Wie Europas Autobauer durch die Zollkrise navigieren
Ian HenryIanHenry
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Neben dem neuen EX90 könnte Volvo in seinem US-Werk in Charleston künftig auch den Plugin-Hybrid SC60 produzieren.(Bild: Volvo)
Die europäische Autoindustrie steht momentan vor einer Vielzahl von Herausforderungen – eine der größten aktuell sicher die von US-Präsident Trump verhängten Zölle. OEMs überprüfen nun ihre Exportstrategien und Produktionsnetzwerke.
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Mit der Zollpolitik von Präsident Donald Trump Schritt zu halten, war in den letzten Monaten alles andere als einfach. Während der Autor diese Zeilen schreibt, unterliegen in die USA importierte Autos und Komponenten einem pauschalen Zollsatz von 25 Prozent – mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen. US-amerikanische und kanadische Fahrzeuge sowie zugehörige Komponenten können die Zölle – ganz oder teilweise – vermeiden, wenn sie die Bestimmungen des USMCA-Handelsabkommens (United States-Mexico-Canada-Agreement) erfüllen, das während Trumps erster Amtszeit zwischen den drei Ländern unterzeichnet wurde.
Viele in Kanada und Mexiko hergestellte Fahrzeuge (einschließlich vieler Modelle japanischer, koreanischer und europäischer Hersteller) erfüllen diese Bestimmungen jedoch nicht, sodass Zölle erhoben werden. Toyota, Honda und Hyundai haben insbesondere auf das neue Zollregime reagiert, indem sie Teile ihrer Produktion in ihre US-Werke verlegt haben oder dies planen – obwohl Zölle auf Komponenten in vielen Fällen weiterhin bestehen bleiben.
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Hat Großbritannien einen Brexit-Vorteil?
Für die Europäer stellt dies eine komplexe Herausforderung dar. Für einige, insbesondere Jaguar Land Rover oder andere Premiumhersteller mit geringem Volumen aus Großbritannien, wäre eine Produktionsverlagerung in die USA weder einfach noch schnell umsetzbar – und höchstwahrscheinlich wirtschaftlich nicht sinnvoll. Für britische Unternehmen könnte daher die zwischen den Regierungen der USA und Großbritanniens ausgehandelte Ausnahmeregelung, die britischen Herstellern einen Zollsatz von zehn Prozent auf die ersten 100.000 jährlich in die USA exportierten Fahrzeuge gewährt, ein unerwarteter Brexit-Vorteil sein. Denn es ist kaum vorstellbar, dass Großbritannien von diesem Zollsatz profitiert hätte, wenn es noch Teil der EU gewesen wäre.
Es ist jedoch anzumerken, dass Großbritannien zwar einen – möglicherweise nur vorübergehenden – Vorteil gegenüber Europa und dem Rest der Welt hat, denn der 10-Prozent-Satz ist viermal höher ist als der 2,5-Prozent-Zollsatz, den Autohersteller zu Beginn des Jahres und viele Jahre zuvor gezahlt haben.
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Trump-Brief: Neue Zölle ab 1. August 2025
.(Bild: The White House)
Ab dem 1. August sollen auf Importe aus der Europäischen Union und Mexiko Zölle in Höhe von 30 Prozent erhoben werden. Das gab US-Präsident Donald Trump über seine Plattform Truth Social bekannt. In einem dort veröffentlichten Brief bezeichnete Trump das Handelsdefizit der USA gegenüber der EU als Gefahr für die nationale Sicherheit.
Laut Recherche der Deutschen Presse-Agentur gilt der neue Zollsatz allerdings nicht für bestimmte Warengruppen wie Autos, Stahl oder Aluminium. Bislang belegen die USA importierte EU-Autos und -Autoteile mit einem Zollsatz von 25 Prozent, bei Stahl und Aluminiumeinfuhren sind es 50 Prozent.
Quelle: dpa
Zufälligerweise exportierte Großbritannien im vergangenen Jahr etwas mehr als 100.000 Fahrzeuge in die USA, sodass diese Zahl in den Verhandlungen zwischen dem UK und den USA nahelag. In optimistischer – vielleicht naiver – Haltung hofft die britische Regierung, die 100.000-Einheiten-Grenze erhöhen zu können. Angesichts der Neigung des amtierenden Präsidenten, unerwartete politische Kehrtwenden vorzunehmen, wäre es jedoch womöglich schon eine Leistung, einfach nur das bestehende Kontingent zu halten. Derzeit ist nicht bekannt, wie die 100.000 Einheiten auf die britischen Autohersteller aufgeteilt werden.
Vermutlich wäre eine Aufsplittung entsprechend den ungefähren Exportanteilen des Vorjahres ein sinnvoller Ausgangspunkt. Allerdings könnte sich Toyota über eine solche Regelung ärgern, da dies bedeuten könnte, dass keine reduzierte Zollrate für die 10.000 Einheiten des Corolla GR-Hochleistungsmodells gilt, das ab dem nächsten Jahr in Großbritannien für den Export in die USA gebaut werden soll. Hinter den Kulissen laufen vermutlich bereits Verhandlungen.
Kosten steigen, Optionen werden weniger
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Die kontinentalen Autobauer stehen dagegen vor der Wahl, Teile ihrer Produktion in die USA zu verlagern – dort wo Einrichtungen und Standorte es zulassen –, steigende Preise für exportierte Fahrzeuge in Kauf zu nehmen oder möglicherweise einige Modelle gar nicht mehr auf dem US-Markt anzubieten.
Bereits zwei OEMs – Volvo und Mercedes – haben Pläne angekündigt, Teile ihrer Produktion von Europa in die USA zu verlegen. Audi erwägt ebenfalls entsprechende Schritte, und auch BMW zieht dies offenbar in Betracht, hat jedoch noch keine Pläne öffentlich gemacht. Stellantis stellt dem Vernehmen nach gleich die gesamte Zukunft von zwei Marken – Alfa Romeo und Maserati – auf den Prüfstand, die den Großteil der US-Exporte des Konzerns ausmachen.
In Tuscaloosa baut Mercedes seit neuestem das E-SUV EQS. 2027 könnte der bislang ausschließlich importierte GLC ebenfalls in Alabama vom Band laufen.(Bild: Mercedes-Benz)
Volvo und Mercedes verlagern Produktion
Volvo verlagert die Produktion des XC60 PHEV in sein US-Werk in Charleston, South Carolina, aus zwei Gründen: Erstens ist es das importstärkste Modell von Volvo in den USA und damit die größte Einzelquelle zur Reduzierung der Zollbelastung. Zweitens arbeitet das US-Werk von Volvo wegen schlechter Verkaufszahlen der inzwischen eingestellten Limousine S60 und des kürzlich eingeführten Elektro-SUV EX90 derzeit mit weniger als 20 Prozent Auslastung. Obwohl Volvo nun auch den Polestar 3 produziert, reichen die Stückzahlen nicht aus, um die Kapazität des Werks voll auszunutzen.
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Daher kommt die pragmatische Entscheidung, den XC60 in den USA zu bauen. Dies entzieht natürlich der europäischen Produktionsbasis von Volvo Volumen und reduziert dort die Auslastung. Und obwohl eine Erhöhung der Fahrzeugproduktion in den USA auf einer Ebene zweifellos hilfreich ist, muss Volvo weiterhin Zölle auf importierte Komponenten zahlen – die Zölle lassen sich also nicht vollständig vermeiden.
Zudem wird Mercedes ab 2027 den Import des GLC aus Deutschland aussetzen – dieser machte im vergangenen Jahr rund 64.000 der insgesamt rund 202.000 Mercedes-Importe in die USA aus – und das Modell in Tuscaloosa, Alabama, produzieren. Bis zur Produktionsaufnahme 2027 müssen jedoch weiterhin Zölle auf dieses Modell gezahlt werden.
Während bei Volvo alle aus Europa verlagerten Modelle in der bestehenden Werkstruktur untergebracht werden, wird Mercedes die Kapazität in Tuscaloosa auf fast 400.000 Einheiten pro Jahr erhöhen, um den GLC dort fertigen zu können. Die Aufnahme des GLC in das Produktionsprogramm von Tuscaloosa wird sich wiederum auf das Volumen und die Auslastung des Mercedes-Werks in Bremen auswirken, wo derzeit die meisten GLC-Modelle gefertigt werden.
Derweil berichten Quellen, dass BMW weitere Investitionen in sein US-Werk in Spartanburg – das bereits größte BMW-Werk weltweit – in Erwägung zieht. Welche Modelle dort zusätzlich produziert werden könnten, ist derzeit unklar. Zwar gibt es keinen offiziellen Zeitplan für diese mögliche Investition, Berichten zufolge könnte sie aber zusätzliche 80.000 Einheiten Kapazität schaffen und das Produktionspotenzial des Werks auf über 500.000 Einheiten pro Jahr erhöhen.
Außerdem könnte Audi die Produktion des Q4 für den US-Markt – bisher knapp 12.000 Einheiten – in die USA verlagern, um die Auslastung des Volkswagen-Werks in Tennessee zu steigern. Der Q4 teilt sich viele Komponenten mit dem ID.4, was die Produktionsverlagerung in die USA erleichtern würde. Zudem rangiert der ID.4 branchenweit auf Platz 10 beim US-Anteil in der Wertschöpfungskette, was ein weiterer bedeutender Vorteil wäre, um potenzielle Zölle auf importierte Q4-Komponenten zu reduzieren oder ganz zu vermeiden.
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Direkter Weg zu Zollverhandlungen
Erwähnenswert ist auch, dass sowohl VW als auch BMW angegeben haben, direkt mit der US-Regierung über Zölle zu verhandeln – und dabei ihre umfangreichen Investitionen in den USA in den Vordergrund stellen. Ob es diesen oder anderen Herstellern gelingt, dadurch Ausnahmen von US-Zöllen zu erreichen, bleibt abzuwarten.
Der Audi Q4 teilt sich viele Komponenten mit dem ID.4, was eine Verlagerung eines Teils der Q4-Produktion in die USA erleichtern würde.(Bild: Volkswagen)
Abgesehen von den deutschen Herstellern und Volvo gibt es keine nennenswerten Hinweise auf eine Produktionsverlagerung von Europa in die USA. Weder Renault noch Nissan exportieren Fahrzeuge aus Europa in die USA, und auch Stellantis exportiert nur in begrenztem Umfang. Diese geringen Volumina rechtfertigen keine US-Produktion. Die US-Importe von Maserati und anderen Alfa-Modellen belaufen sich auf weniger als 50.000 Einheiten pro Jahr – eine Produktionsverlagerung wäre wirtschaftlich nicht tragfähig.
Noch bedenklicher: Aufgrund der geringen weltweiten Volumina dieser Marken hat Stellantis das Beratungsunternehmen McKinsey damit beauftragt, Empfehlungen zur langfristigen Zukunft der Marken zu geben – auch eine Veräußerung steht im Raum.