Herr Bauer, die Gießerei ist ein klassischer Fertigungsbereich alter Schule. Wie gelingt es, diesen auf den neuesten Stand zu bringen?
Mit der Transformation hin zur Elektromobilität ändert sich nicht nur das Produktportfolio. Eine Transformation bei den Produkten bedeutet auch Änderungen bei den Prozessen. Auf diesen Wandel sind wir in der Gießerei bereits seit Jahren vorbereitet. Daher beherrschen wir hier nicht nur unsere klassischen Kurbelgehäuse oder Zylinderköpfe, sondern auch ganz neue Anforderungen, wie sie beispielsweise die Zentralgehäuse für die elektrische Antriebseinheit unserer Fahrzeuge mit sich bringen. Die Kombination aus Innovationskraft und den Experten vor Ort führte unter anderem mit Hilfe der Digitalisierung zu neuen Tools, die uns die Produktion erleichtern und die Qualität sichern. Unter Zuhilfenahme von Simulationen haben wir auch ein neues Gießverfahren für diese komplexen Zentralgehäuse der E-Mobilität entwickelt und patentiert - das sogenannte Injector Casting. Im Rahmen unserer bereits vor Jahren aufgesetzten Initiative zur Digitalisierung haben wir zudem das komplette Berichtswesen, die Auswertungen für Qualität und Ausbringung automatisiert. Kurz gesagt: Wir haben geschaut, wie wir in unser Business noch mehr Effizienz und Intelligenz hineinbekommen.
Sie sprechen bereits einige Tools und Instrumente an. Zunächst: Was hat es mit der Parameterüberwachung auf sich?
Um Ihnen eine Dimension zu geben: allein mit Blick auf das Zentralgehäuse müssen an den Anlagen zirka 8.000 Parameter eingestellt werden. Wechseln wir ein Derivat in der Produktion, mussten diese Parameter über sogenannte Parameterblätter manuell eingestellt und kontrolliert werden. Um hier unserem Null-Fehler-Anspruch gerecht zu werden, haben wir den Prozess geändert. Im Zuge der Digitalisierungsinitiative war für uns klar, dass wir hier ein IT-gestütztes System benötigen, in dem wir eine Art Kochrezept hinterlegen und dies automatisiert an unsere Anlagen übertragen können. Wir haben uns daher im Markt umgeschaut, ob es bereits eine passende Lösung gibt, was aber nicht der Fall war. Weil dies für uns ein so essenzielles Thema war und ist, haben wir aus unserer eigenen IT-Truppe heraus dann eine Applikation entwickelt, mit deren Hilfe der Technologe die entsprechenden Parameter in der Anwendung hinterlegt und als ‚Rezept‘ speichert. Auf Knopfdruck können dann die Parameter automatisch an die Anlagen übertragen werden, wodurch wir zu 100 Prozent sicherstellen können, dass exakt nur nach den gewünschten Parametern gegossen wird. Würden Parameter abweichen oder würde jemand irgendwas verstellen, dann würde das System dies erkennen und den Gussprozess sofort stoppen.
Wie fügt sich dies in das sogenannte wertschöpfungsorientierte Produktionssystem WPS ein?
Dies ergänzt das Ganze. Wir sprechen dabei von einem massiven Befähiger. Das Ziel dabei ist das Streben nach exzellenten Prozessen. Das heißt eine hundertprozentige Nullfehler-Einstellung, das permanente Optimieren von Abläufen und Prozessen. In der Arbeitsorganisation haben wir überdies die Rolle des Vorarbeiters integriert. Er hat die Aufgabe, den Meister in fachlichen Angelegenheiten zu entlasten, sodass dieser wiederum mehr Zeit für Führung gewinnt. Der Vorabeiter erhält am Morgen alle für ihn notwendigen Informationen und kann sich voll und ganz auf seine ureigenen Aufgaben konzentrieren, also Prozesse zu optimieren, Ablaufstörungen zu reduzieren und die Produktion aufrechtzuerhalten, neue Mitarbeiter einzulernen.
Zur Digitalisierungsstrategie zählt also auch die menschliche Komponente, der Vorgesetzte als Mentor?
Ganz richtig. Wichtig ist, dass Digitalisierung bei uns nicht um der Digitalisierung Willen erfolgt, sondern gezielt dort, wo sie wirklich Fortschritte bringt, wo sie die Effizienz und Nachhaltigkeit steigert. Beim Thema Digitalisierung schauen wir natürlich nicht nur in die eigenen Reihen, sondern auch auf anderer OEs, betreiben entsprechendes Benchmarking. Es geht ja um sehr kapitalintensive Anlagen, bei denen eine hohe Auslastung eine Rolle spielt. Und ganz klar sind alle technischen Errungenschaften nur dann sinnvoll, wenn sie die Mitarbeiter auch nutzen. Daher ist ein weiteres wichtiges Stichwort die Sinnvermittlung. In Landshut pflegen wir eine sehr vermittelnde und offene Kultur. Die Menschen wissen alle, dass wir auch mit Blick auf die Themen Kosten und Qualität wettbewerbsfähig sein und bleiben müssen.
Lassen Sie uns über das von Ihnen eingangs erwähnte neue Injector Casting sprechen. Erklären Sie bitte, wie es funktioniert und was die Alternative gewesen wäre.
Bei dem neuen Zentralgehäuse für unsere elektrisch betriebenen Fahrzeuge handelt es sich um ein hochintegriertes Bauteil, in dem die Hochleistungselektronik, das Getriebe, der Stator und Rotor integriert werden sowie die Kühlung mit eingegossen wird. Dies führt zu einer gewissen Bauteilkomplexität mit einerseits recht dickwandigen und zum anderen auch dünnwandigen Bereichen oder Flächen. Hinzu gesellen sich gewisse Torsionsanforderungen und hohe Qualitätsanforderungen. Das Injector Casting Verfahren ist ein innovatives Gießverfahren, das von der Leichtmetallgießerei hier in Landshut entwickelt und patentiert wurde. Bei diesem Verfahren wird die Kokille mittels eines Injektors von innen gefüllt, so dass kein zusätzliches Angusssystem benötigt wird. Dadurch kann bis zu 40 Prozent Schmelze pro Bauteil eingespart werden. Da sich der Injektor immer im oberen Schmelzebad befindet, kann mit geringerer Schmelzetemperatur gegossen werden, was zu weiteren Energieeinsparungen und zu kürzeren Erstarrungszeiten, also Taktzeiten, führt. Die schnellere Erstarrung bewirkt zudem ein feineres Gefüge und bessere mechanische Eigenschaften. Das Verfahren eignet sich für die Herstellung von allen Aluminiumgussteilen, die im Standard-Schwerkraftkokillengussverfahren hergestellt werden können. Die beschriebenen Vorteile hinsichtlich Füllung und Erstarrung ermöglichen zudem die Produktion von dünnwandigen Bauteilen mit komplexen Strukturen und hohen mechanischen Anforderungen.
Künstliche Intelligenz wird derzeit viel gepriesen. Auch Sie setzen in Landshut bei der Qualitätskontrolle im Rahmen der Computertomografie auf dieses Instrument. Was leistet KI in der Gießerei?
Für das komplexe Zentralgehäuse - aber auch für andere Bauteile - ist die Computertomografie das geeignete Mittel. Wie in der Medizin erhält man mit ihrer Hilfe ein dreidimensionales Abbild. Im Falle des Gehäuses lassen sich etwaige Porositäten, Lunker, Blasen oder dergleichen sehr schnell erkennen. Bei einem Scan erzeugen wir Daten mit einem hohen Gigabyte-Volumen, die im engen Rahmen der Taktzeit ausgewertet werden müssen. Allein das Auswerten bedarf der Digitalisierung. Viele Bauteile in der CT lassen sich dann über einen Algorithmus erkennen und mit Hilfe einer Vielzahl von Bildern anlernen, die der Mensch auf keinen Fall bewältigen würde. Hierfür kommt KI zum Einsatz. Bei unserer Überprüfung handelt es sich im Übrigen um keine Stichproben, wir scannen einhundert Prozent der Bauteile.
Welche Einsätze sehen Sie für künstliche Intelligenz künftig darüber hinaus?
Beim Guss sprechen wir von einem der ältesten Gewerbe. Dieses zu transformieren ist natürlich eine große Herausforderung. Wir handeln eine große Zahl an Parametern. Wir wollen dorthin gelangen, dass uns die KI im Vorfeld Handlungsempfehlungen gibt, um eine gleichbleibende hohe Qualität zu produzieren. Dazu sind exogene Einflussfaktoren wie die Hallentemperatur, die Luftfeuchtigkeit, aber auch interne Faktoren wie Schwankungen bei der Schmelze oder Veränderungen in den Werkzeugen zu berücksichtigen. All diese Parameter greifen wir derzeit bereits ab und zeichnen sie auf, mit dem Ziel, Machine-Learning-Algorithmen zu schreiben und erfolgreich zum Einsatz zu bringen.
Ende 2025, respektive Anfang 2026 startet die Neue Klasse. Welche Themen bringt diese neue Fahrzeuggeneration mit Blick auf die Komponenten nach Landshut?
Ganz klar bringen die Fahrzeuge neue Anforderungen, neue Geometrien und damit neue Produkte ins Spiel. Sie werden verstehen, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Details nennen können. So viel jedoch: Die Gusstechnologie für Bauteile wie jene für das beschriebene Zentralgehäuse werden wir natürlich auch bei der neuen Fahrzeuggeneration sehen.
Die Neue Klasse basiert auf einer klassischen Stahlkarosserie. Im Karosseriebau schwenken die ein oder anderen Wettbewerber für die Herstellung einzelner Bauteile auf den Druckguss von Aluminium, das sogenannte Giga- oder Megacasting. Wie schätzen Sie das Potenzial dieser Technologie ein?
Dort, wo wir die Sinnhaftigkeit mit Blick auf verschiedene Blechteile erkennen, sie in den Aluminium-Druckguss zu überführen, tun wir dies bereits heute. Für gewisse Teile haben wir hier in Landshut Gigacasting-Maschinen im Einsatz, aber eben nur sehr wohldosiert. Wir werden Stand heute keine ganze Karosse in einem Schuss aus Druckguss herstellen. Natürlich schauen wir uns das Thema Gigacasting mit Blick auf immer größer werdende Bauteile an, wir erwägen dies aber nur dann, wenn es uns wirklich sinnvoll erscheint und keine Einbußen zu erwarten sind, gerade beim Fahrverhalten eines BMW.
Die Leichtmetallgießerei ist Gewinner des Automotive Lean Production Award 2023 von Agamus und Automobil Produktion, gleichzeitig wurde Landshut auch von der Aluminium Stewardship Initiative (ASI) für den nachhaltigen Einsatz von Aluminium zertifiziert. Wie bedeutend sind solche Auszeichnungen und Zertifizierungen für Sie und ihr Team und wie geht es insbesondere mit Blick auf die Themen Lean Production und Kreislaufwirtschaft weiter?
Solche Auszeichnungen sind uns wichtig und ein großes Lob für uns und unsere Initiativen. Um Ihnen eine Dimension zu geben: Alleine im Druckguss produzieren wir hier in Landshut über eine Million Bauteile pro Jahr. Das Thema Green ist uns bei BMW daher sehr wichtig. Mit Blick auf die Gießerei sprechen wir über einen sehr energieintensiven Bereich, bei dem wir uns auf CO2-Effizienz fokussieren. Hierbei übernehmen wir Verantwortung für die Gesellschaft. Dies beginnt bereits beim Einkauf von Aluminium, bei dem wir darauf achten, dass Primär-Aluminium aus Sonnenenergie gewonnen wird, etwa in Dubai. Wir prüfen, wie wir Wärme oder Abluft aus den Brennern weiterverwenden. Wir betreiben dazu ein intensives Monitoring all unserer Verbraucher. Dazu kommen neue schlankere Prozesse wie das beschriebene Injector Casting. Wir setzen nicht erst seit gestern auf einen intensiven Recycling-Kreislauf und arbeiten dabei auch mit lokalen Recyclern zusammen und schauen darauf, wo wir Material im Loop halten können. Dazu zählt auch der Umgang mit Sand und Sandkernen, das Wiederverwenden und Beimischen von Altsand, ohne dass wichtige Eigenschaften verloren gehen. Wo andere Gießereien organisches Material verwenden, setzen wir auf anorganisches. Hinzu kommt die Reduktion von Abwasser. Eine Zahl dazu: Statt wie üblich zehn Liter Wasser pro Abguss im Druckguss zu verbrauchen, schaffen wir es über ein System mit 400 Düsen, die das Wasser verteilen, den Verbrauch auf zwei Zentiliter zu drücken. Unsere Achtsamkeit ist also nicht nur eindimensional, sondern in eine Perspektivität gebettet, die darauf achtet, alle möglichen Umweltbelastungen zurückfahren.
Zur Person:
Karl Bauer obliegt die Leitung Produktion Injector Casting, Druckguss und Lost Foam bei der BMW Group. Der studierte Betriebswirt arbeitete zunächst als selbständiger IT-Softwareentwickler und kam 1998 zu BMW, wo er unter anderem in der Versorgungsplanung Werke als Manager IT-Applikation zur JIT/JIS-Versorgung der Fahrzeugwerke zuständig war. Vor seinem Gang ins Werk Landshut im Jahr 2014 war Bauer bereits in verschiedenen Führungspositionen an anderen BMW-Standorten wie in Berlin, Dingolfing und München tätig. So war er von 2008 bis 2013 am Digital Campus Munich Leiter IT-Betrieb und Servicemanagement Fahrzeugwerk und Motorenwerk.