Leichtmetallgießerei BMW Landshut

In der Leichtmetallgießerei Landshut gehen traditionelles Handwerk und digitale Prozesse Hand in Hand (Bild: BMW)

Automobil Produktion Kongress 2024

Automobil Produktion Kongress 2024

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Neben Stahl nimmt Aluminium unter den bei Fahrzeugen der BMW Group eingesetzten Werkstoffen den größten Anteil ein. Zum Produktionsumfang der in Landshut gefertigten Bauteile zählen Motorkomponenten wie Zylinderköpfe und Kurbelgehäuse, Komponenten für elektrische Antriebe und großflächige Strukturbauteile für die Fahrzeugkarosserie. Allein im Druckguss produziert der OEM am niederbayerischen Standort über eine Million Bauteile pro Jahr. Wenn man so will, handelt es sich beim Guss um eines der ältesten Handwerke oder Gewerbe, wie es Karl Bauer, Leiter Produktion Injector Casting, Druckguss und Lost Foam bei der BMW Group, im Interview mit Automobil Produktion formuliert.

Die Leichtmetallgießerei des BMW Group Werks in Landshut ist ein essenzieller Baustein des weltweiten Produktionsnetzwerkes des Unternehmens. Das strategische Zielbild der Hausfertigung der BMW Group beschreibt die iFactory mit ihren Stoßrichtungen Lean, Green & Digital. Im Rahmen der zuletzt vergebenen Automotive Lean Production Awards 2023 wurde die Leichtmetallgießerei von BMW Landshut in der Kategorie Component Supplier von Agamus Consult und Automobil Produktion ausgezeichnet. Der niederbayerische Standort, der seit Dezember 2023 unter der Leitung von Thomas Thym steht, ist das weltweit größte Komponentenwerk des OEMs. Unter der Leitung des Vorgängers Stefan Kasperowski investierte BMW rund 700 Millionen Euro in den Standort Landshut, vorwiegend in moderne Produktions- und Logistiklösungen.

Injector Casting ist Teil der Smart Factory

Die Gießerei ist also ein Fertigungsbereich alter Schule. Aber kann er auch smart? Dieses Gewerk zu transformieren, sei natürlich eine große Herausforderung, sagt Bauer. Mit der Zeit zu gehen, habe jedoch Tradition bei BMW und man sei in Landshut auf den Wandel vorbereitet. „Daher beherrschen wir hier nicht nur unsere klassischen Kurbelgehäuse oder Zylinderköpfe, sondern auch ganz neue Anforderungen, wie sie beispielsweise die Zentralgehäuse für die elektrische Antriebseinheit unserer Fahrzeuge mit sich bringen“, sagt Bauer, der damit auf junge und künftige Produkte wie die ab Ende 2025 anlaufenden vollelektrischen Fahrzeuge der Neuen Klasse anspielt.

Was ist Lean Production?

Lean Production ist ein Ansatz für Produktionssysteme, der auf die möglichst schwankungs- und verschwendungsfreie Ausrichtung aller Prozesse entlang des Wertstromes abzielt. Zunächst eingesetzt von japanischen Autoherstellern wie Toyota, traten Just-in-Time und Just-in-Sequence an die Stelle der in Europa und den USA gebräuchlichen „gepufferten Produktion“, welche auf permanentem Fertigungsdurchlauf und stets gefüllten Lagern beruhte. Durch Elemente der Standardisierung wird bei der Lean Production ein planbarer Output sowohl in Richtung Volumen als auch in Richtung Qualität erreicht. Ein schlankes Produktionssystem bietet zudem die Möglichkeit der schnelleren Reaktion auf Marktveränderungen und -schwankungen. Industrie 4.0 und Digitalisierung sind in der heutigen Zeit fester Bestandteil und Unterstützer der Lean Production.

Mithilfe der Digitalisierung hat BMW in Landshut neue Tools erschlossen, die die Produktion erleichtern und die Qualität sichern. Den Erfindergeist am Standort darf man jedenfalls als ausgeprägt bezeichnen. So hat man hier unter Zuhilfenahme von Simulationen ein neues Gießverfahren für die komplexen Zentralgehäuse der E-Mobilität entwickelt und patentiert, das Injector Casting. Bei dem neuen Zentralgehäuse für E-Automobile handelt es sich um ein hochintegriertes Bauteil, in das die Hochleistungselektronik, das Getriebe, der Stator sowie der Rotor integriert werden und auch gleich noch die Kühlung mit eingegossen wird. „Dies führt zu einer gewissen Bauteilkomplexität mit einerseits recht dickwandigen und zum anderen auch dünnwandigen Bereichen oder Flächen. Hinzu gesellen sich gewisse Torsions- und hohe Qualitätsanforderungen“, erläutert Bauer.

Bei dem neuen Verfahren wird die Kokille mittels eines Injektors von innen gefüllt, so dass kein zusätzliches Angusssystem benötigt wird. „Dadurch können bis zu 40 Prozent Schmelze pro Bauteil eingespart werden“, erklärt Bauer und weist gleich noch auf einen weiteren Vorteil hin: „Da sich der Injektor immer im oberen Schmelzebad befindet, kann mit geringerer Schmelzetemperatur gegossen werden, was zu weiteren Energieeinsparungen und zu kürzeren Erstarrungszeiten, also Taktzeiten, führt. Die schnellere Erstarrung bewirkt zudem ein feineres Gefüge und bessere mechanische Eigenschaften.“ Dem Experten zufolge eignet sich das Verfahren prinzipiell für die Herstellung aller Aluminiumgussteile, die im Standard-Schwerkraftkokillenguss hergestellt werden können. Die beschriebenen Vorteile hinsichtlich Füllung und Erstarrung sollen zudem die Produktion von dünnwandigen Bauteilen mit komplexen Strukturen und hohen mechanischen Anforderungen ermöglichen.

8.000 Parameter stehen auf Knopfdruck parat

Digital und smart wird es freilich dann, wenn es um die erhebliche Zahl an Parametern geht, die ein solches Verfahren mit sich bringt. Allein mit Blick auf das Zentralgehäuse müssen, wie Bauer ausführt, an den Anlagen circa 8.000 Parameter eingestellt werden. „Wechselten wir ein Derivat in der Produktion, mussten diese Parameter über sogenannte Parameterblätter manuell eingestellt und kontrolliert werden“, schildert der Gussexperte die Abläufe in der Vergangenheit. „Um hier unserem Null-Fehler-Anspruch gerecht zu werden, haben wir den Prozess geändert. Im Zuge der Digitalisierungsinitiative war für uns klar, dass wir hier ein IT-gestütztes System benötigen, in dem wir eine Art Kochrezept hinterlegen und dies automatisiert an unsere Anlagen übertragen können.

Die Experten haben sich im Markt nach einer passenden Lösung umgeschaut. Eine solche war jedoch nicht zu finden. Bauer freut sich daher über den Landshuter Entwickler-Spirit: „Weil dies für uns ein so essenzielles Thema war und ist, haben wir aus unserer eigenen IT-Truppe heraus dann eine Applikation entwickelt, mit deren Hilfe der Technologe die entsprechenden Parameter in der Anwendung hinterlegt und als ‚Rezept‘ speichert.“ Auf Knopfdruck ließen sich die Parameter fortan automatisch an die Anlagen übertragen. Bauer zufolge stelle man so zu hundert Prozent sicher, dass exakt nur nach den gewünschten Parametern gegossen werde. Würden Parameter abweichen oder würde jemand irgendwas verstellen, dann erkenne das System dies sofort und stoppe den Gussprozess.

Digitalisierung erfolgt nicht um der Digitalisierung willen

Am Standort werden die Gussteile übrigens nicht nur stichprobenartig, sondern zu hundert Prozent gescannt. Bei diesen Scans werden Daten mit einem hohen Gigabyte-Volumen erzeugt und müssen im engen Rahmen der Taktzeit ausgewertet werden. Allein schon dies bedürfe der Digitalisierung, sagt Bauer. On top kommt noch künstliche Intelligenz ins Spiel: Viele Bauteile in der CT lassen sich über einen Algorithmus erkennen und mithilfe einer Vielzahl von Bildern anlernen. Der Mensch würde dies auf keinen Fall bewältigen können. Digitalisierung erfolge bei BMW aber keinesfalls um der Digitalisierung willen, sondern gezielt dort, wo sie wirklich Fortschritte bringe und die Effizienz und Nachhaltigkeit steigere, sagt Bauer und ergänzt: „Beim Thema Digitalisierung schauen wir natürlich nicht nur in die eigenen Reihen, sondern auch auf andere OEMs und betreiben entsprechendes Benchmarking.

Dieser Philosophie folgt man am auf Druckguss spezialisierten Standort auch beim Blick auf das sogenannte Giga- oder Megacasting, den Guss ganzer Karosseriebauteile am Stück. Bauer betont: „Natürlich schauen wir uns das Thema Gigacasting mit Blick auf immer größer werdende Bauteile an, wir erwägen dies aber nur dann, wenn es uns wirklich sinnvoll erscheint und keine Einbußen zu erwarten sind, gerade beim Fahrverhalten eines BMW.“ Dort, wo man die Sinnhaftigkeit mit Blick auf verschiedene Blechteile erkenne, sie in den Aluminiumdruckguss zu überführen, tue man dies bereits heute. Für gewisse Teile hat Landshut Gigacasting-Maschinen daher schon im Einsatz, „aber eben nur sehr wohldosiert“, so Bauer, dessen Fazit lautet: „Wir werden Stand heute keine ganze Karosse in einem Schuss aus Druckguss herstellen.

Produktionssystem muss Wertschöpfung erhöhen

Bei all den Innovationen stehe der Mensch im Mittelpunkt, sagt Bauer. Der Gießereiexperte hebt dies auf die Frage hervor, wie sich all die angesprochenen Errungenschaften in das sogenannte wertschöpfungsorientierte Produktionssystem WPS einfügen. Es bilde einen „massiven Befähiger“, wie es Bauer formuliert. Ziel des WPS sei das Streben nach exzellenten Prozessen, eine hundertprozentige Null-Fehler-Einstellung, das permanente Optimieren von Abläufen und Prozessen. Dazu zählt auch die Straffung der Arbeitsorganisation, in der bei BMW die Rolle des Vorarbeiters integriert ist: „Er hat die Aufgabe, den Meister in fachlichen Angelegenheiten zu entlasten, so dass dieser wiederum mehr Zeit für Führung gewinnt.“ Der Vorabeiter erhält am Morgen alle für ihn notwendigen Informationen und kann sich voll und ganz auf seine ureigenen Aufgaben konzentrieren: also darauf, Prozesse zu optimieren, Ablaufstörungen zu reduzieren und die Produktion aufrechtzuerhalten sowie neue Mitarbeiter einzulernen.

Der Einzug smarter Technologien in die Gießprozesse umfasst freilich auch das Thema Nachhaltigkeit: So setzt Landshut für die Herstellung von Aluminium Strom aus Sonnenenergie ein, was die CO2-Emissionen merklich reduzieren hilft. Um Ressourcen zu schonen, setzt man außerdem auf Kreislaufwirtschaft. Mit mehreren zehntausend Tonnen deckt das Solar-Aluminium mehr als ein Drittel des jährlichen Bedarfs der Leichtmetallgießerei im Werk Landshut ab. Dank des Einsatzes anorganischer Sandkerne werden so gut wie keine Emissionen freigesetzt. Seit mehr als zehn Jahren setzt die Leichtmetallgießerei zusammen mit lokalen Aufbereitern Recycling für Produktionsschrotte aus dem Gießereiprozess um. Entscheidend dafür ist die sortenreine Trennung von Aluminiumreststoffen, damit sich die Materialien mit ihren individuellen Zusammensetzungen nicht vermischen. „Perspektivisch sollen unser Neufahrzeuge zur Hälfte aus Sekundärrohstoffen bestehen“, gibt Joachim Post, Vorstand für Einkauf und Lieferantennetzwerk bei BMW, als Ziel aus. Der Guss aus Landshut trägt jedenfalls einen smarten Part dazu bei.

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