"Es ist möglich und wir glauben, dass wir es erreichen können. Wir denken, dass wir ein sehr solides Produktportfolio für die USA haben. Wir haben ein neues Marketingteam, das hart an der Markenerfahrung und der Marke arbeitet", sagt Konzernchef Herbert Diess, "wir glauben, dass es möglich ist - nicht in einer kurzen Zeit, vielleicht in einem Zehn-Jahres-Plan." Der VW-Chef bestätigt, dass in den nächsten zehn Jahren vier batterieelektrische Fahrzeuge für die USA vorgesehen sind. Zudem soll ein neues, kleineres Sport Utility Vehicle, das in China eingeführt wird, auch in den USA auf den Markt kommen, um hier die Angebotspalette an SUV zu verbreitern.
VW-USA-CEO Hinrich J. Woebcken ist seit zwei Jahren im Amt. Als der Dieselskandal auf dem Höhepunkt war, riskierte der deutsche Ex-BMW-Manager den Sprung in die USA und räumte jenseits des Atlantiks Schritt für Schritt auf, denn das Thema Diesel war nur eines der Probleme. Es haperte an der entsprechenden US-Modellpolitik, einer griffigen US-Strategie und so schnell als möglich musste das wankende VW-Schiff aus dem unsicheren Fahrwasser zwischen Premium und Massenmarke herausmanövriert werden. Es ging nicht um große Taten oder große Gesten, sondern solide Basisarbeit, die Marke wieder auf solide Räder zu bringen. An diesem Nachmittag in einem gesichtslosen Ballsaal sieht es in Colorado Springs nicht anders aus. Woebcken sitzt lässig da, steht gelassen Rede und Antwort. Dabei ist er unprätentiös, weicht selten aus und bemüht sich, die an ihn gestellten Fragen sachlich zu beantworten ohne sich dabei allzu sehr in die Karten schauen zu lassen.
"Es sieht gut aus und wir sind sehr zufrieden, denn es hat sich vieles sehr positiv entwickelt. Wir nutzen Synergien in der Region jetzt besser", erzählt Hinrich J. Woebcken, "es hat sich zuletzt gut entwickelt. Der Atlas ist prächtig gestartet, jetzt kommt der wichtige Jetta, mit dem wir zur Volumenmarke werden wollen und dann warten wir bereits auf den Atlas Cross Sport." Den neuen US-Passat, der das aktuelle Mittelklassemodell bald ablösen wird, hat er dabei nicht vergessen, doch derzeit tun sich Limousinen in den USA schwerer als je zuvor in der Nachkriegsgeschichte. Gerade die amerikanischen Traditionsmarken General Motors, Ford und Chrysler sind mit ihren Mittel- und Oberklasselimousinen ohne Premiumanspruch unter mächtigem Druck. Viele Produktionen laufen nur noch im Einschicht-Betrieb; wenn der Trend weiter so abwärts geht, dürften einige Modelle mit Kofferraum in den nächsten fünf Jahren sogar komplett verschwinden.
Programm: accelerate
Im Jahr 2017 lag der US-Marktanteil von Volkswagen bei 1,97 Prozent, was einem Volumen von knapp 340.000 Einheiten entspricht. IHS Markit prognostiziert bis zum Jahre 2025 einen Anstieg des Marktanteils von VW auf knapp drei Prozent, doch VW will weit mehr. In diesem Zeitraum dürften sich die SUV-Anteile der Wolfsburger auf 40 Prozent steigen. Im vergangenen Jahr, dem ersten mit den beiden neuen Modellen Tiguan und Atlas, lag dieser bei gerade einmal 23 Prozent. Deutlich zögerlicher sieht es mit den Elektrofahrzeugen der I.D. Familie aus, die bis 2025 in Nordamerika gerade einmal fünf Prozent des Volumens betragen soll. Diese fünf Prozent will Konzernchef Herbert Diess jedoch erst einmal als Verkaufsanteil am amerikanischen Gesamtmarkt sehen. Herbert Diess: "Kunden sind bereit, auf Elektrofahrzeuge umzusteigen, wenn der Preis stimmt. Wenn man nicht mehrere hundert Kilometer am Tag fahren muss, ist es wahrscheinlich das beste Fahrzeug, das man heute kaufen kann."
Das Programm, dass Volkswagen nicht nur in den USA, sondern auf dem gesamten amerikanischen Kontinent in die erste Reihe der Volumenanbieter spülen soll, trägt den Namen "accelerate". Hierbei werden Kosten reduziert, alte Zöpfe abgeschnitten und die Prozesse verschlankt. "Wir wollen so Schritt für Schritt zum Vollsortimenter werden", legt Woebcken nach. Immer im Fokus, dass Hersteller wie Toyota, Honda, Kia und Hyundai mit ihren Bestsellern in den USA noch Meilen entfernt sind. Die Stützen des Portfolios werden die neuen Crossover. Der Atlas hat Volkswagen wieder zurück in viele Köpfe gebracht, ein über fünf Meter langer Midsize-SUV mit 280 PS, Allradantrieb und sieben Sitzplätzen ohne Premiumanspruch. Der XL-Variante des Tiguan greift eine Klasse darunter ab und es kommen noch mehr. Der Einsteiger-SUV, von dem Diess und Woebcken so nebulös sprechen wird mit einer Länge von knapp 4,50 Metern in etwa der Klasse des kommenden VW Tharu entsprechen, der speziell in China und Südamerika neue Kunden zu der Marke Volkswagen locken soll. "Diesel wird es nicht mehr geben", legt Woebcken nach.
Pick-up ist ein Muss
Und dann wird seit geraumer Zeit an einem Midsize-Pick-up herumgerechnet, der als Studie bereits auf der New York Autoshow in diesem Frühjahr gezeigt wurde. Will Volkswagen der oft beschworene Vollsortimenter werden, kommt man um einen oder gar zwei Pick-ups kaum herum. Der Tanoak würde in Chattanooga gebaut werden und wäre so eng als möglich mit dem Atlas verwandt. Zwar basieren die beliebtesten Pick-ups in den USA vom Typ Ford F-150, Chevrolet Silverado oder Dodge Ram auf einem Leiterrahmen und sind ein bis zwei Klassen größer unterwegs, doch auch die Pick-up-Mittelklasse kommt nach schweren Jahren wieder langsam auf die Beine. Das mittelgroße Pick-up-Segment in den USA verzeichnete in den letzten Jahren seit der Einführung des Chevrolet Colorado und des GMC Canyon einen deutlichen Umsatzanstieg. Der Umsatz in diesem US-Segment erreichte 2010 mit 273.146 Einheiten den Tiefpunkt; im Jahr 2017 erholte sich der Umsatz auf 452.337 Einheiten.
Im Jahre 2000 waren es jedoch noch 1,1 Millionen Einheiten pro Jahr gewesen, die in den USA zugelassen wurden. Von dem neu aufkeimenden Pick-up-Trend könnte auch Volkswagen profitieren. Bringt es der Atlas als Siebensitzer auf eine Länge von 5,04 Metern und ist selbst die ebenfalls auf der New York Motorshow gezeigte Coupéableitung des Atlas Cross Sport noch 4,84 Meter lang, ist die Studie des Tanoak in einer völlig anderen Dimension unterwegs. Er misst durch die Doppelkabine und die entsprechend dimensionierte Ladefläche 5,44 Meter. Angetrieben wird der VW Atlas Tanoak von dem Volumenmotor des Atlas, einem 3,6 Liter großen V6-Saugmotor, der 206 kW / 280 PS leistet und seine Kraft über eine Achtgang-Automatik an alle vier Räder überträgt. Mit einem Serienmodell vom Tanoak würde aus dem Atlas-Doppelpack dann auch die mehrfach angekündigte Familie und es käme etwas Emotionalität in die Marke. Denn wenn im kommenden Jahr auch in den USA der Beetle eingestellt wird, gibt es nur noch Brot-und-Butter-Fahrzeuge. Und auch wenn die Benzinpreise in den USA wieder Richtung vier Dollar pro Gallone steigen: auf kleine Vierzylinder und Downsizing hat hier nach wie vor kaum jemand Lust.
Das wissen auch die Volkswagen-Verantwortlichen in den USA und Deutschland. Derzeit ist neben dem VW Atlas Tanoak unter anderem die Neuauflage eines Beetle, dann mit rein elektrischem Antrieb auf der Plattform des modularen Elektro-Baukastens, im Gespräch. Der könnte, wie andere Elektromodelle, nach entsprechenden Erweiterungen, auch in Chattanooga gebaut werden. Doch bis ein elektrischer Beetle zur serienreife käme, macht ab 2021 erst einmal ein elektrischer Mittelklasse-SUV namens I.D. Crozz den Anfang. Der VW I.D., der den Start der elektrischen Submarke in Europa einleitet, ist für die USA schlicht zu klein. Auch wenn es aufwärts geht, einige Probleme muss das Gespann Diess / Woebcken in den nächsten Jahren noch lösen.