Mehr noch als Tesla selbst scheint dessen CEO Elon Musk unverändert über allem zu schweben. Auch der Umzug von Kalifornien nach Texas oder das Eingeständnis, dass der elektrische Tesla-Pickup als Hoffnungsträger nun deutlich nach den Wettbewerbern Ford F-150 Lightning und Rivian R1T auf den Markt kommt, scheint dem charismatischen Musk die Stimmung nicht verleiden zu können. Obwohl die US-Fertigung ohne größere Probleme läuft, sich die Produktion in China stabilisiert und auch das Europa-Werk nahe Berlin auf die Fertigstellung zusteuert, bekommt Tesla Druck von allen Seiten.
Dafür sorgen Großkonzerne wie Volkswagen, Stellantis, General Motors und Ford, die aus ihrem Elektroschlaf erwacht sind und nunmehr sukzessive Modelle mit Stecker auf den Markt bringen, die genauso gut oder besser sind als das Doppelpack aus Model S und Model X. Tesla fehlen die großen und ertragreichen Modelle, denn bei Model 3 und Model Y bleibt deutlich weniger Geld hängen als bei den großen Brüdern.
Nio will von Norwegen aus Europa erobern
Und so schauen die Tesla-Verantwortlichen eher im Geheimen mit Argwohn zu Ford oder General Motors, aber auch zu den kleineren Startups wie Nio, Rivian und Lucid, die ihre Modelle nach verschiedenen Verzögerungen im kommenden Jahr endlich zum Kunden schaffen wollen.
Gerade bei Nio läuft es nach der ein oder anderen Hängepartie in den vergangenen Jahren besser denn je. Im September eröffnete der chinesische Autobauer in Oslo sein erstes Nio House in Europa. Anders als die Konkurrenz wollen die Chinesen aber keinen repräsentativen Prunkpalast in die Stadtmitte pflanzen, um ihre Produkte möglichst publikumswirksam zu präsentieren, das Areal soll eine Begegnungsstätte für Nio-Fans werden.
Das ist ganz im Sinne des Gründers William Li, der den Gemeinsamkeitsgedanken als elementares Bauteil seiner Firma sieht. Schließlich können die Nio-Fahrer und -Kunden auch direkt mit ihm per App kommunizieren und ihre Wünsche und Anregungen formulieren. „Die Firmen, die zuhören, sind erfolgreich“, sagt Hui Zhang, Group Vice President bei Nio. So ist es in China, so soll es in Europa sein, wo Norwegen als Blaupause für den Tigersprung in das Herz der alten Welt dient.
Nio will Audi, BMW und Mercedes Kunden abjagen
Los geht es im skandinavischen Land mit dem vollelektrischen ES8. Nach dem Norwegen-Launch folgt im vierten Quartal des nächsten Jahres eine erste Welle von weiteren Ländern. Neben Schweden, den Niederlanden und der Schweiz soll auch Deutschland in die Nio-Gemeinde aufgenommen werden. Die Speerspitze bildet da die Limousine Nio ET7, die die Erprobungsfahrten absolviert hat und Ende des Jahres in China an die Kunden ausgeliefert wird.
„Man hat nur einmal die Gelegenheit, einen ersten Eindruck zu hinterlassen“, weiß Europachef Oliver Schwarz. Schließlich versteht sich Nio als Premiummarke und will Audi, BMW und Mercedes Kunden abluchsen. Die Chinesen wollen sowohl die Wechselbatterientechnik als auch klassische 180-kW-Schnelllader nach Deutschland bringen. In China existieren bereits 470 solcher Wechselstationen, die mittlerweile 13 Ersatzakkumodule beherbergen und nur noch den Platz von vier Parkplätzen benötigen. Die chinesische Regierung hat diese Technologie als wichtig gekennzeichnet und mittlerweile setzen auch Geely und SAIC auf diese Technik. Wer lieber das Ladekabel in die eigene Hand nimmt, soll auch in Europa dazu die Möglichkeit haben.
Lucid blickt auch nach Fernost
In der gleichen Fahrzeugklasse wie der Nio ET7 tritt Lucid mit seinem Air an. Auch die elektrische Luxuslimousine aus den USA hat zumindest für Experten schon einige Jahre auf dem Buckel. Nachdem es frisches Geld vom saudischen Staatsfond gab, sollen die Verkäufe in den USA Ende des Jahres starten, Mitte 2022 ist der Verkauf in Europa geplant.
Die neue Produktionsstätte in Casa Grande, Arizona, soll im kommenden Jahr mindestens 20.000 Fahrzeuge fertigen und dann sukzessive auf bis zu 150.000 Fahrzeuge hochfahren. „Die Rückmeldungen der Kunden waren bisher bestens. „Wir sind sehr zufrieden“, sagt Lucid-Chefdesigner Derek Jenkins, „unser Startmodell, die besonders exklusive Dream Edition mit rund 500 Fahrzeugen, ist bereits ausverkauft.“
Rivian positioniert sich gegen Teslas Cybertruck
Es darf jedoch bezweifelt werden, ob es lohnt, den Lucid Air, der in einem Preisspektrum zwischen 80.000 und 170.000 Dollar auf seinem Heimatmarkt angeboten wird, aus den USA nach China zu exportieren. Hier würde eine Auftragsfertigung mehr Sinn machen, um die hohen Strafzölle zu umgehen. Das Modellportfolio soll bereits 2023 um einen elektrischen SUV erweitert werden, der auf der gleichen Plattform unterwegs ist und ebenfalls in Arizona gefertigt werden soll.
Rivian setzt – natürlich ebenfalls elektrisch – auf das Thema Abenteuer. Die beiden jeweils bis zu 800 PS starken Modelle R1T und R1S, ein Pickup und ein großer SUV zu Preisen von jeweils rund 70.000 Dollar, innen wie außen puristisch gestylt, sollen zeigen, dass sich große Spaßautos und Umweltschutz nicht ausschließen. Und gleichzeitig macht man damit auch Teslas Cybertruck Konkurrenz.
Derweil wird der Tesla-Rivale das Produktionsziel von 1.200 Pickups in diesem Jahr wohl um einige Hundert Einheiten verfehlen. Die Produktion hochzufahren sei schwieriger als gedacht, betont Unternehmenschef Robert Scaringe in einer Analystenkonferenz. Derzeit leide Rivian unter Lieferengpässen bei einigen Komponenten, zu denen auch Halbleiter gehörten, schreibt das Handelsblatt über die Konferenz. Insgesamt handle es sich laut Scaringe aber um kurzfristig lösbare Probleme.