Herr Wagener, Sie sehen den Automobil-Leichtbau an einem Wendepunkt angekommen. Warum?
Die Vielfalt im Materialmix hat die Varianzen und die Komplexität insbesondere der Fügetechnologien und der dafür nötigen Anlagen in einen Grenzbereich verschoben. Und das macht das Ganze zum einen sehr teuer und zum anderen auch teilweise nicht mehr realisierbar aufgrund der Platz- und Bauraumverhältnisse, die im Rohbau existieren. Und das ist auch der Grund, weshalb ich sage: irgendwann stehen sich die Roboter im Karosseriebau gegenseitig auf den Füßen. Das Ziel muss sein, die Komplexität wieder rauszunehmen und die Vielfalt der Materialien zu reduzieren.
Es gibt also im Bereich der Prozesse keine Ansätze mehr für Optimierungen?
Selbst wenn wir Prozesse weiter beschleunigen, bleibt ja das Hauptproblem der Vielfalt. Und das ist ein starker Kostentreiber. Über die Optimierung der einzelnen Prozesse lässt sich die Vielfalt nicht auflösen. Der Aufwand der Prozesskontrolle beispielsweise ist im aktuellen Karosseriebau extrem groß geworden. Die Entwicklungen im Leichtbau haben einen inzwischen zu hohen Kostendruck aufgebaut.
In welchem Verhältnis stehen Aufwand und Nutzen beim automobilen Leichtbau heute?
Ich glaube, hier ist eine Sättigung erreicht. Zum anderen braucht das Thema Leichtbau insbesondere bei elektrisch angetriebenen Fahrzeugen einen anderen konzeptionellen Ansatz. Denn die CO2-Reduzierung als Hauptmotiv für Leichtbau kann man beim Elektrofahrzeug eigentlich vernachlässigen. Wenn Sie das Gewicht eines E-Fahrzeugs um 100 kg reduzieren, dann ist der Effekt nur noch ein Drittel bis ein Viertel dessen, der damit bei einem Verbrenner-Modell erzielt würde.
Aber zahlt Leichtbau beim E-Fahrzeug nicht unmittelbar ein auf Reichweite?
Das kann man vernachlässigen. 100 kg weniger Masse zu erzielen, ist technisch sehr aufwändig, bringt beim E-Fahrzeug aber vielleicht nur fünf bis acht Kilometer mehr Reichweite. Das liegt am hohen Wirkungsgrad elektrischer Antriebe – der neue Tesla 3 hat einen Wirkungsgrad von 93 Prozent. Bei einem Benzinmotor liegt der Wert unter 30 Prozent.
Wie stark fordert das Thema Crashperformance den Leichtbau?
Sicherheit ist und bleibt ein elementares Motiv für Leichtbaukonzepte. Die Physik ist nicht kompromittierbar: Je größer die Masse eines Fahrzeugs ist, desto mehr Energie muss im Falle eines Unfalls absorbiert werden. Zudem steigen die Sicherheitsanforderungen bei alternativ angetriebenen Fahrzeugen, weil beispielsweise auch ein effektiver Schutz der Batterie oder auch eines Wasserstofftanks gewährleistet werden muss. Mit dem Wandel der Antriebe sind – eben auch mit Blick auf die Crashperformance - neue Fahrzeug- und Karosseriekonzepte nötig. Denn allein das Fehlen eines konventionellen Motorblocks im Vorderwagen erfordert andere Stützstrukturen.
Möglicherweise wird das Thema Crashperformance eines Tages durch die Erfahrungen aus dem Betrieb und dem realen Unfallgeschehen autonomer, kommunizierender Fahrzeuge neu definiert werden. Die Vision ist ja die, dass autonomes Fahren die perfekte Unfallverhütung mit sich bringt.
Welche Konzepte schlagen Sie perspektivisch vor?
Auf jeden Fall muss das Gesamtthema Karosseriebau systemisch betrachtet werden. Neue konzeptionelle Ansätze für den Karosseriebau ergeben sich aus den neuen Designs und Packages der Fahrzeuge. Das ist getrieben durch die Elektrifizierung. Durch achsnahe, achsintegrierte oder Radnabenantriebe werden zum Beispiel die Vorderwagen deutlich kürzer ausfallen. Von daher entwickeln sich komplett andere Fahrzeuggestaltungen und Fahrzeugaufbauten.
Weitere Impulse wird das Thema autonomes Fahren setzen. Daraus resultieren neue Anforderungen, insbesondere an die Innenraumgestaltung – was dann natürlich auch wieder Einfluss auf die Karosserie nehmen wird.
Welche Materialien und Werkstoffe werden sich durchsetzen? Steht dem CFK eine Wiederbelebung bevor?
Auf Materialseite sehe ich keine großen Veränderungen kommen. Der serienmäßigen Verwendung von CFK für Fahrzeuge des Volumensegments stehen immer noch hohe Kosten im Weg. Und der Kostendruck auf den Karosseriebau ist durch den Einzug alternativer Antriebe nochmals gestiegen.
Weitere Optimierungen und Weiterentwicklungen werden die Werkstoffe Stahl-Aluminium betreffen. Möglicherweise hier und da gezielt schon auch faserverstärkte Kunststoffe oder Magnesium. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Weiterentwicklung der heute etablierten Leichtbauweisen, insbesondere mit dem Fokus der Reduzierung der Komplexität, der richtige Ansatz ist.
Aber da sehe ich keine Revolution, sondern eher eine Evolution.
Interview: Christian Klein