Szene im Karosseriebau bei Audi

Ein wichtiges Thema in der Karosseriefertigung sind Taktzeitreduzierungen in vollautomatisierten Karosseriebaulinien. (Bild: Audi)

Käme es zum Wettstreit, wer beim Grad der Automatisierung unter den Gewerken führend ist, hätten Karosseriebau und Lackiererei gute Chancen auf die vordersten Ränge. Insbesondere für den Zusammenbau von Karosserieteilen sind eine Vielzahl an Robotern zuständig, die dank zunehmender Intelligenz sowohl das Schweißen, Stanzen und Nieten wie auch das Kleben selbst unterschiedlicher Materialien mittlerweile aus dem Effeff beherrschen.

Stahl ist im Automobilbau dabei nach wie vor der mit Abstand wichtigste Werkstoff. Ein weiterer, der sich im Karosseriebau (wieder) großer Beliebtheit erfreut, ist freilich Aluminium. Dies, zumal sich mit Blick auf die rein durch die Batterie gespeiste Elektromobilität jedes eingesparte Kilogramm in mehr Reichweite umrechnen lässt.

Mit dem Auf- und Neubau seiner Elektrostandorte Zwickau, den Werken in Anting und Foshan in China sowie nun auch dem Werk Emden als zweitem deutschen E-Standort, hat Volkswagen auch die jeweiligen Karosseriebaugewerke weiter automatisiert. Im Rahmen eines digitalen Baukastensystems für eine stabile Produktion geht man bei Volkswagen für den sächsischen Standort Zwickau, an dem mittlerweile die MEB-Modelle VW ID.3, ID.4 und ID.5, der Cupra Born sowie der Audi Q4 e-tron gefertigt werden, von einer Steigerung des Automatisierungsgrads von 85 auf 89 Prozent aus.

Volkswagens digitaler Wächter DPP

Alleine im sächsischen Volkswagen-Werk kommen rund 1.700 Roboter im Karosseriebau zum Einsatz. Auf einer zusätzlichen Fläche von 8.400 Quadratmetern hat der Autohersteller neben einer XL-Presse auch eine automatische Abstapelanlage sowie ein 30 Meter hohes Hochregallager für die Logistik in Betrieb genommen. Dort können jetzt alle erforderlichen Außenhaut-Karosserieteile, wie die Türen und Heckklappen für die in Zwickau gefertigten Elektromodelle vor Ort gepresst werden. Dem OEM zufolge spart dies jährlich mehr als 9.000 Lkw-Fahrten und 5.800 Tonnen CO2. Professor Jürgen Welter, der an der Hochschule Landshut im Studiengang Smart Factory lehrt, kann der Integration der Komponentenfertigung an einem Standort und damit quasi der Idee einer Gigafactory positive Aspekte abgewinnen. Dies insbesondere, was den CO2-Footprint anbelangt. Lassen sich ihm zufolge durch hochintegrierte Fertigungen Lkw-Fahrten quer durch Europa schlicht mit Hängebahnen in der Fabrik vermeiden.

Ein hoher Grad an Automatisierung und eine Verbesserung des CO2-Abdrucks bedeuten freilich noch nicht zwangsläufig einen besseren Austausch von Daten, wie er im eigentlichen Sinne mit einer Smart Factory angestrebt wird. Für die Transformation ihrer Werke haben die Volkswagenplaner mit Blick auf die Idee der smarten Fertigung mit der digitalen Produktionsplattform (DPP) einen spitzen Pfeil im Köcher. Auf dem Weg zur Smart Factory nutzt man DPP etwa im Karosseriebau des Werks Emden, um die dortigen Prozesse besser überwachen zu können. Mit dem Analysetool Spot Welding Analytics werden die Daten der täglich bis zu sieben Millionen automatisiert gesetzten Schweißpunkte in die Industrial Cloud überführt und genauestens analysiert. Aus diesen Informationen heraus können die Volkswagen-Werker die Schweißinfrastruktur letztlich permanent optimieren.

Roboterhersteller automatisieren OEMs

Fortschritte bei der Automatisierung des Karosseriebaus meldeten in jüngster Zeit freilich auch andere OEMs. So wurde erst kürzlich das Werk Dadong des Joint-Ventures BMW Brilliance Automotive (BBA) nach umfangreichen Erweiterungsmaßnahmen eingeweiht. Zeitgleich erfolgte dort der Produktionsstart des BMW X5 mit verlängertem Radstand, der in Shenyang exklusiv für den chinesischen Markt gebaut wird. Im Karosseriebau findet sich nun einer der größten Titan-Roboter von Kuka, der mit einer Traglast von stolzen 1,3 Tonnen den gesamten Fahrzeug-Unterboden greifen kann und so zu mehr Flexibilität bei der Fertigung der SUVs beiträgt.

Weniger Prozessschritte und geringere Taktzeiten diktierte Audi den Roboterexperten von Kuka ins Lastenheft. Die Roboter des Automatisierungsunternehmens übernehmen für den Teilbereich des Unterbaus von Audis Mittel- und Oberklasse die Integration und teilweise Taktzeitreduzierung in zwei vollautomatisierten Karosseriebaulinien. Etwa 200 Roboter sind beim Ingolstädter OEM für die Prozesstechnologien des Widerstandspunktschweißens und Klebens zuständig.

Und auch Ford modernisiert seinen Karosseriebau: Ein junges Beispiel ist der Ausbau des Ford Cologne Electrification Center, das zu einem europaweiten Entwicklungs- und Produktionsstandort für Elektrofahrzeuge der Marke werden soll und ab 2023 E-Fahrzeuge produziert. Dort frischt der Autohersteller sein Repertoire an Robotern anhand einer Großlieferung aus dem Hause Fanuc auf. Rund 500 Roboter des Automatisierungsexperten sollen dem Kölner Autobauer fortan den effektiven Zusammenbau der Karosserien ihres rein elektrischen Volumenmodells am deutschen Standort unter hohen Effizienzanforderungen sichern.

Gigacasting - die Alternative im Karosseriebau?

Ein alternativer Fertigungsprozess für Karosserieteile erschließt sich der Automobilbranche derzeit in Form des sogenannten Giga- oder Megacastings, das für die Herstellung großer Karosseriebauteile im Aluminiumdruckgussverfahren steht. Tesla und Volvo gelten hier als Pioniere. Anstelle des Zusammenfügens zahlreicher Teile in vielen Schritten formen gigantische Pressen wenige oder gar einteilige Bleche. Doch die Integration der Pressen benötigt viel Platz und auch der Prozess selber gilt als nicht wenig komplex. Ob sich Gigacasting daher im großen Stil - auch mit Blick auf die smarte Fabrik - durchsetzen kann, sehen Experten noch kritisch.

Schlaue Algorithmen pushen den Karosseriebau

Speziell im Karosseriebau mit seinem großflächigen Einsatz von Robotern gewinnt Künstliche Intelligenz bei einem Blick auf die Themen Verschleiß und Ausfallzeiten an Bedeutung. Exakt ausgeführte Schweißpunkte sind in diesem Gewerk das A und O und die Autohersteller sind bemüht, ihre Abläufe weiter zu optimieren und sie im Fluss zu halten. Immer ausgefeiltere Predictive-Maintenance-Systeme sollen dazu beitragen, dass Prozessabweichungen rechtzeitig erkannt werden, die gesamte Instandhaltung optimiert und letztlich Energie eingespart wird.

Ein wichtiges Thema dabei ist die Anlagenverfügbarkeit von Schweißzangenrobotern. Schon heute werden beim Widerstandspunktschweißen viele Daten verarbeitet und zu Diagnosen vorverdichtet. Dies reicht jedoch nicht aus, um Daten bereitzustellen und anzuzeigen, hört man von den Anlagen- und Automatisierungsexperten bei Festo. Predictive Maintenance auf Basis von KI könne die Möglichkeiten jedoch erheblich erweitern, indem Daten aus den Geräten mit Prozessdaten zusammengeführt und mit Analytics-Modellen sowie cloudbasierten Lösungen ausgewertet werden.

Dazu erweitern die Spezialisten des Ausrüsters Anlagen-PCs der Roboterzelle um eine Software, die die Diagnosedaten der Zange einsammelt und an einen Cloud-Eingangspunkt sendet. In der Cloud wird eine Instandhaltungsapplikation betrieben, die neben der Darstellung im Browser auch die Bewertung der Daten hinsichtlich der voraussichtlichen Lebensdauer vornimmt. Durch Anbinden an das Werksinstandhaltungssystem werden Wartungsaufträge in der gewohnten Umgebung ausgelöst, falls gewünscht bis hin zu einer SMS aufs Mobiltelefon. Die Ausfallzeiten sollen sich damit um 25 Prozent reduzieren lassen. Festo zufolge bietet das System die Möglichkeit Industrie 4.0 massenhaft in der Praxis der Automobilfertigung umzusetzen.

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