Auf dem Bild Herr Dr. Oliver Kelkar und Stefano Esposito von MHP.

Dr. Oliver Kelkar (links) und Stefano Esposito (rechts) sind die Köpfe hinter der Studie „Digitale Transformation – Der Einfluss der Digitalisierung
auf die Workforce in der Automobilindustrie“, in der Porsche-Tochter MHP unter die Lupe nimmt, wie sich Industrie 4.0 auf die Automobilindustrie in Deutschland auswirken wird. Die Studie kann unter https://www.mhp.com/de/das-unternehmen/studien/ bei MHP kostenlos angefordert werden. (Bild: MHP)

AUTOMOBIL PRODUKTION: Herr Esposito, Herr Dr. Kelkar: fast die Hälfte der Jobs in der Automobilindustrie ist laut der MHP-Studie durch die Digitalisierung bis ins Jahr 2030 gefährdet. Bei dieser Zahl muss man schon schlucken. Wie war die Reaktion aus der  Branche?
Stefano Esposito: Eine heftige Reaktion der Branche gab es nicht, denn dort ist die Situation bekannt. Das Thema, welche Jobs weg fallen oder weg fallen könnten, steht weniger im Fokus der Branche.  Elektromobilität und Digitalisierung ziehen sicher mehr Aufmerksamkeit auf sich. Das sind die Themen, die die Mobilitätsbranche stark verändern werden. Dass sich dadurch Berufsbilder verändern und teilweise ganz verschwinden werden,  ist eher eine Folge.  Es geht letztlich darum, wie man sich auf den Wandel vorbereitet und ihn managt.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Dass das Thema in der Bildungspolitik, aber auch von den Unternehmen eher gelassen diskutiert wird, liegt das auch daran, dass es schon in den 80er/90er Jahren große Befürchtungen gab, der Computer könnte die menschliche Arbeitskraft verdrängen. Passiert ist letztlich nicht viel. Sieht man von inhaltlichen Verschiebungen ab, hat die Autoindustrie bis heute eine positive Beschäftigungsbilanz… 
Kelkar: Na ja, ich denke schon, dass es seit damals massive Veränderungen  gab. Es gibt einzelne Berufe, die über die vergangenen Jahre prozentual deutlich weniger geworden sind oder sich komplett gewandelt haben. Heute lernt kein Mensch mehr KfZ-Mechaniker, das ist heute der Mechatroniker. Dass man die Veränderung nicht in dem Maß wahrgenommen hat liegt vor allem daran, dass die Produktivitäte und der Markt so stark gewachsen ist, dass sich der Wandel letztlich nicht negativ in der der Beschäftigungsbilanz der Autoindustrie niedregeschlagen hat, sondern die Zahl der Mitarbeiter dort per saldo sogar gewachsen ist.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Warum wird es bei durch Industrie 4.0 anders laufen?
Kelkar: Es ist längst nicht gesagt, dass es anders läuft. Ja, die von uns in der Studie ermittelten 46 Prozent der Jobs sind bedroht, aber wir rechnen ja auch mit weiterem Wachstum. Und wir rechnen natürlich mit dem Entstehen neuer Beschäftigungsfelder. Es braucht schließlich auch Menschen, die künstliche Intelligenzsysteme entwickeln können, um nur mal ein Beispiel zu nennen…
Esposito: Nicht zu vergessen die demografische Entwicklung. Rechnet man diese Faktoren zusammen muss es zu keiner Reduzierung der absoluten Beschäftigungszahlen kommen. Wir bekommen durch Industrie 4.0 und den parallel sich vollziehenden Mobilitätswandel wieder mehr Produktivität, mehr Autos, mehr Dienstleistungen, mehr Services in der Autoindustrie was am Ende eine deutliche Verschiebung bei den Berufen bringen, nicht aber weniger Arbeit.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Aber Elektroautos sind deutlich weniger komplex und Experten gehen davon aus, dass es durch das autonome Fahren deutlich weniger Autos auf den Straßen geben wird. Dazu kommt die Automatisierung. Ist es da nicht zwangsläufig, dass am Ende des Wandels deutlich weniger Jobs stehen?
Kelkar:  Es ist schon richtig, dass beim Elektroauto viele Komponenten weg fallen. Ein Verbrennungsmotor hat über 1.000 Teile, der Elektromotor kommt mit unter 200 Teilen aus; Elektromotoren lassen sich zu 100 Prozent von Robotern fertigen, was beim Verbrenner nicht möglich ist. In diesem Bereich fällt ganz klar Arbeit weg. Käme die Elektromobilität schlagartig, wäre das ein Drama für den Beschäftigtenmarkt. Aber davon ist nicht auszugehen. Bei den anderen Feldern sieht es anders aus...

AUTOMOBIL PRODUKTION: Zum Beispiel…?
Kelkar:  Nehmen Sie Carsharing. Dadurch kommen absolut weniger Autos auf die Straße, aber durch die Doppelt- und Dreifachnutzung wird sich die Zeit, die die Fahrzeuge auf der Straße sind, deutlich verringern. Das heißt es kommt zu einem höheren Umschlag an Fahrzeugen und letztlich deutlich höherer Produktion. Anders sähe es nur aus, wenn die Menschen aufs Auto verzichten und auf Nahverkehr und Bahn umsteigen.….
Esposito: Nicht zu vergessen die autonomen Fahrzeuge. Diese werden auch deutlich kürzer genutzt als Privatfahrzeuge heute. Ich sehe das auch so: in Summer werden wir weniger Fahrzeuge auf den Straßen in den Städten haben, aber mehr produzieren.

Sie möchten gerne weiterlesen?