Die Automessen kämpfen seit Jahren mit schwindender Bedeutung und immer weiter sinkenden Besucherzahlen. Das liegt nicht nur am geringer werdenden Interesse am Thema Auto an sich oder einer regionalen Kritik am zunehmenden Individualverkehr, sondern auch daran, dass Kommunikationsplattformen vergangener Jahrzehnte wie Messen nicht mehr die Durchschlagskraft von einst haben. Man informiert sich heute per Tablet und Mobiltelefon online, rund um die Uhr und weltumspannend - da haben es Messen speziell auf gesättigten Märkten wie den USA oder Europa schwer, automobile Neuigkeiten in die Welt hinauszutragen.
Deutlich trendiger sind da Events und Conventions, die sich moderner on- wie offline präsentieren und das Auto als Teil des täglichen Lebens nur am Rande behandeln. So wurde für die internationalen Autohersteller und Zulieferer in den vergangenen Jahren die Consumer Electronic Show in Las Vegas ebenso zu einer neuen Plattform wie South by Southwest (SXSW) in Austin / Texas. Das in den späten 80er Jahren initiierte Musikfestival SXSW ist zu einem der wichtigsten Innovationskongresse geworden. Während der zehntägigen Veranstaltung geht es um Filme, Comedy, Musik, Technologie und die digitale Zukunft. Die Stimmung bei SXSW Interactive ist dabei in ihrer Art wohl einzigartig; das Publikum jung, offen, lernbegierig und zumindest nach eigenem Empfinden auf dem Weg nach oben. Hunderten von kunterbunten Vorträgen steht die noch farbenprächtigere Innenstadt von Austin gegenüber, die mehr als eine Woche zur wahren Partymeile wird - zumindest vor der Coronakrise.
Diese und viele ähnliche Veranstaltungen wurden durch die anhaltende Coronakrise gesprengt oder ins nächste Jahr verschoben. Die CES 2021 in Las Vegas wird nur zu einem kleinen Teil online stattfinden und rutscht sonst in den Januar 2022, weil die Veranstalter früher als von vielen erwartet die Reißleine zogen. Die IAA 2021 in München als neue Mobilitätsmesse statt des bisherigen reinen Autoformats in Frankfurt droht bereits ein Jahr vor dem Start zum Rohrkrepierer zu werden, aus dem viele Marken bereits jetzt allzu gerne aussteigen würden. Der Genfer Automobilsalon im Frühjahr 2021 wurde ebenfalls begraben. Seine Zukunft als einst wichtigste jährliche Automesse: mehr als ungewiss.
Offener für Neues sein
Um sich innovativ, weltoffen und möglichst CO2-neutral einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren, kommt einer vergleichsweise kleinen Veranstaltung wie dem Greentech Festival in Berlin in diesem Jahr eine ungewöhnlich große Aufmerksamkeit zu. Hersteller wie Skoda, Audi, BMW oder Hyundai präsentieren ihre neuen Elektromodelle hier eher am Rande - rufen die frohe Botschaft von einer nachhaltigen Mobilität jedoch laut in die Welt hinaus. Nico Rosberg, einer der Initiatoren der Veranstaltung, spricht von 35.000 Zuschauern an den Bildschirmen zu Hoch-Zeiten, dazu ein paar hundert Besucher mit Gesichtsmaske und Mindestabstand zu Gesprächspartnern und Bühne im Berliner Kraftwerk. "Audi hat ein klares Ziel", sagt Henrik Wenders, Senior Vice President Marke Audi, "wir wollen unsere Industrie dekarbonisieren. Wir sind tiefenindustrialisiert und wollen uns mit unserer 110-jährigen Geschichte innerhalb von 30 Jahren komplett dekarbonisieren. Es geht nicht nur um Elektrifizierung, sondern auch Zulieferketten, Recycling, neue Geschäftsmodelle oder die Produktion. Hier können wir unsere Ideen mit anderen teilen."
Skoda zeigt seinen elektrischen Hoffnungsträger Enyaq und BMW lässt es beim Greentech Festival spielerisch angehen und präsentiert den Besuchern seinen Formel-E-Boliden. Der Rennwagen vom Typ FE.20 dient BMW als rollendes Techniklabor für zukünftige elektrische Fahrzeuge. Hyundai lässt rund um das Berliner Kraftwerk nicht nur seine elektrischen Modelle rollen, sondern sucht ebenfalls den Austausch mit Gleichgesinnten. "Wir sind bei alternativen Antrieben vorn und glauben an eine nachhaltige Mobilität", erklärt Andreas-Christoph Hofmann, bei Hyundai verantwortlich für Marketing und Produkte, "wir haben viel investiert; gerade durch unsere Brennstoffzellentechnologie." In Ländern wie der Schweiz will der koreanische Konzern bis 2025 rund 1.600 Lastwagen mit Wasserstoffantrieb auf die Straße bringen. Das spart pro Lastwagen 65 Tonnen CO2 per Anno. "Ab 2030 wollen wir pro Jahr mindestens 700.000 Brennstoffzellen fertigen", legt Andreas-Christoph Hofmann nach, "dazu investieren wir allein sieben Milliarden Euro." Während sich bei einer Automesse zumeist ein Hersteller nach dem anderen auf der Bühne feiert, wird bei Veranstaltungen wie dem Greentech Festival auch einmal kontrovers diskutiert. Nikolaus Lang, Mobilitätsexperte der Boston Consulting Group fordert auf der Bühne unter anderem mehr Wasserstofftankstellen und Oberleitungen für Lastwagen - beides nicht ganz unumstritten in der Autobranche.
"Wir Europäer müssen offener für neues sein und mehr Gas geben", unterstreicht Henrik Wenders, "der Deutsche sucht immer nach dem Fehler, warum etwas nicht funktioniert. Wir haben das Know-how und die entsprechenden Lösungen." Audi arbeitet in seiner E-Tron-Fertigung in Brüssel bereits CO2-neutral. Bald sollen das Werk in Györ und bis 2025 alle weiteren Werke folgen. Fest steht, etablierte Autohersteller kommen beim eingeleiteten Paradigmenwechsel um die tatkräftige Unterstützung von kleinen, wendigen Entwicklerbuden nicht mehr herum. Diese sitzen nicht nur in Europa, den USA oder China, sondern zunehmend auch in Kleinstaaten wie Israel oder Singapur. Man trifft sich auf Conventions wie der weltweiten TED-Konferenz, dem Technik-Festival South by Southwest, dem Ecomotion Kongress in Tel Aviv oder eben auf dem Greentech Festival in Berlin. Es scheint so, als wären das die Automessen der Zukunft, real und virtuell - mit oder ohne Corona.