Welchen Sinn hat eigentlich ein Handschuhfach, wenn die Hälfte des Volumens durch eine "drei Kilo schwere Schwarte" blockiert wird? Diese Metapher nutzt Audis Produktionsvorstand Gerd Walker auf dem Automobil Produktion Kongress 2024, um die Sinnhaftigkeit eines haptischen Bordbuchs in Frage zu stellen. "Bitte nicht lachen", sagt der Manager, als er über das digitale Bordbuch als ein kleines Beispiel spricht, welches helfen soll, Audi effizienter zu gestalten. Die großen Hebel sieht der Autobauer hingegen in den vier Kernthemen Wirtschaftlichkeit, Flexibilität, Attraktivität und Nachhaltigkeit. Die Volkswagen-Tochter will so die Zukunft der Produktion ganzheitlich mit einer aus diesen vier Perspektiven heraus entwickelten Strategie namens Factory360 gestalten. Bis 2033 will Audi seine Fabrikkosten halbieren, doppelt so schnell produzieren, minimale Umweltauswirkungen erzielen und der beste Arbeitgeber werden. Den letzten Punkt nannte bereits Siegfried Schmidtner, Leiter des Stammwerks in Ingolstadt gegenüber Automobil Produktion.
Inwieweit Audi angesichts der aktuellen Unsicherheiten auch künftig an seinem Ziel festhalten wird, bleibt abzuwarten. Jüngst ruderte Mercedes-Benz vom einstigen 100 Prozent Elektro-Kurs zurück . Audi-Manager Walker gibt sich betont gelassen: Die Diskussion zur Technologieoffenheit sei in vollem Gang. Man sei für die nahe Zukunft flexibel aufgestellt. "Mit der aktuellen Gesetzgebung, vor allem in Europa, führt mittel- und langfristig kein Weg an der Elektromobilität vorbei. Für uns ist es Motivation, 'Vorsprung durch Technik' weiter mit Leben zu füllen.“
Mehr Varianz trotz weniger Teilen
Die bereits erwähnte Reduzierung der Komplexität in den Fahrzeugen soll aber nicht zum Nachteil für die Kunden werden. Im Gegenteil: "Vor Kunde liegt die Varianz des Q4 E-Tron zehnmal höher als beim A4", sagt Walker. Dabei habe der A4 rund 6.000 produktionsrelevante Teilenummern, der Q4 E-Tron dagegen nur noch rund 1.800. Dazu werde ein möglichst schlanker Produktionsprozess künftig schon ganz früh in der Entwicklung der Fahrzeuge bedacht, sagt Walker.. Weiter will man die Digitalisierung der Produktion voranbringen, etwa mit der auf lokalen Servern basierten, produktionsnahen Lösung EdgeCloud4Production. Die taktungebundene Modulare Montage soll darüber hinaus den einfacheren Umgang mit hoher Produktvarianz ermöglichen.
So spart Audi Energie in der Lackiererei
Audis fünf Kernwerke haben einen jährlichen Energiebedarf von 2,5 Millionen Megawattstunden, davon 1,5 Millionen Megawattstunden Strom. Der größte Anteil entfällt traditionell auf das Lackieren. Um diesen zu reduzieren, setzt Audi unter anderem auf eine neue Applikationstechnik, die 500 Milliliter Lack pro Fahrzeug einspart. Ein umgestellter Füller-Prozess spart 140 Kilowattstunden pro Modell, weitere 50 Kilowattstunden werden durch einen Umluft-Einsatz von mehr als 90 Prozent gespart. Zwölf Kilowattstunden weniger resultieren aus dem Einsatz vom Phosphatersatz, ebenso wie 300 Gramm weniger Abfall. Die größten Faktoren sind mit jährlich 16.000 Megawattstunden weniger Gasverbrauch die Elektrifizierung des Decklack-Trockners sowie der Einsatz von KI im Trocknerprozess, wodurch Audi 25 bis 50 Prozent weniger Wärmeverlust erreicht.
Audis Batterien sollen kleiner und leichter werden
Der größte Kostentreiber bei Elektroautos ist die Batterie. Deshalb arbeitet auch Audi daran, sie effizienter und günstiger zu produzieren. "Unser Ziel ist es, kleinere, leichtere und weniger komplexe Batteriesysteme zu entwickeln", sagt Walker auf dem APK 2024 in München. Betrachtet man die Produktion der Batterien des Q8 E-Tron und die des neuen Q6 E-Tron ergeben sich bemerkenswerte Unterschiede. So liegt der Automatisierungsgrad bei der Q6-Batterie bei 86 Prozent, während es beim Q8 noch 58 Prozent waren. Das Gewicht fällt mit 610 Kilogramm 120 Kilo leichter aus als beim Q8. 23 Quadratmeter Fläche bedarf der Akku des Q6 in der Fertigung, 43 Quadratmeter der des Q8. Zuletzt beziffert Audi die Mitarbeiter pro Batterie auf 0,06 beim Q6, beim Q8 auf 0,24.
Audi setzt auf Förderung für Bestandswerke
Anders als viele Wettbewerber baue man auf das bestehende Netzwerk. Man wolle keine singulären Leuchtturmprojekte auf der grünen Wiese, so Audis Produktionsvorstand Gerd Walker. "Wir investieren vielmehr in unsere existierenden Werke, so dass sie am Ende ebenso effizient und flexibel sind wie Greenfield-Werke.“ Bis Ende des Jahrzehnts fertige man an allen Produktionsstandorten elektrische Modelle und mache alle Mitarbeitenden im Rahmen eines Weiterbildungsbudgets in Höhe von rund 500 Millionen Euro "fit für die Zukunft", so Walker weiter.
Schon jetzt fertigt Audi in den Böllinger Höfen, in Brüssel und Ingolstadt vollelektrische Autos in Serie. Seit 2024 rollt mit dem Q6 E-Tron das erste reine E-Modell auf der PPE-Plattform in Stammwerk vom Band. Der Q6 E-Tron wird zunächst zusammen auf einer Linie mit dem Audi A4 und dem A5 gefertigt. In den Jahren darauf folgen den Ingolstädtern zufolge dann die Werke Neckarsulm, San José Chiapa und Győr mit E-Produktionen; 2029 sollen alle Werke mindestens ein Vollelektro-Fahrzeug bauen. Je nach örtlichen Gegebenheiten will man die verbleibenden Verbrennermodelle bis 2033 auslaufen lassen.
Audi baut Werk in China für PPE-Modelle
Dennoch baut auch Audi neue Fertigungsstandorte auf. So entsteht derzeit im Rahmen eines Kooperationsunternehmens für die lokale Fertigung von Modellen auf Basis der Premium Platform Electric (PPE) eine Produktionsstätte im chinesischen Changchun. "In China haben wir mit der Audi FAW NEV Company gerade ein neues Werk im Aufbau, das mit Blick auf die Standards logischerweise ganz vorne dabei sein wird", sagt Walker. Ab Ende 2024 beginnt Audi dort mit der Produktion von drei Modellen der Baureihen A6 E-Tron und Q6 E-Tron speziell für den chinesischen Markt.