Die Debatte um fossile Energieträger vermittelt oftmals den Eindruck, als bestünde Umweltschutz nur aus Dekarbonisierung. Dabei wird auch Wasser zum knappen Gut: Bereits jetzt haben rund 2,2 Milliarden Menschen laut den Vereinten Nationen keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Wasser, obwohl der Bedarf bis 2050 noch um 55 Prozent steigen könnte.
Die Akteure der Automobilindustrie begegnen diesem Umstand auf zweierlei Weise. Zum einen soll der Verbrauch gesenkt, zum anderen Kreisläufe geschaffen werden. Ein aktuelles Beispiel für diese Bemühungen liefert Audi. Die Volkswagen-Tochter will ihren Wasserverbrauch bei jedem produzierten Auto bis 2035 auf rund 1,75 Kubikmeter halbieren. Ein Ziel, das am BMW-Standort Dingolfing oder im Skoda-Stammwerk Mladá Boleslav bereits realisiert wurde. Vorbildcharakter beweist Audi dennoch – in Neckarsulm.
Audi pilotiert Wasserkreislauf in Neckarsulm
„Zum Thema Wassernutzung erproben wir mit einer Pilotanlage gerade einen geschlossenen Wasserkreislauf mit der angrenzenden Kläranlage des Abwasserzweckverbands Unteres Sulmtal, um künftig auf die Entnahme aus dem Neckar zu verzichten“, erklärt Werkleiter Fred Schulze. Das Wasser aus der Kläranlage soll mithilfe von Filteranlagen und Membranen aufbereitet und als Betriebswasser im Kreislauf zurückfließen.
Nächstes Jahr beginnt der Bau der neuen Anlage, die den Frischwasserverbrauch um 70 Prozent reduzieren soll. Die Fertigstellung ist für 2025 angedacht. „Dann produzieren wir am Standort abwasserneutral“, ergänzt Achim Diehlmann, Leiter des betrieblichen Umweltschutzes des Werkes und Projektleiter der Mission Zero.
Audi-Werk Brüssel verzichtet auf Trinkwassereinsatz
Auch in seinen anderen Werken treibt Audi den nachhaltigen Umgang mit Wasser voran. „Unsere Vision sind geschlossene Wasserkreisläufe an all unseren Produktionsstandorten“, sagt Peter Kössler, Vorstand Produktion und Logistik. Demnach produziere der OEM im mexikanischen San José Chiapa bereits seit 2018 vollständig abwasserfrei. In Brüssel soll ab dem kommenden Jahr der Trinkwassereinsatz in der Fertigung vollständig entfallen und am Stammsitz Ingolstadt wird seit 2019 ein neues Betriebswasser-Versorgungszentrum eingesetzt.
In Verbindung mit der bisherigen Aufbereitungsanlage kann dadurch rund die Hälfte des Abwassers in einen Kreislauf zurückgeführt, aufbereitet und wiederverwendet werden. Anstatt einer Kläranlage vollbringe dies ein Membranbioreaktor, vergleicht Christian Forelle als verantwortlicher Projektleiter in Neckarsulm. Dass der neue Kreislauf auch eine Abkehr von konventionellen chemischen Verfahren bedeutet, zeigt Forelle auf, als er den derzeitigen Prozess seines Standorts erläutert.
Bislang werden Chemikalien wie Kalkmilch und Eisen(III)-Chlorid zur Flotation eingesetzt und die dadurch entstehenden Flocken herausgefiltert. Mit der neuen Anlage soll dieser Schritt entfallen. Alle Überbleibsel können nach dem Filtern abgeschöpft, getrocknet, gepresst und als Untertageversatz weitergegeben werden.
Alternative bei geringeren Wassermengen
Die Abwasserbehandlung ohne Hinzugabe von Chemikalien hat in diesem Sinne Konjunktur. Schmutzwasser einleiten ist nicht mehr zeitgemäß. Bei einem jährlichen Wasserverbrauch von etwa 600.000 Kubikmetern wie in Neckarsulm kommen deshalb Membranen zum Einsatz, bei kleineren Wassermengen bietet sich jedoch auch die Vakuumdestillation an – eine Abwägung zwischen Reduktionsrate und Energieverbrauch.
Eine derartige Anlage setzt Audi bei der Produktion von Karosseriestrukturbauteilen aus Aluminiumdruckguss, von Pressteilen sowie von Fahrwerkskomponenten in Münchsmünster ein. „Unsere Anlage bereitet in diesem Fall bis zu 6.000 Kubikmeter Wasser auf“, veranschaulicht Marius Straub, Sales & Project Engineer bei H2O, dem Hersteller des Vakuumverdampfers. „Bezüglich der Mengen sind die Verdampfer auf 200 bis 30.000 Kubikmeter jährlich ausgelegt.“
So funktioniert die Vakuumdestillation
Mit ihnen können Abwässer, die nicht in die öffentliche Kanalisation eingeleitet werden dürfen, nicht nur wiederverwendet werden, auch Betriebskosten und Platzbedarf würden sinken. Eine ergänzende Vor- oder Nachbehandlung sei weiterhin möglich, um etwa die Gesamtmenge des Wassers mittels Membranfiltration vorab zu reduzieren und anschließend das konzentrierte Retentat aufzubereiten oder die Leitfähigkeit des Wassers durch ein Ionenaustauschverfahren zu vermindern. Auch Membranbioreaktoren zur Verringerung der organischen Belastung bei Kühlschmierstoffemulsionen oder eine Optimierung durch Umkehrosmoseanlagen seien möglich, unterstreicht Marius Straub.
Der Vakuumverdampfer trennt die Stoffe dabei durch Siedepunktunterschiede: Das Prozesswasser wird unter einem leichten Vakuum zu Dampf, welcher verdichtet auf den Wärmetauscher mit dem kälteren Schmutzwasser geleitet wird. Der Dampf kondensiert und gibt die Energie an das aufzubereitende Wasser ab, alle Substanzen mit einem höheren Siedepunkt bleiben zurück. So werde 95 Prozent der verwendeten Energie recycelt sowie eine Reduktionsrate von bis zu 98 Prozent erreicht, erklärt der H2O-Experte.
Autoindustrie überdenkt Umgang mit Wasser
Da die Anwendungsfälle dieser Technologie von Druckguss- und Kühlschmierstoffemulsionen bis hin zu Waschwässern sowie Spülwasser aus Galvanik und Lackiervorbehandlung reichen, haben neben Audi auch andere Autohersteller und Zulieferer umgeschwenkt. Das Unternehmen aus Steinen bei Lörrach verzeichnete unter anderem Aufträge von PSA, Renault, Pierburg, MAN und Faurecia.
„Zuvor haben diese Unternehmen das Wasser entweder entsorgt, da keine eigene Wasseraufbereitung zur Verfügung stand, oder es wurden chemische Verfahren eingesetzt“, resümiert Straub. Das Ende der Fahnenstange sei in diesem Sinne jedoch noch nicht erreicht, denn mit der stetig steigenden Elektromobilität kommen viele neue Anwendungsbereiche hinzu.