Komponenten fürs autonome Fahren
Wemding ist das Silicon Valley der Sensorik
An seinem Standort Wemding beherrscht Valeo das gesamte Sensorik-Portfolio moderner Assistenzsysteme
(Bild: Valeo)
Zulieferer Valeo arbeitet im bayerischen Wemding an allen Sensortypen, die auch für autonomes Fahren benötigt werden. Eine Werkstour zeigt, wie sich das Unternehmen mit Blick auf Zukunftsthemen mit Produkten und Prozessen weit vorn platziert.
Wemding im bayerischen Regierungsbezirk Schwaben liegt in etwa in einem Dreieck zwischen Stuttgart, München und Nürnberg. Auf knapp 24.000 Quadratmetern fertigen hier über 1.100 Mitarbeiter Hightech-Produkte, zum Teil unter Reinraumbedingungen der höchsten Stufe. Die Historie ist vor dem Hintergrund automobiler Entwicklungen beachtlich, denn bereits 1991 verließen hier die ersten Parksensoren das Werk. Und klar beherrscht man hier auch weiterhin das Thema Ultraschallsensorik. Aber eben auch alle weiteren Produkte, derer es für die Stufen des automatisierten und künftig autonomen Fahrens bedarf: Kamera, Radar und als Alleinstellungsmerkmal auch Lidar, betont Markus Hein, Senior Site General Manager Wemding.
Der Werkleiter nennt dieHerausforderungen: Zum einen gelte es, die Kundenwünsche über den gesamten Lebenszyklus im Portfolio zu berücksichtigen, zudem die dazu erforderliche Standardisierung, um die Produktkomplexität zu beherrschen, sowie zum anderen die Entwicklungszeiten möglichst gering zu halten. In Wemding habe man sich daher zu einem modularen Design der Fabrik mit verschiedenen Zellen entschieden. Valeo nennt dies „Assembly of Line via Combination“, wodurch ein Maximum an Flexibilität gewährleistet werden soll.
Alle relevanten Leiterplatten werden selbst bestückt
Ein erster Gang durchs Werk führt in die Elektronikfertigung. Da man intern Lieferant für Leiterplatten sei, fertige man nahezu alle selbst, erklärt Elektronik-Experte Jochen Vallon. Die Prozessschritte sind hoch standardisiert – vom Applizieren der Paste via Luftkonvektion über das Löten im Reflow-Ofen bis hin zur KI-unterstützten Inspektion. Valeo bestückt alle notwendigen Leiterplatten selbst. Hierfür kommen Dual-Lines der SMD-Fertigung zum Einsatz, welche beide Seiten der Leiterplatten gleichzeitig verarbeiten. Valeo achtet hier auf eine optimale Linienkonfiguration, sodass man die gigantische Jahresleistung von derzeit 6,2 Milliarden Bauteilen auch bewältigt – auf einen Arbeitstag rückgerechnet ergibt dies 25 Millionen elektronische Bauteile. In den kommenden fünf Jahren rechnet man beim Zulieferer gar mit einer Jahresleistung von zwölf Milliarden.
Für die Fertigung derDomain Controller werden die getesteten Leiterplatten zur sogenannten Flashing-Station geleitet. Valeo setzt zur Fertigung auf modulare, standardisierte und wiederverwendbare Zellen. Dadurch erhalte man eine größtmögliche Flexibilität und im Falle von Maintenance-Arbeiten eben auch Unabhängigkeit. Valeo hat dieses Konzept erdacht und in Zusammenarbeit mit seinem Anlagenbauer entwickelt und umgesetzt. Gewachsen sei das Geschäft mit Domain-Controllern aus dem Ultraschallbereich, in dem einfache Steuergeräte für Einparksysteme gefertigt wurden, erläutert Markus Hein. Komplexere Fusion-Steuergeräte waren der nächste Schritt. Weiterentwicklungen integrieren mehrere Funktionen zugleich, denn als ADAS-Domain-Controller übernehmen die Hochleistungsrechner dabei die Verarbeitung und Steuerung riesiger Datenmengen. Nicht ohne Grund konnte der Zulieferer daher wohl einen Großauftrag von BMW an Land ziehen. Der umfasst Domain-Controller, Sensoren und Software für die Fahrzeuge der gerade durchstartenden Neuen Klasse.
Fertigung von Ultraschallsensoren hat große Tradition
Nebenan erblicken klassische Ultraschallsensoren das Licht der Welt. Seit 1991 wurden über eine halbe Milliarde Einheiten im dienstältesten Bereich des Standorts hergestellt, die sogenannten USV-Sensoren. Valeo betreibt derzeit fünf Linien, die Taktzeit beträgt 3,1 Sekunden. Auf 50 Metern Länge integriert man elf Prozessschritte – vom Kleben der Piezoscheiben in die Membrane, über den mittlerweile flussmittelfreien Kontaktierprozess bis hin zum Check, der Beschriftung sowie der automatisierten Verpackung.
Auffällig ist der hohe Automatisierungsgrad sowie die Qualitätssicherung mit Hilfe von Kameratechnik. Beim Zwischenbau der sogenannten ZUS-Membran etwa lassen sich Mikrorisse und Oberflächenkratzer durch eine Kombination aus klassischen Algorithmen und künstlicher Intelligenz unterscheiden. Nachdem diese dank Kameralokalisierung vollautomatisiert mit Gehäuse, Stopfen und Deckel versehen wurde, erfolgt schließlich auch beim ZUS-Wandler eine KI-Endprüfung der Drahtlage sowie des Lötpastenauftrags. Die Endabnahme wurde früher manuell vorgenommen, nun übernehmen dies diverse Vision-Systeme, bevor letztlich auch die Membran mittels Shape-from-Shading aus vier Kamerawinkeln überprüft wird. Im Rahmen der Ultraschallfertigung steht den Experten zufolge eine sechste Linie in den Startlöchern.
Kamera- und Lidarproduktionen sind Highlights
In der Kamerafertigungbetreibt Valeo vier Linien. Das Unternehmen hat bereits vor 21 Jahren die Produktion von Frontkameras aufgenommen und ist also auch hier einer der etablierten Player. Pro Jahr erreicht das Unternehmen eine Stückzahl von 3,5 Millionen. Vereinfacht gesagt werden hier die Kernbauteile Gehäuse, Imager, Flexkabel und Linse zusammengeführt. Das Optikmodul entsteht unter Reinraumbedingungen. Damit die Systeme im späteren Alltagseinsatz exakt funktionieren, darf es in der Fertigung weder zu Verunreinigungen noch zu Abweichungen der Linsenlage kommen. Insbesondere für Letzteres sorgt ein Sechsachsensystem, das die Linse exakt zum Chip hin ausrichtet.
Nahezu alle Fahrzeuge, die bereits heute mit Lidar-Sensoren ausgestattet sind, werden laut Unternehmensangaben mit Technologie aus dem bayerischen Wemding bestückt. Bereits im Jahr 2010 fiel die Entscheidung für die Technologie, ohne die vielen Experten zufolge kein sicheres und redundantes autonomes Fahren möglich wäre. 2015 wurde am Standort schließlich die erste Anlage aufgebaut, der SOP des sogenannten Lidars vom Typ Scala 1 erfolgte 2017. 2019 kam Scala 2 hinzu, mit dem jüngsten System Scala 3 werden hier nun drei Generationen montiert. „Für eine gemeinsame Linie ist die Innovation schlicht zu groß“, erklärt Markus Hein. Im Reinraum findet derJustage-Prozess des Optikmoduls statt, der ein hohes Maß an Sauberkeit und Präzision zugleich erfordert. Hier findet sich die Antwort auf die Frage, weshalb die Massenfertigung von Lidar nur derart spezialisierte Unternehmen wie Valeo bewerkstelligen. Denn für Lidar braucht es schlicht ein hohes Maß an Sauberkeit und Präzision zugleich, die mal nicht eben so bereitgestellt werden kann.
Bei der Montage des Optikmoduls wird der Laser auf die Linse fokussiert, der Empfängerchip vorbereitet und der Sender auf den Empfänger ausgerichtet. Ebenfalls vormontiert werden Rotor und Leiterplatten des Lidar-Sensors. An der Rotorlinie werden zu Beginn zwei Spiegel pro Rotor verklebt, eine Plasmareinigung durchgeführt und die Ebenheit geprüft. Danach wird der Rotor auf den Motor montiert und die Baugruppe automatisiert verschraubt. Mit dem Scala 2 hielt die Hochautomatisierung auch Einzug bei den Schraubprozessen.
Lessons learned für weitere Automatisierung
Die Erfahrung in der Industrialisierung von Lidar ist wohl bei keinem anderen Unternehmen so groß wie bei Valeo. Aus den komplexen Prozessen der ersten Generationen habe man einige Lehren für die höhere Automatisierung der nächsten Generation gezogen, erläutert Werkexperte Hein. Immer weiter will man indes am Standort den Automatisierungs- und Digitalisierungsgrad steigern. So zieht sich ein Traceability-System durch alle Fertigungsbereiche und sammelt logistische Daten für das einzelne Produkt sowie Prozess- und Qualitätsdaten zur Optimierung und Effizienzsteigerung der Linien. Als einen nächsten Schritt will man die Intralogistik und das Warehouse-Management für die Elektronikfertigung automatisieren. Vorgesehen ist ein Schienensystem oberhalb der Produktion, das sich mit seinen Übergabestationen vom Logistikgebäude bis zur Elektronikfertigung zieht und eine maximale Ausnutzung der vorhandenen Flächen bietet.