Würde jetzt noch ein vertrockneter Heuballen über das weitläufige Areal wehen – es würde perfekt ins Bild passen. Der Montagsblues an diesem Pressetag auf der IAA Transportation 2024 wird untermalt von weitgehend vereinsamten Straßen auf dem 131 Hektar großen hannoverschen Messegelände. Der tiefgraue Himmel macht die Kulisse perfekt. Zugegeben: Traditionell ist am Pressetag deutlich weniger los als an den darauffolgenden Tagen, an denen Deutschlands größtes Messegelände für die Weltöffentlichkeit eröffnet wird, doch die triste Stimmung passt in diese Zeit voller Unsicherheiten, Absatzrückgänge und Personalabbaupläne. Da können sich die 1.650 Aussteller aus 41 Ländern noch so sehr bemühen, ihre Stände auf Hochglanz zu polieren.
Die größten und pompösesten Stände haben auch dieses Jahr Unternehmen mit den größten Fahrzeugen. MAN, Scania oder Daimler-Trucks – um nur einige zu nennen – zeigen an ihren Ständen modernste Lastwagen mit Elektroantrieb. Doch ähnlich wie im Pkw-Bereich gibt es auch bei den "Brummis" noch viele Hürden, die den Hochlauf der Elektro- und Wasserstofflastwagen behindern.
Nachdem der Nordeingang überquert ist, wartet nebenan in Halle 19 mit dem Mercedes-Benz e Actros 600 direkt der frisch gekürte Truck of the Year 2025. Nicht zuletzt deshalb spricht die designierte Vorstandsvorsitzende Karin Rådström voller Stolz über das Flaggschiff-Modell der Schwaben. „Unser eActros 600 ist eine starke Alternative zu einem Diesel-Lkw – dank seiner Reichweite von 500 Kilometern mit einer Batterieaufladung. Mit seiner sehr hohen Energieeffizienz wird der eActros 600 für Flottenbetreiber zudem profitabel sein. Nun ist es unerlässlich, dass Politik, Energiebranche und Industrie gemeinsam den Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur voranbringen."
34 Milliarden für flächendeckendes Ladenetz
Allein dieses vorgefertigte Zitat aus der offiziellen Pressemitteilung des Unternehmens bietet genügend Diskussionsstoff rund um die aktuelle Situation der Branche. Zumindest beim letzten Satz dürfte weitestgehend Einigkeit herrschen. Dass die Ladeinfrastruktur das Problem schlechthin ist, darüber herrscht Konsens. Um ein flächendeckendes Ladenetz zu schaffen, müssten laut einer PwC-Studie Milliarden investiert werden. Bis 2035 liege der öffentliche Investitionsbedarf in Europa bei 6,1 Milliarden Euro. Hinzu kämen noch einmal 28,6 Milliarden Euro, die die Unternehmen selbst für eigene Ladepunkte ausgeben müssten.
Tausende Kilometer Reichweitenunterschied
Wer sich nicht täglich mit Lastwagen beschäftigt, könnte annehmen, dass eine Reichweite von 500 Kilometern, die der e Actros 600 mit einer Batterieladung verspricht, eine beachtliche Leistung ist. Und tatsächlich sind die Werte im Vergleich mit anderen Elektro-Modellen gut. Blöd nur, wenn man direkt neben dem E-Shootingstar ein Diesel-Modell platziert, das mit seinem 1.100 Liter-Tank eine Reichweite von mehr als 4.000 Kilometern verspricht. Die aktuelle Tankstellendichte ist für derartige Modelle also eigentlich überflüssig. Würden die klimafreundlicheren Modelle auch nur annähernd solche Reichweiten versprechen, würde sich auch das Ladesäulen-Problem erübrigen. So allerdings sprechen die Fakten eine eindeutige Sprache.
Hunderttausende Euro Preisunterschied
Da es auch im Lkw-Bereich aktuell keinerlei Förderung für klimafreundlichere Modelle gibt, wiegt die Dysbalance beim Einkaufspreis umso schwerer. „Ein gut ausgestatteter Diesel-Lkw kostet etwa 125.000 Euro, während ein vergleichbarer Elektro-Lkw zwischen 200.000 und 300.000 Euro liegt", sagt Olaf Broy, der – wenn er nicht gerade in Hannover Rede und Antwort zu den neuen Modellen steht – in Bremen versucht, die Daimler Trucks zu verkaufen. Im Gespräch mit dem Mann von der Front wird das Dilemma der Branche noch deutlicher. Die Quintessenz auch hier: Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht massiv verbessern, dürften die Luxus-Lastwagen der neuesten Generation ihre größten Auftritte auch in Zukunft nur in Messehallen haben.
Höherer CO2-Preis oder mildere Flotten-Ziele?
Der aktuelle Stufenplan der EU zur Senkung des CO2-Ausstoßes sieht vor, die Flottenziele ab 2025 zu verschärfen. Hersteller, die die Grenzwerte überschreiten, müssen Strafzahlungen leisten. Die einzige Lösung wäre ein erhöhter Absatz von E-Lkw. Doch aus den bereits benannten Gründen ist dieser nicht in Sicht. Auch deshalb stellte sich FDP-Verkehrsminister Volker Wissing auf der IAA an die Seite der Hersteller. Vorgaben seien nötig, so der Minister, „aber sie müssen in der Praxis auch tatsächlich umsetzbar sein." Alles andere schwäche die Industrie.
Es brauche einfach mehr Anreize, auf Elektro umzustellen. Ein CO2-Preis auf Diesel wie bei der deutschen CO2-Maut, die es auch in den Niederlanden und Dänemark gebe, helfe bei den Betriebskosten schon deutlich weiter, sagt der scheidende Daimler-Truck-Chef Martin Daum. Diese Art der Verteuerung von Verbrennerantrieben dürfte bis 2030 Schule machen in Europa. Seine designierte Nachfolgerin sprach von einem "Henne-Ei-Problem". In dieser Phase des Marktes könnten Hilfen von Regierungsseite nützlich sein, um einen Engpass zu lösen, sagte sie. Grundsätzlich seien die EU-Programme zur Ladeinfrastruktur (AFIR - Alternative Fuels Infrastructure Regulation) schon nicht ambitioniert genug - und nicht einmal diese niedrigen Ziele würden geschafft.
Mit Material von dpa