Mercedes-Designchef Gorden Wagener war mal wieder richtig in seinem Element. Zusammen mit seinem Kollegen Steffen Köhl zog er mit einer lässigen Handbewegung das Tuch von der "Vision Mercedes Simplex". Größer können die Schuhe für eine Studie nicht sein. Schließlich begann mit den Ur-Simplex im Jahr 1901 die Erfolgsgeschichte der Marke Mercedes-Benz so richtig. Emil Jellinek war maßgeblich daran beteiligt und verpasste dem Automobil den Namen seiner Tochter - Mercedes.

Die Studie spielt mit dem traditionsreichen Erbe und trägt es in die Gegenwart. Im Rücken der klassischen Sitzcouch befindet sich ein rotes LED-Band und unter ihr ist eine schicke Weekender-Tasche aus der Mercedes-Kollektion festgeschnallt. Das Cockpit ist reduziert und kommt mit ein paar Schaltern und einem Display aus, das den Fahrer mit allen relevanten Informationen versorgt. Auch wenn sich das Design an der Formensprache des berühmten Vorfahren orientiert, erfüllen viele Bauteile einen Zweck. Die Kotflügel sind aerodynamisch geformt und der schmucke "Kühlergrill" ist ein linsenförmigen Black Panel 3-D-Display mit einem Rahmen aus Roségold (statt Messing wie beim Klassiker), das als Kommunikationsfläche genutzt wird.

Das Antriebskonzept ist interessant. Die mächtigen weißen Felgen stehen still. Es drehen sich nur die dünnen Gummiräder (mit Mercedessternen als Profil) mittels eines Zahnkranzes. Der wird mit einer Welle angetrieben, die von einem Elektromotor (jeweils einer pro Rad) bewegt wird. Der Prototyp ist gelungen und mal eine Abwechslung zu den silbernen Zigarren oder futuristischen Raumgleitern. Eine Kleinserie dieses modernen Simplex würde sicher ihre Abnehmer finden.

Progressiver Luxus

Doch Wagener und sein Team haben diese Mercedes-Legende nicht ohne Grund mit neuem Leben erfüllt. In Nizza nimmt der schwäbische Autobauer ein Designzentrum in Betrieb (International Design Centre / IDC), ein weiteres nach Sindelfingen, Karlsbad und China. Das tubenförmige Gebäude mit den "schmucken" blanken Betonwänden stand acht Jahre leer und hat von dort Beschäftigten den Spitznamen "Nautilus" erhalten. Dort tüfteln die Designer an der neuen Form des Luxus, die Mercedes über die nächsten Jahre tragen und die Automobilmarke transformieren soll. Ähnlich, wie das der Ur-Simplex vor mehr als einem Jahrhundert von der (motorisierten) Pferdekutsche zum Automobil gemacht hat.

Ein ganz entscheidendes Merkmal für einen Premiumautobauer wie Mercedes ist dabei der Luxus und wie sich dieser verändert. Als das, was Wagener "Progressiven Luxus" nennt. "Wir bewegen uns weg vom industriellen Design hin zur Automotiven Haute Couture", sagt der Mercedes-Chefdesigner gewohnt wortgewaltig und fügt hinzu: "Eine ästhetische Seele ist der Schlüssel für langfristigen Erfolg von Luxusmarken." Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Designer klassischen Elemente mit modernen Trends kombinieren.

Keine Eindimensionalität

Auch in Zukunft werden Handwerkskunst und eine aufwendige Fertigung ein wichtiger Bestandteil des Mercedes-Markenerlebnisses sein. Allerdings wird sich die Konsistenz der Stoffe verändern und sich dem Empfinden und dem Geschmack der jeweiligen Märkte anpassen. Roségold ist so ein Beispiel, Sitzbezüge aus recyceltem Plastik ein anderes. "Wir schauen auf die Megatrends", erklärt Wagener. Natürlich wird es weiterhin feines Holzfurnier geben, das dem Boden einer Nobelyacht entspricht, auch der lederfreie Innenraum ist bei Mercedes kein Dogma, jedoch die Nachhaltigkeit der Materialien einen wichtigen Stellenwert einnehmen.

Wenn man aber den Luxus nur durch andere, nachhaltige Materialien definiert, würde man zu kurz greifen. Mit den neuen Technologien verändert sich auch das Verhältnis des Automobils zum Fahrer. War der Wagen bisher eine Maschine, die der Mensch bedient hat, soll das Automobil der Zukunft mehr Partner sein, die Vorlieben und Gewohnheiten der Passagiere kennen und vorhersagen kann. "Der Mensch soll entspannter aus dem Auto aussteigen, als er eingestiegen ist", verdeutlicht der gebürtige Essener Wagener.

Dabei spielt auch der Innenraum eine Rolle, bei dessen Gestaltung der Raum, der durch die Elektromobilität gewonnen wird, genutzt wird, um eine Leichtigkeit zu kreieren, die die Insassen erfasst. Wie das aussehen könnte, sieht man an der Fahrgastzelle der wichtigen Studie Mercedes EQS mit dem freischwebenden Tablet.

Sie möchten gerne weiterlesen?