Der Schrottplatz. Bisher schmuddeliges Schrauber-Paradies, bald schon wertvolle Teilequelle für OEMs? Tatsächlich werden zu viele Komponenten vorschnell entsorgt, obwohl sie noch ein weiteres Autoleben durchhalten könnten. Hinzu kommt: „Der Umstieg auf Elektromobilität ist in vollem Gange. Doch ohne gleichzeitigen Einstieg in die Circular Economy wird die Automobilindustrie ihre Klimaziele nicht erreichen“, mahnen die Analysten Constantin Gall und Martin Neuhold der Unternehmens- und Strategieberatung EY. Gerade die CO2-Bilanz bei der Herstellung von Stromern sei problematisch, was vor allem an der energieintensiven Batterieherstellung liege, die etwa die Hälfte der Emissionen in der Produktion ausmache. Durch Energiesparen und fortschreitende Umstellung auf erneuerbare Energien allein ließe sich der Lebenszyklus von Elektrofahrzeugen nicht ausreichend dekarbonisieren.
Durch Kreislaufwirtschaft schon. Also Autos, die so konzipiert werden, dass sie gut repariert und zumindest in Teilen wiederverwendet werden können, so dass die Rohstoffe innerhalb eines geschlossenen Kreislaufs bleiben. „Am Ende seines Lebens soll das Auto nicht Schrott, sondern ‚Materialbank‘ für neue Fahrzeuge sein“, bringen es Gall und Neuhold auf den Punkt.
So wird aus Schrott eine 1A-Teilequelle
Genau daran wird in der Industrie und Forschung fieberhaft gearbeitet. „Wir wollen das klassische Recycling ablösen und betrachten jede Komponente eines Automobils als wertvolle Ressource“, sagt Uwe Frieß. Der Abteilungsleiter Karosseriebau, Montage und Demontage am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU entwickelt mit weiteren Instituten und Industriepartnern im Projekt Ekoda ("Effiziente und wirtschaftliche kreislauforientierte Demontage und Aufbereitung") ein Testverfahren, durch das etliche Autoteile daraufhin durchleuchtet werden, ob und wie sie wiederverwendet werden können. Bei Batterien gibt es bereits etliche Ansätze, doch die Fraunhofer-Forschenden gehen weiter, indem sie unter anderem auch Getrieben ein zweites Leben ermöglichen möchten. Und selbst wenn sich dieses als dafür ungeeignet erweist, muss das nicht das Ende sein: „Ein Zahnrad aus dem defekten Getriebe eines Autos könnte ein zweites Leben in einem refurbished Elektroroller erhalten“, erklärt Frieß.
Wie es für Gebrauchtteile weitergeht, darüber entscheidet die vom Fraunhofer IWU entwickelte Bewertungssoftware, die ein detailliertes Zustandsprofil erstellt, dieses analysiert und Empfehlungen für die Weiterverwendung gibt. Künstlich intelligente Algorithmen sorgen dafür, dass das weithin automatisiert geschieht. Wichtig in dem Prozess ist „eine sorgfältige, standardisierte und automatisierte Demontage der Einzelteile, die frühzeitig auf die mögliche Weiterverwendung der Komponenten zielt“, erklärt Frieß. Folgerichtig arbeiten die Forschenden des Fraunhofer IWU an Verfahren zur automatisierten Demontage der Einzelteile.
Reparieren statt verschrotten
Auf den kreislauforientierten Pfad ist man auch bei Audi eingebogen. „Reparieren statt verschrotten“ lautet hier das Credo. Und das auf hohem Niveau: Ziel des Ingolstädter Aufbereitungsprogrammes Austausch 2.0 ist die industrielle Aufbereitung von gebrauchten Teilen in Originalteilequalität. Bisher ist Remanufacturing in der Branche aufgrund der hohen Sicherheits- und Qualitätsanforderungen kaum verbreitet. Es spricht aber nichts dagegen, derart aufbereitete Teile entsprechend gekennzeichnet wieder über den Ersatzteilemarkt in Umlauf zu bringen.
Umgesetzt wird das Programm derzeit bei Getrieben sowie Mechatroniken und soll auf andere Ersatzteile ausgedehnt werden. Zusammen mit dem Volkswagen Werk Kassel hat Audi ein mehrstufiges Aufbereitungsverfahren entwickelt. Zu Beginn des zweitens Lebens steht wie beim Arzt eine Art Anamnese: Servicemitarbeiter erstellen eine Liste mit möglichen Beanstandungen des Kunden, was ersten Aufschluss über mögliche Fehlerursachen gibt. Weitere Indizien kann der Fehlerspeicher des Fahrzeuges liefern. Bei der Reparatur kommen dann aufbereitete Teile zum Einsatz. Ist das Getriebe nicht wirtschaftlich instand zu setzen, dient es als Ersatzteilspender. Tests hätten gezeigt, so Audi, dass aufbereitete Getriebe die Qualitätskriterien von neuwertigen Teilen erfüllen. Effekt: „Durch das Aufbereitungsverfahren können bis zu 80 Prozent der Einzelteile in der Wertschöpfung erhalten bleiben“, so ein Sprecher.
Willkommen auf dem Schrottplatz 2.0
Stellantis geht das Thema umfassender an und hat eine eigene Geschäftseinheit gegründet, die sich um Kreislaufwirtschaft in dem Konzern kümmern soll. Das Geschäftsmodell basiert auf der 4R-Strategie: Reman, Repair, Reuse und Recycle, also: Remanufacturing (Wiederaufbereitung), Reparatur, Wiederverwendung und Wiederverwertung.
Im Bereich Reman werden gebrauchte oder defekte Teile komplett zerlegt, gereinigt und nach OEM-Spezifikationen wieder zusammengebaut. Nahezu 12.000 Ersatzteile aus 40 Produktlinien, einschließlich Batterien für Elektrofahrzeuge, kommen dafür nach Unternehmensangaben infrage. Im Bereich Repair werden verschlissene Teile repariert und wieder in die Fahrzeuge eingebaut. Im Bereich Reuse werden brauchbare Ersatzteile aus stillgelegten Fahrzeugen ausgebaut und in 155 Ländern über die E-Commerce-Plattform B-Parts verkauft. Und im Bereich Recycle werden Produktionsabfälle und Altfahrzeuge in den Herstellungsprozess zurückgeführt, etwa indem Kunststoffe und Metalle aufbereitet werden.
Noch einen Schritt weiter geht Renault Trucks: Hier werden ältere Lkw wieder ertüchtigt, um sie wieder zu verkaufen. Dazu wurde die Used Trucks Factory im Werk Bourg-en-Bresse aus der Taufe gehoben, wo unter anderem Sattelzugmaschinen in Träger-Fahrgestelle umgewandelt werden: Lkw aus dem Fernverkehr treten so beispielsweise ein zweites Leben als Baustellen- oder Zubringerfahrzeug an.
Konstrukteure entscheiden über die Kreislauffähigkeit eines Autos
Auch der chinesische E-Autohersteller Aiways setzt auf Recycling und Reuse. Am Ende eines Fahrzeuglebens nimmt die Firma Alt- und Unfallfahrzeuge zurück. Wobei diesen Part auf dem hiesigen Markt der Fahrzeugrecycler Priorec übernimmt, der sich auf die Demontage und das Sortieren von Komponenten der Hochvolt-Batteriesysteme spezialisiert hat. Bereits bei der Konstruktion haben die Chinesen das Ende des Produktlebens vor Augen, weswegen man auf hohe Modularität, nicht nur der Akkus, achtet, um Komponenten besser ausbauen oder ersetzen zu können. Auf diese Weise können unter anderem Motor, Wechselrichter, Reduktionsgetriebe wie auch Steuergeräte ohne großen Aufwand wiederverwendet werden.
Letztlich entscheidet sich am Anfang des Produktlebenszyklus eines Autos, ob es für geschlossene Materialkreisläufe taugt. BMW zeigte mit seiner Konzeptstudie BMW i Vision Circular, wie ein konsequent nachhaltig gestaltetes Auto künftig aussehen könnte. Das Kompaktfahrzeug mit eigenwilliger Optik besteht aus 100 Prozent recycelten und nachwachsenden Materialien, ist modular aufgebaut und für, wie es bei BMW heißt, „geschlossene Materialkreisläufe optimiert“, wodurch eine vollständige Recyclingfähigkeit erreicht werden soll. „Jedes Bauteil wurde auf seine bisherige Funktion überprüft, gegebenenfalls ersatzlos gestrichen oder clever neu gebündelt und dann nach dem Anspruch der geschlossenen Materialkreisläufe gestaltet“, lassen die Münchner wissen.
Die Konstrukteure haben auf einfach lösbare Verbindungen geachtet, so dass sich Materialien und Bauteile deutlich einfacher demontieren lassen. Auf Verklebungen und Verbundwerkstoffe wurde verzichtet. Stattdessen auf heute noch skurril anmutende Lösungen gesetzt, wie Kordeln, Knöpfe und Schnellverschlüsse. Und: Verbaut wurden nur wenige unterschiedliche Materialgruppen. Keine aufwendigen und schlecht trennbaren Verbundstoffe, sondern Monomaterialien.
Wenn es die Automobilindustrie ernst mit der Kreislaufwirtschaft nimmt, muss sie umdenken – hin zu modular konzipierten Fahrzeugen mit einfachen und haltbaren Komponenten. Das ist die Basis für eine wirtschaftliche Wiederaufbereitung, Wiederverwendung und Recycling. Nebeneffekt: Das könnte Kosten drücken und die Produktion vereinfachen. Und vielleicht werden Oldschool-Schrottplätze dann in Zukunft ein Relikt der fossilen Vergangenheit sein.