Audi Werk Ingolstadt FTS

Mit Hilfe neuer Technologien macht Audi nahezu alle Bereiche der Fahrzeugentwicklung und -produktion smart. Eine zentrale Rolle spielen modulare und flexible Prozesse. (Bild: Audi)

Es ist ein faszinierender Anblick, wenn die Stanzpresse im Ingolstädter Audi-Werk mit einer Kraft von 3.800 Tonnen auf ein Blech donnert und sich dann zurückzieht, um eine makellose Autotür zu enthüllen, während die Maschine nach getaner Arbeit Metallabfälle in eine Grube darunter spuckt. Ein Roboterarm hat nur wenige Sekunden Zeit, um das neue Karosserieteil zu entnehmen, während bereits die nächsten Stahlbleche zugeführt werden und die Presse wieder nach unten fährt. Bei einer Demonstration seiner neuesten Innovationen in der Fertigung, die Audi Medienvertretern gewährt hat, lag der Schwerpunkt des Autobauers jedoch eher auf der virtuellen als auf der physischen Welt.

Audis unsichtbare Innovationen

In diesem Hinblick lässt Audi kaum eine Zukunftstechnologie aus: Unter anderem investiert der Hersteller in Simulation, KI-basierte Lösungen und Cloud Computing, um die physische Produktion zu unterstützen und die Flexibilität zu erhöhen.

Betrachtet man die Fertigung bei Audi im Jahr 2022, ist der Softwareentwickler inzwischen zum zentralen Player beim altehrwürdigen Mantra "Vorsprung durch Technik" avanciert. "Flexibilität ist ein Thema, das uns nachts wirklich wachhält", sagt Audi Produktions- und Logistikvorstand Gerd Walker. Mit dem Begriff sei nicht nur die Geschwindigkeit der Prozesse verbunden, sondern auch das Tempo der Management-Entscheidungen und die Einführung neuer Produkte.

Und die Bewältigung des Wandels wird von entscheidender Bedeutung sein, insbesondere bei der Umstellung der Modellpalette auf elektrische Antriebe. Audi plant eine explosionsartige Steigerung der Produktion neuer Elektromodelle, unter anderem in Ingolstadt, wo im nächsten Jahr mit dem SUV Q6 E-Tron die Produktion des ersten Elektrofahrzeugs beginnen wird.

Ab 2026 möchte Audi keine neuen Modelle mit Verbrennungsmotor mehr einführen, bis dahin soll bereits die Hälfte aller in Ingolstadt gebauten Fahrzeuge elektrisch sein. Bis 2028 möchte man zu 100 Prozent auf Elektromobilität setzen. Die Werke Neckarsulm, Györ und San José Chiapa sollen in den kommenden Jahren je nach den örtlichen Gegebenheiten nachziehen, sodass alle Werke bis 2029 fit für die Elektrofertigung sein sollen.

Simulation neuer Designs ohne Prototyping

Um den Schritt in die Elektromobilität erfolgreich zu absolvieren, möchten Walker und sein Team auch von neuen Smart-Factory-Technologien in der Produktion profitieren. Während des Audi Tech-Days öffnete das Unternehmen seine Türen, um Reportern neue Produktions- und IT-Technologien zu zeigen, die sich in der Entwicklung befinden oder bereits im Einsatz sind.  

Eine Station: Die Power Wall, an der künftig Entscheidungen etwa zum Fahrzeugdesign getroffen werden sollen, ohne dass die Betrachtung eines physischen Prototypen nötig wäre. Die Videowand ermöglicht es unter anderem, auf Knopfdruck verschiedene Fahrzeugmerkmale oder Komponenten auszutauschen. Durch die digitale Kommunikation mit Kollegen an anderen Standorten können Audi-Entwickler so bereits im frühen Modellstadium Feedback etwa zu eventuellen Werkzeugbeschränkungen einholen.

Power Wall Audi
Mit Hilfe der "Power Wall" können Entwickler Fahrzeugelemente virtuell begutachten und verändern. (Bild: Audi)

Doch nicht nur das Exterieur der Modelle wurde von Audi digitalisiert: Durch den Einsatz von Virtual-Reality-Brillen können die Entwickler auch einen Blick in das Innere des jeweiligen Modells und auf das Layout des Armaturenbretts sowie die Verarbeitung und die Proportionen des Innenraums werfen.

Audi setzt auf Gamification der Montage

Die Grenzen von Virtual Reality erschöpfen sich jedoch nicht im Design der verschiedenen Fahrzeugmodelle, auch die Montageplanung nutzt die Technologie inzwischen ausgiebig. Im Rahmen des Tech-Days zeigte Andrés Kohler, Leiter der virtuellen Montageplanung bei Audi, die Möglichkeiten der Technologie. Während Kohler im virtuellen Raum die Rückleuchten an ein Fahrzeug montierte, erfasste ein automatisches Tracking-System die Abstände zwischen virtueller Werkzeugbank und dem digitalen Fahrzeugmodell.

Eine solche Metrik gibt den Planern eine Grundlage, auf der sie die Aufgabe und die Gestaltung der Werkstatt überdenken können, um den Zeit- und Arbeitsaufwand zu verringern. Entsprechende Lösungen hat Audi bereits bei der Entwicklung des E-Tron GT zum Einsatz gebracht und in den Volkswagen-Konzern transferiert. "Es dauert eine Weile, bis man sich an das Verfahren gewöhnt hat, und man kann sich etwas seekrank fühlen", so Kohler. "Wir haben diese Software selbst entwickelt und arbeiten gemeinsam daran, sie weiterzuentwickeln."

Der gleiche Gedanke liegt einem Pilotprogramm für die modulare Produktion zugrunde, das autonome fahrerlose Transportsysteme einsetzt, um einige Vormontageprozesse zu rationalisieren. Ein Beispiel hierfür bildet der Einbau von Sonderausstattungen - ein Prozessschritt, der lange Zeit Effizienzsteigerungen in der Fließbandmontage verhindert hat. Das entsprechende Programm könnte laut Audi bis 2025 in die Serienproduktion überführt werden.

Technik für mehr Nachhaltigkeit

Dass Innovationen rund um die Smart Factory nicht nur die Effizienz und Flexibilität, sondern auch die Nachhaltigkeit der Produktion erhöhen sollen, betont Audi-Produktionsvorstand Walker höchstselbst. An der Spitze der Klima-Agenda der Ingolstädter steht dabei der Energieverbrauch – unter anderem aufgrund der unklaren Versorgungslage infolge des Ukrainekrieges. Dabei sind die Einsparpotenziale in Werken wie Ingolstadt enorm: Jeder der fünf Stanzpressen, die täglich mehrere Dutzend Kilometer gewalzten Stahls zu Karosserien formen, verbraucht drei Millionen KWh pro Jahr – so viel wie etwa 800 Haushalte oder eine Kleinstadt zusammen.

Im Rahmen des Tech-Days zeigt Audi unter anderem die zahlreichen Möglichkeiten, den Stromverbrauch zu erfassen und über verschiedene Zeiträume zu analysieren. Im Fokus steht dabei unter anderem die Lokalisierung von Verbrauchsspitzen in den eigenen Anlagen. Man sei dabei, ein automatisches Warnsystem einzurichten, das auf Anomalien hinweist, heißt es dazu seitens Audis. So habe die Aufdeckung suboptimaler Einstellungen von Belüftungssystemen im Werk bereits zu Einsparungen in Höhe von 190.000 Euro geführt. "Die Dekarbonisierung ist in der Gesellschaft sehr wichtig und unsere Mitarbeiter denken genauso. Es ist also sehr wichtig, einen Arbeitgeber zu haben, der über umweltfreundlichere Lösungen, Autos und Produkte nachdenkt", sagt Gerd Walker.

KI Qualitätssicherung Audi Ingolstadt
Die Prüfung auf Risse in Bauteilen übernehmen Kamerasysteme mit einem KI-Algorithmus. (Bild: Audi)

KI optimiert bei Audi die Bauteilqualität

Digitale Lösungen finden auch im Presswerk neue Anwendungen. Unter anderem erkennt ein Algorithmus in der Qualitätskontrolle beim Verlassen der Presse Risse im Stahl und alarmiert die zuständigen Mitarbeiter. Diese können dann weitere Nachforschungen anstellen, wenn der Fehler wieder auftaucht. Die künstliche Intelligenz des Systems ist unempfindlich gegenüber unterschiedlichen Lichtverhältnissen, die früher dazu führen konnten, dass ein Riss erst im weiteren Verlauf der Produktionslinie entdeckt wurde.

Die Cloud macht Abläufe smarter

Im P-Lab, dem Produktions- und IT-Innovationszentrum in Ingolstadt, hat Audi zudem aktuell den Einsatz eines serverbasierten Systems erprobt, um die Steuerung der Arbeitsabläufe in der taktgebundenen Produktion zu automatisieren. Aufgrund des Erfolges der Tests setzt der Hersteller in der Montagelinie in den Böllinger Höfen inzwischen eine Mischung aus zentralen und lokalen Servern ein, um teure Industrie-PCs zu ersetzen.  

Das als Edge 4 Cloud Production bezeichnete System hilft, Nachfragespitzen zu kontrollieren und soll dazu beitragen, das Change-Management effizienter zu gestalten. Statt der Anschaffung neuer Hardware komme man häufig mit Softwareaktualisierungen aus. Laut Henning Löser, dem Leiter des P-Lab, haben sich entsprechend softwarebasierte IT-Infrastrukturen in Rechenzentren bereits bewährt. Davon, dass sie auch in der Produktion Bestand haben werden, ist Löser ebenfalls überzeugt.

Kommunikation ist Schlüsselelement

Audis Produktionschef Walker räumte abschließend ein, dass die Integration von virtueller Realität und Software zu Herausforderungen bei der unternehmensweiten Diskussion von Prozessen führen kann, die traditionell eher physisch und greifbar waren. "Wir müssen mehr kommunizieren, denn wir haben viele Technologien, viele Produkte und viele Methoden, über die es sich zu sprechen lohnt", sagte Walker. "Ich glaube, für Ingenieure ist es etwas einfacher, über das Produkt und das Auto selbst zu sprechen, aber die Produktion ist wirklich interessant."

Dieser Artikel erschien zuerst bei automotive manufacturing solutions.

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