Ein Mann schaut mit einer Checkliste auf einen roten Toyota Yaris in der Pkw-Fertigung.

Aufgrund größerer Lagerbestände kam Toyota im Branchenvergleich recht gut durch die erste Phase der Chipkrise. (Bild: Toyota)

Zeitarbeit, Werksschließungen, Absatzschwund – das alles kommt der Automobilbranche bereits aus dem Coronajahr 2020 sehr bekannt vor. Und auch 2021 hat dieser desaströse Dreiklang immer noch Bestand. Schuld daran sind dieses Mal nicht Lockdowns und wirtschaftliche Verwerfungen, hervorgerufen durch die Pandemie, sondern ein anderes globales Phänomen, das der Weltwirtschaft zu schaffen macht: die Halbleiterkrise. Obschon der Rohstoff bereits in der Vergangenheit ein rares Gut war, brachte die Coronakrise den Chipmarkt vollends durcheinander.

Während die Autoindustrie in der Hochphase von Covid-19 ihre Produktion herunterfuhr und Halbleiterbestellungen reduzierte oder gar stornierte, dürsteten die großen Tech-Player nach mehr Chips: Deren Produkte wurden im Gegensatz zum Luxusgut Fahrzeug stärker nachgefragt als jemals zuvor. Für die Autoindustrie, die erst zu Beginn des Jahres wieder ins Rollen kam, blieben da nur Restbestände. Eine ungewohnte Rolle für eine erfolgsverwöhnte Branche: Auf dem Halbleitermarkt ist sie im Vergleich zur Tech-Industrie lediglich ein kleines Licht und muss sich vorerst hinten anstellen.

Volkswagen verliert mehr als 800.000 Fahrzeuge

Verschärfend kommt hinzu, dass die Automotive-Player auf ältere Chiptechnologien setzen, die bei den Herstellern mittlerweile eher ein Nischenprodukt sind. Denn obwohl große Halbleiterakteure wie Intel, Samsung oder Qualcomm ihre Produktion massiv ausbauen und große Investitionen angekündigt haben, fließt das Geld in der Regel in die neuesten Chipgenerationen. Doch bis die Autobauer auf diese Technologien umschwenken, wird noch einige Zeit ins Land gehen, prognostiziert Henner Lehne, Vice President of Global Vehicle Forecasting bei den Londoner Marktanalysten von IHS Markit. Bis dahin lesen sich die Geschäftsberichte der großen Automobilisten wie Horrorgeschichten: Allein der Volkswagen-Konzern rechnet in diesem Jahr mit einem Produktionsausfall in Höhe von mehr als 800.000 Fahrzeugen.

Und auch bei anderen Schwergewichten der Industrie sieht die Lage nicht besser aus: In den ersten drei Monaten des Jahres beliefen sich die Produktionsausfälle bei der Opel-Mutter Stellantis auf elf Prozent der Gesamtkapazität oder 190.000 Fahrzeuge. Selbst Branchenprimus Toyota, der mit höheren Lagerbeständen und einer etwas weitsichtigeren Einkaufspolitik die Krise anfänglich etwas entschärfen konnte, droht nun ein spürbarer Produktionsausfall. In den ersten neun Monaten des Kalenderjahres hat Toyota weltweit 7,97 Millionen Fahrzeuge verkauft, was einem Plus von 19,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht. Die Kernmarke steuerte mit 7,31 Millionen Autos den Löwenanteil zu den Verkäufen bei.

US-Autobauer trifft Chipkrise unterschiedlich

Bei den US-Größen Ford und General Motors sieht die Gemengelage dagegen unterschiedlich aus. Für das Gesamtjahr 2021 rechnet Ford nun mit einem bereinigten Betriebsergebnis zwischen 10,5 Milliarden und 11,5 Milliarden US-Dollar. Die bisherige Prognose hatte bei maximal zehn Milliarden gelegen. Im vergangenen Vierteljahr sanken Gewinn und Umsatz angesichts der durch den Halbleitermangel geschwächten Produktion zwar stark, aber weniger als von Analysten angenommen. Ford erklärte zudem, dass sich die Versorgungslage inzwischen deutlich entspannt habe. Unterm Strich verdiente das Unternehmen im Quartal 1,8 Milliarden US-Dollar. Das waren rund 600 Millionen weniger als vor einem Jahr, als der US-Automarkt ein Comeback nach dem ersten Coronaschock feierte.

Eine US-Flagge weht vor der Firmenzentrale von General Motors.
Die US-Autobauer stecken die Halbleiterkrise unterschiedlich weg: Während Ford stabile Zahlen vorweist, hat der Chipmangel GM in eine tiefe Krise gestürzt. (Bild: General Motors)

Größtes Sorgenkind in den USA bleibt General Motors. Im dritten Quartal verdiente der Konzern nach eigenen Angaben unterm Strich 2,4 Milliarden US-Dollar und damit über 40 Prozent weniger als vor einem Jahr. Der Umsatz sank um rund ein Viertel auf 26,8 Milliarden Dollar. Und auf dem Heimatmarkt zog bei den Absatzzahlen Toyota vorbei. Beim japanischen Branchenriesen legte der US-Absatz im dritten Quartal um 1,4 Prozent auf gut 566.000 Fahrzeuge zu. Von Januar bis September 2021 kommt Toyota nun auf knapp 1,858 Millionen verkaufte Einheiten – GM liegt mit 1,777 Millionen deutlich dahinter.

Chipkrise sorgt in China für Licht und Schatten

Auch Hoffnungsträger wie China konnten die Verluste auf anderen Absatzmärkten nicht auffangen. Hier sank das Produktionsvolumen bereits während der Hochphase der Pandemie um mehr als vier Prozent auf 23,4 Millionen Pkw. Im aktuellen Jahr wird dieser Negativwert wohl noch einmal unterschritten. So prognostiziert das Beratungshaus FalkenSteg, dass im Reich der Mitte im Jahr 2021 nur 23,1 Millionen Fahrzeuge gefertigt werden. Im September wurden in China rund 1,75 Millionen Pkw verkauft. Im Vergleich zum Vorjahresmonat 2020 entspricht dies einem Rückgang von etwa 16,5 Prozent.

Gleichwohl ist der weltgrößte Absatzmarkt der Welt auch für deutsche Autobauer nach wie vor ein wichtiger Baustein für den Erfolg. Ohne diesen Markt sähen die Absatzzahlen wohl noch deutlich dramatischer aus. So sanken die Abverkäufe auf dem deutschen Heimatmarkt noch deutlich stärker. Laut Kraftfahrtbundesamt wurden im September 2021 lediglich 196.972 Pkw neu zugelassen. Das sind 25,7 Prozent weniger als im September des Vorjahres. Für das gesamte Jahr 2021 lagen die Zulassungszahlen hierzulande aufgrund des Halbleitermangels bisher etwa 25 Prozent hinter dem Vorkrisenjahr 2019 zurück.

Ein Ende der Misere ist nicht in Sicht. Die FalkenSteg-Analysten rechnen damit, dass sich die Chipkrise bis zum Jahr 2023 strecken wird. In einer aktuellen Erhebung für dieses Jahr rechnen sie mit einem globalen Produktionsvolumen in Höhe von 75,57 Millionen Fahrzeugen, ein Minus von 6,2 Prozent oder fünf Millionen nicht produzierter Pkw im Vergleich zu ersten Jahresprognosen. Im kommenden Jahr könnte das Loch mit 9,3 Prozent beziehungsweise 8,4 Millionen nicht produzierten Einheiten noch größer ausfallen. Im Jahr 2023 soll sich die Situation allmählich entspannen, dennoch könnte am Jahresende noch ein Minus von 1,1 Prozent in den Büchern stehen.

Halbleitermangel erhöht Druck auf Zulieferer

Der Chipmangel trifft die gesamte Automobilbranche in einer schwierigen Gemengelage: Nach den Corona-Absatzeinbrüchen – die Zulassungszahlen sanken zum Teil im zweistelligen Prozentbereich – würgt die Halbleiterkrise nun den lange erhofften Aufschwung ab. Und während die Premiumhersteller die Verluste durch die Produktionsausfälle mit dem Verkauf von Hoch-Margen-Fahrzeugen abfedern können, steht insbesondere den kleinen und mittelständischen Zulieferern eine schwere Zeit bevor. Denn mit dem schwindenden Produktionsvolumen fallen auch die Komponenten weg, die Autobauer bei den Suppliern geordert haben. Schwergewichte wie Bosch, Continental oder Magna können da noch auf andere Technologiebereiche verweisen.

Bosch beispielsweise investiert mittlerweile selbst groß in den Ausbau der Halbleiterproduktion. Erst in diesem Sommer eröffnete der Zulieferer aus Stuttgart Feuerbach in Dresden eine eigene Chipfabrik. „Es ist für Bosch von strategischer Bedeutung, Halbleiter als eine Kerntechnologie selbst zu entwickeln und zu fertigen“, betonte der scheidende Bosch-CEO Volkmar Denner. Bereits seit 1958 produziert das Unternehmen Halbleiter selbst. Seit der Einführung der 200-Millimeter-Technologie im Jahr 2010 hat Bosch mehr als 2,5 Milliarden Euro in seine Halbleiterfertigungen in Reutlingen und Dresden investiert. Und auch 2022 sollen in die Standorte mehr als 400 Millionen Euro gesteckt werden.

Für die Branche bleibt zu hoffen, dass die aktuelle Chipkrise für ein Umdenken sorgt. So gab es bereits nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima Bestrebungen, die verzweigten globalen Lieferketten zu verschlanken und die Just-in-time-Belieferung einzudämmen, um Lieferschwierigkeiten durch Naturkatastrophen zu umgehen. Der Kostendruck war jedoch zu hoch und die Ideen für schlankere Logistikprozesse wurden schnell wieder verworfen. Zehn Jahre später steht die Autoindus­trie mit den Nachwirkungen der Coronapandemie und der Halbleiterkrise nun genau wieder am selben Punkt. Aktuell beschränkt sich die Strategie der Automotive-Player auf das Prinzip Hoffnung und damit lässt sich nur schwerlich ein tragfähiges Geschäftsmodell aufbauen. Denn eine Krise kommt selten allein.

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