Redakteur Timo Gilgen begutachtet das Konzeptfahrzeug Vision Neue Klasse.

Mitte Juni zeigte BMW das Konzeptfahrzeug Vision Neue Klasse bereits einigen Journalisten vorab. Nun feiert das Auto seine Weltpremiere auf der IAA in München. (Bild: BMW)

Bereits Konzeptfahrzeug Vision Dee, das BMW-CEO Oliver Zipse im Januar 2023 auf der CES  in Las Vegas präsentierte, ließ die Idee der Neuen Klasse konkreter werden. Auf der IAA im darauffolgenden September legte der OEM nach und präsentierte mit der Vision Neue Klasse erstmals ein Fahrzeug, das optisch sehr nach am Endprodukt liegen dürfte, das ab 2025 in Serie gefertigt werden soll.

Bevor dem Fahrzeug das Rampenlicht auf der großen Bühne gewährt wurde, galt viele Monate die höchste Geheimhaltungsstufe. Automobil Produktion durfte das Fahrzeug bereits einige Monate vor Weltpremiere exklusiv im eher unscheinbaren Forschungs- und Technologiehaus in Garching bei München begutachten. Deshalb liefern wir Ihnen Antworten auf die Frage „Was ist die Neue Klasse von BMW?“ und verraten Ihnen, auf welche Neuheiten sich BMW-Fans freuen dürfen.

Als BMW vor zehn Jahren den i3 auf den Markt brachte, verkörperte der elektrische Kleinwagen eine Revolution in der Automobilbranche. Neues Konzept, neuer Antrieb, neue Werkstoffe, neue Produktion, neues Design. Mit der Neuen Klasse will der Automobilhersteller dieses Szenario wiederholen. Erneut schicken die Bayern ein Elektroauto an den Start, das sich vom Rest der Autowelt abheben soll. Die Neue Klasse nimmt dabei Bezug zu ihrem Namensvetter aus den 60er-Jahren. Damals läutete die die Limousine BMW 1500 unter gleichem Namen einen Neustart der weiß-blauen Marke ein und gilt bis heute als das Fundament für die Erfolgsstory der Reiher 02, 3er und 5er.

Die Vision Neue Klasse von BMW von vorne.
Die im „Shark Nose"-Stil weit nach vorn ragende Fahrzeugfront ist ein charakteristisches Merkmal der Vision Neue Klasse. (Bild: BMW)

Neue Klasse soll Ladegeschwindigkeit um 30 Prozent erhöhen

Die Neue Klasse steht bei BMW für den Wandel zu einer elektrischen und digitalen Mobilität. Entwickelt wurde hierfür eine dezidierte 800-Volt-Elektroarchitektur. Kernstück ist ein neuer Hochvoltspeicher, der auf eine Modulbauweise und eigene Bodenplatte verzichtet. Speziell entwickelte, runde Batteriezellen würden im Vergleich zu den bisherigen prismatischen Zellen eine um mehr als 20 Prozent höhere Energiedichte aufweisen. „Zudem bleiben wir flexibel für spätere Updates in Sachen Batterietypen und Zellchemie“, sagt Projektleiter Mike Reichelt. Die Ladeleistung betrage bis zu 350 kW, wodurch man sich beim OEM ein Nachladen von 300 Kilometern in nur zehn Minuten verspricht.

Mithilfe der sechsten Generation der BMW Drive-Technologie – laut BMW gegenüber dem heute eingesetzten System leichter, kompakter und rund 40 Prozent kostengünstiger – soll die Ladegeschwindigkeit um bis zu 30 Prozent gesteigert werden. Zusätzlich sollen sekundäre Effekte wie Luft- und Rollwiderstand sowie ein niedriges Gesamtgewicht und ein intelligentes Thermo-Management zur Effizienz beisteuern. Angestrebt werden bis zu 25 Prozent weniger Stromverbrauch im Vergleich zum heutigen iX3. „Mit der Neuen Klasse springen wir technologisch weit nach vorne. Dasselbe gilt auch für ihr Design: mehr Zukunft geht nicht", sagt Frank Weber, Entwicklungsvorstand bei BMW. Besonders er wird nicht müde, den Stellenwert der Neuen Klasse immer wieder zu betonen. Es handle sich dabei nicht etwa um ein neues Kapitel in der Geschichte BMWs, man schreibe ein völlig neues Buch.

So sieht die Neue Klasse von BMW aus

Das Exterieur-Design zeigt Gestaltungselemente, die für die unterschiedlichen Modelle der Neuen Klasse prägend sein werden. Die neue, vollelektrische Fahrzeugarchitektur bietet zudem neue Möglichkeiten der Innenraumgestaltung. „Das Design der Neuen Klasse ist typisch BMW und so progressiv, dass es aussieht, als hätten wir eine Modellgeneration übersprungen", findet Adrian van Hooydonk, Leiter BMW Group Design. Kraftvolle Radhäuser, das zurückversetzte Greenhouse und die im „Shark Nose"-Stil weit nach vorn ragende Fahrzeugfront sind charakteristische Merkmale eines BMW. 21 Zoll große Aerodynamik-Räder greifen das klassische, vom Motorsport inspirierte Kreuzspeichendesign auf. Der nahezu monolithische Fahrzeugkörper, die starken Einzüge an Front und Heck und die großen Fensterflächen sind weitere Designelemente der Vision Neue Klasse.

Eine Neuinterpretation der markentypischen Designelemente Niere und Doppelscheinwerfer verhilft der Fahrzeugfront zu einer einheitlichen Interaktionsfläche. Eine Lichtinszenierung mit präziser, dreidimensionaler Animation sorgt dafür, dass die intuitive Interaktion zwischen Mensch und Automobil bereits bei der Annäherung an das Fahrzeug beginnt. E-Ink-Elemente im unteren Bereich der Seitenfenster weisen auf die Sensorfläche hin, mit der sich die automatische Türöffnung aktivieren lässt. Die im 3D-Druckverfahren gefertigten Heckleuchten werden auf mehrere Ebenen verteilt und gezielt angesteuert, um eine Tiefenwirkung zu entfalten.

Helle Textilstoffe in Cord sorgen im Innenraum des BMW Vision Neue Klasse für ein wohnliches Ambiente. Die helle Armaturentafel trägt das im oberen und unteren Bereich abgeflachte Lenkrad sowie das Central Display. Eine Smartphone-Ladeschale und der gläserne gestaltete Gangwahlhebel teilen sich den Platz auf der Mittelkonsole. Die vorderen Sitze sind mit jeweils nur einer Halterung am Boden befestigt, wodurch sich die Beinfreiheit im Fond erhöhen soll. Die vollständig dekorchrom- und lederfreie Gestaltung des Innenraums trägt zur Optimierung der CO2-Bilanz im Fertigungsprozess bei.

Neue Klasse mit nächster Generation des BMW iDrive

Analoge Bedienelemente sind in der BMW Vision Neue Klasse auf ein Minimum reduziert. Die Interaktion zwischen Mensch und Auto erfolgt über BMW Panoramic Vision, Central Display und Multifunktionstasten am Lenkrad. Ergänzt wird das Nutzererlebnis durch die bewährte Sprachsteuerung mit dem BMW Intelligent Personal Assistant, der auf Amazon Alexa basiert. Mit dem in der Neuen Klasse erstmals verfügbaren BMW Panoramic Vision sehen sich die Münchner weltweit führend. Es projiziert Informationen in einer „ideal auf die Sichtachse des Fahrers abgestimmten Höhe“ und erstmals über die gesamte Breite der Windschutzscheibe. Diese Innovation werde das weiterentwickelte BMW Head-Up Display in den Serienmodellen der Neuen Klasse ergänzen, heißt es vom Unternehmen.

Fahrer oder Beifahrer können die auf dem Central Display dargestellten Inhalte mit einer Geste auf das BMW Panoramic Vision verschieben. Eine abgestimmte Choreografie aus dem Ambientelicht und den Grafikdarstellungen auf dem Central Display und dem BMW Panoramic Vision soll das Nutzererlebnis bereichern. Das neue BMW iDrive basiert auf einer Software-Architektur, die Daten über das Fahrerlebnis und das Infotainment sowie aus dem elektronischen Bordnetz des Fahrzeugs und der BMW Cloud zusammenführt.

Wo wird die Neue Klasse von BMW produziert?

Aus dem komplett neuen Werk Debrecen in Ungarn kommt Ende 2025 das Mittelklasse-SUV iX3, in der Designsprache der Konzeptlimousine „Vision Neue Klasse“ nicht unähnlich. Dies lässt den Schluss zu, dass es keine Elektroversion mehr vom neuen X3 geben wird, der dieses Jahr debütiert. Den heutigen iX3 lässt BMW parallel weiterlaufen, mindestens bis weit ins Jahr 2025, um die Produktionslücke zum neuen iX3 möglichst kurz zu halten.

 

2026 feiert die Neue Klasse als Limousine ihr Debüt. Sie rollt zunächst vom Band im Stammwerk München, das derzeit für 650 Millionen Euro umgerüstet wird. Etwas später wird BMW das Mittelklasse-Modell auch in Mexiko und China produzieren. In China erfolgt auch die Fertigung einer verlängerten iX3-Version. Vermutlich noch ebenfalls 2026 dürfte BMW in Drebrecen die Coupé-Variante iX4 startklar haben. Aus München wird im Jahr darauf der Touring erwartet. Der Kombi wäre dann die Nummer fünf der Neuen-Klasse-Familie. Beim sechsten Modell handelt es sich vermutlich um ein Kompakt-SUV, das den heutigen iX1 beerbt.

 

Mit Einführung der Neuen Klasse steht aller Voraussicht nach auch eine neue Nomenklatur auf der Agenda, um den Kunden beim Übergang ins Elektrozeitalter nicht unnötig zu verwirren. Je nach Ausprägung könnte die Strom-Limousine dann beispielsweise i320 oder i330 heißen, während die Verbrenner der nächsten 3er-Baureihe schlicht als 320 und 330 fahren, ohne nachgestelltes i oder Diesel-d. Beim SUV böte sich entsprechend iX320 und iX330 an.

Produktioner bereiten sich auf Neue Klasse vor

Im digitalen Fabriklayout sind bereits jetzt realitätsgetreue Simulationen zukünftiger Arbeitsschritte möglich und Mitarbeiter können mithilfe von VR-Brillen am digitalen Zwilling geschult werden. Im BMW-Werk Regensburg lässt sich heute schon virtuell erleben, wie die Fabrik in einigen Jahren aussehen wird, wenn ab der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts die Produktion der Neuen Klasse beginnt. Werkleiter Armin Ebner erklärt: „Schon jetzt, viele Jahre vor dem Serienstart, planen wir die neuen Fertigungslinien virtuell, während wir gleichzeitig noch die aktuellen Modelle BMW X1 und BMW X2 fertigen.“

„Die ,Modellmenschen‘ an unserem digitalen Montageband bewegen und verhalten sich genauso wie reale Menschen“, erläutert Dominik Wottke, Produktions- und Qualitätsspezialist in der Regensburger Fahrzeugmontage. Wenn die Software zum Beispiel erkenne, dass sich ein virtueller Mitarbeiter zu tief bücken oder zu schwer heben müsse, um einen Arbeitsschritt durchzuführen, dann sei dies auch in der Realität der Fall. Darauf könne man gezielt reagieren und Verbesserungen an der Modellierung vornehmen.

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