. Ergänzend dazu werden in allen Organisationen weitere Produkte vorangetrieben.

Welche sind das?

Aus der Ventil-Expertise heraus zählen dazu etwa Kathodensperrventile, Wasserabscheider oder Akustiklösungen sowie die Sensorik. Nach und nach wollen wir einen neuen Geschäftsbereich entlang der Wasserstoffmobilität als Eberspächer-Gruppe aufbauen.

Der Brennstoffzelle wird zumindest im Nutzfahrzeugsegment eine gute Zukunft prognostiziert. Wie sehen Sie diese, gerade als Alternative zum rein batterieelektrischen Fahren, für Pkw?

Mit Sicherheit wird die Brennstoffzellentechnologie im Heavy-Duty-Segment Erfolge erzielen, wie auch in stationären sowie in Sonder-Applikationen. Für Pkw fallen die Prognosen schon schwieriger aus. Auf Basis der Planungszahlen sehe ich bis 2030 noch verschwindend geringe Zahlen. Die Dynamik, auch bei unseren Kunden, ist bei diesem Thema vielseitig, so dass sich hier nur schwer eine Richtung erkennen lässt. Ich persönlich wünsche mir für den Antrieb sehr viel Technologiefreiheit und -offenheit. Vieles hat hierbei mit Positionierungen und Ideologien zu tun, was sehr schade ist.

Wie ordnen Sie die Chancen des Wasserstoff-Verbrennungsmotors ein?

Eberspächer engagiert sich stark in diesem Umfeld. Erst im Januar haben zahlreiche Unternehmen aus der Zuliefererindustrie, der Automobilhersteller und der Hochschulwelt die Allianz Wasserstoffmotor e.V. gegründet. Eberspächer zählt hier zu den Gründungsmitgliedern. Wir wollen technologieoffen und wegbereitend unterwegs sein und aufzeigen, dass der Wasserstoffmotor eine komplementäre Technologie-Option darstellt. Er steht für eine schnelle Markteinführung, kann die Brennstoffzelle dort ergänzen, wo sie außerhalb ihres besten Wirkungsgrads liegt. Dabei sehe ich etwa den Schwerlastverkehr mit besonderen Topologie-Anforderungen als Anwendungsfeld. Uns freut es, dass der Wasserstoffmotor gerade 2021 in der Wahrnehmung an Dynamik zulegen konnte, bis hin zu ersten genannten SOPs. Für uns als Zulieferer, der die gesamttechnologische Bandbreite vorantriebt, ist dies besonders erfreulich.

Die große Mehrheit wird auch weit über das Jahr 2022 hinaus mit klassischen Verbrennungsmotoren fahren. CO2-Entlastung im Bestand wie auch bei neuen Fahrzeugen könnten synthetische Kraftstoffe bieten. Wie bedient Purem by Eberspächer diese Thematik?

Wir sind im Rahmen einer technologieoffenen Bewertung auch Befürworter synthetischer Kraftstoffe, denn sie ergeben an vielen Stellen Sinn. Die Gesellschaft und speziell die deutsche fokussiert sich etwas zu sehr auf den Energiewandler und zu wenig auf die Bereitstellung von grüner Energie. Diese lässt sich aber an vielen Orten auf der Welt weit effizienter darstellen als hierzulande. Deutschland war Energieimporteuer und wird es aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Zukunft bleiben. Die Frage, die man mit Blick auf dieses Thema stellen kann, ist doch die, ob wir besser die Elektronen oder nicht doch die Moleküle nach Deutschland holen sollen.

Produktionsszenen bei Purem by Eberspächer
Eine der Hauptanforderungen bei Abgassystemen ist mit Blick auf die Euro 7-Norm das schnellstmögliche Erreichen und Aufrechterhalten der erforderlichen Light-off-Temperaturen. (Bild: Eberspächer)

Wie lautet Ihre Antwort?

Als Chemiker bin ich von Haus aus davon überzeugt, dass es auch künftig überwiegend die Moleküle sein werden. Wenn man sich mit den Molekülen befasst, dann kommt man sehr schnell zu Wasserstoff, zu Methan, Methanol oder auch zu langkettigen Kohlenwasserstoffen, also den Syn-Fuels. Sie sind ein sinnvolles Mittel, um die viel zu wenig beachtete Bestandsflotte zu bedienen. Und sie sind ein veritabler Hebel zur CO2-Reduktion, der sich quasi in Griffweite befindet. Wir müssen die Menschen doch schlicht in ihrer Lebenswirklichkeit abholen und Lösungen bieten. Mit Blick darauf spricht vieles für synthetische Kraftstoffe. Wir sind gut in der Entwicklung von Verbrennungsmotoren. Wenn moderne Motoren, betankt mit aus grünem Strom hergestellten synthetischen Kraftstoffen und einer effizienten Abgasnachbehandlung ausgestattet sind und sich sauber und CO2-neutral darstellen lassen, dann ist doch für alle viel gewonnen.

Worin liegt für den Zulieferer der Reiz von synthetischen Kraftstoffen?

Die im Prinzip nicht vorhandenen Anteile von Aromaten führen dazu, dass die Partikelentstehung deutlich geringer ausfällt. Wir sprechen hierbei von mindestens 40 bis 50 Prozent weniger Partikeln. Dies hat auf die Dimensionierung wie auch auf die Auslegung von Abgasanlagen einen positiven Einfluss. Konsequent auf synthetische Kraftstoffe ausgelegte Fahrzeuge bedeuten also weniger Aufwand, weniger Komplexität und Kosten. Gleichzeitig erschließen sie ein großes Potenzial in Richtung Euro 7-Abgasnorm. Synthetische Kraftstoffe zeigen einen Weg auf, dem man sich nicht verschließen sollte.

Wenn die synthetischen Kraftstoffe für weniger Aufwand bei der Abgasnachbehandlung stehen, was bedeutet das dann für Ihr Geschäft?

Die Technologie liegt ja nahe an der auf fossilen Kraftstoffen basierenden. Wir können uns auf sie im Rahmen normaler Entwicklungszyklen für unser Portfolio einstellen. Darin liegt der Charme der synthetischen Kraftstoffe. Der Energiebedarf ist mit Blick auf die entsprechenden Syntheseschritte einerseits freilich höher. Andererseits könnte eine faire Total-Cost-Betrachtung wie auch eine gesamte CO2-Bilanz, die mit Blick auf die E-Mobilität etwa auch den Umbau von Tankstellen auf elektrischen Strom berücksichtigt, Syn-Fuels als durchaus probaten Weg darstellen.

Zur Person:

Rainer Lehnen, CTO bei Purem by Eberspächer

Dr. Rainer Lehnen ist seit mehr als 19 Jahren im Unternehmen Eberspächer tätig. Er bekleidete verschiedene globale und lokale Entwicklungsverantwortlichkeiten mit Schwerpunkt im Nutzfahrzeugsegment. 2014 übernahm er die Leitung der Business Unit Commercial Vehicles. Derzeit ist er Executive Vice President Global R&D (CTO) bei Purem by Eberspächer.

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