
MAN-Produktionsvorstand Michael Kobriger gab zusammen mit EVP-Chef Manfred Weber und CEO Alexander Vlaskamp (v.l.n.r.) im Werk München das Startsignal für die Serienfertigung batterieelektrischer Lkw. (Bild: MAN Truck & Bus)
Wer am letzten Juniwochenende 2025 das Werksgelände von MAN Truck & Bus in München-Allach betritt, erlebt eine Szenerie, wie sie sinnbildlicher kaum sein könnte: Eine historische Bierkutsche, gezogen von süddeutschen Kaltblütern, zieht ihre Kreise – als würde sie an frühere Transportzeiten erinnern. Fast geräuschlos begegnet ihr ein glänzender E-Lkw aus der Serienproduktion. Zwei Fahrzeuge, zwei Epochen – und doch ein gemeinsames Ziel: Mobilität möglich machen.
Dieses Bild ist bewusst gewählt. Zum 70-jährigen Jubiläum des Stammwerkes in München feiert MAN nicht nur seine Geschichte, sondern auch einen Neuanfang: den Start der Serienproduktion seiner ersten vollelektrischen Lkw-Baureihe. CEO Alexander Vlaskamp macht deutlich, welche Bedeutung diesem Moment zukommt: „Die Zukunft von MAN beginnt jetzt, genau in diesem Moment.“
Montage neu gedacht: Diesel und Strom auf einem Band
Was nach einem technischen Spagat klingt, ist ein konkretes Produktionsprinzip: Im Werk München-Allach laufen Diesel- und Elektro-Lkw künftig auf derselben Linie vom Band. Die Mischproduktion ist dabei kein Kompromiss, sondern eine Strategie. Sie folgt dem Prinzip Build to Order – die Fahrzeuge werden exakt in der Reihenfolge gebaut, wie sie bestellt wurden.
Michael Kobriger, MANs Vorstand für Produktion und Logistik, beschreibt diesen Schritt als konsequente Weiterentwicklung: „Das war von Beginn an eine unserer Hauptzielsetzungen: ein integriertes Montagesystem zu schaffen, das uns erlaubt, in beliebiger Reihenfolge und Stückzahl sowohl Diesel- als auch Elektro-Lkw zu produzieren – flexibel, effizient und kundennah.“
Dabei variieren die Taktzeiten der Montage je nach Fahrzeugtyp – zwischen 720 und 925 Sekunden. Montageleiter Peter Demmel spricht von einer anspruchsvollen Herausforderung: „Die Komplexität der Mischproduktion liegt in der sauberen Austaktung – wir müssen jede Station gleichmäßig auslasten, trotz unterschiedlicher Komponenten und Bauweisen.“
Das Konzept ist wirtschaftlich wie logistisch überzeugend: Rund 95 Prozent der bestehenden Anlagentechnik bleiben in Betrieb, über 5.000 Mitarbeitende wurden für Hochvolttechnologie geschult.
MAN investiert Milliarden für den Umbau
Die Transformation der Produktion ist nicht nur ein technologisches, sondern auch ein finanzielles Großprojekt. Allein in dieser Dekade investiert MAN rund eine Milliarde Euro in den Umbau seiner europäischen Werke – vor allem in Nürnberg und München. In Nürnberg startete bereits die Serienfertigung von Batteriepacks, mit einem Investitionsvolumen von 250 Millionen Euro.
Kobriger betont: „Wir sind ein internationaler Produktionsverbund – aber zu Hause sind wir hier in Bayern. Diese Investitionen zeigen unser Vertrauen in den Standort Deutschland und die Zukunftsfähigkeit nachhaltiger Mobilität.“
Technisch ausgereift: Der E-Lkw für alle Fälle
Mit der Serienproduktion beginnt auch der Markthochlauf der neuen MAN E-Trucks – von 12 bis 50 Tonnen, vom Müllsammler bis zum Langstrecken-Sattelzug. Das Ultra-Lowliner-Modell mit nur 950 Millimeter Aufsattelhöhe ermöglicht erstmals vollelektrische Fahrzeugtransporte mit drei Metern Innenladehöhe.
Die E-Lkw sind mit bis zu sechs Batterien ausgerüstet, liefern eine Bruttokapazität von bis zu 534 kWh und ermöglichen Reichweiten von bis zu 500 Kilometern – optional mit einer siebten Batterie bis zu 740 Kilometern. Rund 200 Vorserienfahrzeuge sammelten bereits über zwei Millionen reale Straßenkilometer, unter anderem bei der Dräxlmaier Group, die CO2-neutral Batterien zum Porsche-Werk Leipzig lieferte.
Vor allem wirtschaftlich soll das Konzept überzeugen: MAN kalkuliert mit durchschnittlichen Stromkosten in Höhe von 0,20 bis 0,30 Euro pro kWh und EU-weiter Mautbefreiung einen Break-even, der sich nach dreieinhalb Jahren einstellen könne.
MAN sieht sich nicht nur bei schweren Nutzfahrzeugen als Vorreiter. Das Unternehmen bietet derzeit mit die breiteste Produktpalette an E-Bussen in Europa – vom Stadtbus bis zum Reisebus. Über 2.500 MAN E-Busse fahren bereits im europäischen Linienverkehr. Jüngster Neuzugang: ein vollelektrischer Reisebus, vorgestellt 2025 in Ankara.
Infrastruktur als Sollbruchstelle?
Ein echter Durchbruch der Elektromobilität ist allerdings nur mit der passenden Infrastruktur möglich. Deshalb fordert MAN europaweit mindestens 50.000 Ladepunkte bis 2030. Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament, versprach beim Produktionsstart der E-Trucks in München seine Unterstützung. Man wird ihn beim Wort nehmen: Denn ohne flächendeckende Schnellladeinfrastruktur droht ein Rückstau beim Fortschritt.
Bei Nutzung von 100 Prozent Grünstrom könnten die ersten 1.000 ausgelieferten E-Lkw bereits bis zu 80.000 Tonnen CO2 jährlich einsparen – das entspricht den Emissionen einer deutschen Kleinstadt.
In München-Allach wird nicht nur gefeiert – hier wird Zukunft gemacht. Was als Dieselstandort begann, wird zur Keimzelle emissionsfreier Logistik. Der Weg dorthin war kein Selbstläufer. Oder wie Michael Kobriger es formuliert: „Was heute selbstverständlich aussieht, war das Ergebnis jahrelanger Arbeit, enormem Knowhow und sehr viel Herzblut. Das ist eine echte Meisterleistung unserer Teams.“ Der E-Lkw ist angekommen. Jetzt ist die Infrastruktur am Zug.
MANs Lkw-Fertigung im Überblick:
Kategorie: |
E-Lkw von MAN |
Start der Serienproduktion: |
16. Juni 2025, Werk München |
Investitionen F&E E-Antrieb: |
ca. 400 Mio. € |
Investitionen in EU-Werke: |
ca. 1 Mrd. € bis 2030, Schwerpunkt D (München & Nürnberg) |
Batterieproduktion: |
Serienstart Hochvolt-Batteriepacks-Fertigung Nürnberg, 250 Mio. € Invest |
Reichweite: |
bis 500 km (6 Batterien), bis 740 km (mit 7. Batterie) |
Tageskapazität: |
bis zu 100 Lkw, antriebsunabhängig |
Aufträge: |
ca. 700 bestätigte Bestellungen |
CO2-Einsparungspotenzial: |
80.000 Tonnen jährlich bei 1.000 E-Lkw |
Break-even-Point: |
nach ca. 3,5 Jahren |
Verbrauch: |
Ø 97 kWh / 100 km (Kundeneinsatz) |
Besonderheit: |
Ultra-Lowliner (950 mm Aufsattelhöhe) für vollelektrische Fahrzeugtransporte |
Produktionsphilosophie: |
Build-to-Order mit vollintegrierter Mischproduktion |