Exklusive Einblicke

Wie Porsche Design und Produktion verzahnt

Spezielle Fräsen fertigen die Claymodelle nach Vorgabe der digitalen Modelle

Noch immer spielt das Aussehen für viele Kunden eine tragende Rolle beim Autokauf. Der Stuttgarter Autobauer sieht sich in Sachen Design führend. Wie arrangieren sich die Künstler jedoch mit den Ansprüchen der Produktion?

Es ist einer der stillsten Orte im Werk – fast gespenstisch im Kontrast zur Taktung der Linien. Hier, in der Qualitätskontrolle des Leipziger Porsche-Werks stehen die frisch gefertigten Macans und Panameras in hell ausgeleuchteten Bereichen, jede Fuge, jede Lichtkante im Blick. Am Ende des Wegs prüft Porsche noch einmal, ob jedes Detail dem eigenen Qualitätsmaßstab standhält. In dieser Ruhe wird deutlich, wie sehr Form und Fertigung bei der Marke verknüpft sind – nicht erst am Band, sondern vom ersten Strich an. Anlass der Eindrücke war der zweitägige Workshop „Design meets Production“, in dessen Rahmen Produktionsvorstand Albrecht Reimold und Peter Varga, Director Exterior Design, der Automobil Produktion Rede und Antwort standen.

Frühe Verzahnung statt später Kompromiss

Beim Premium-Hersteller folgt die Fahrzeugentwicklung dem Prinzip des sogenannten Simultaneous Engineering. Das bedeutet, dass Designer, Produktionsplaner und Werkzeugbauer bereits mehrere Jahre vor dem Produktionsstart eng zusammenarbeiten. Von Anfang an sind auch Entwicklung, Vertrieb und Finanzen eingebunden, damit aus einer Idee ein marktfähiges Produkt werden kann. Wichtig ist dabei der Umgang miteinander. Es gibt keine klassischen Abgrenzungen zwischen „Kreativen“ und „Technikern“, sondern ein gemeinsames Rollenverständnis. Albrecht Reimold beschreibt diese Zusammenarbeit als von gegenseitigem Respekt geprägt. „Der Dialog ganz am Anfang ist der wichtigste“, sagt Reimold. „Nur so gelingt es, die Grenze zwischen technischer Machbarkeit und gestalterischem Anspruch immer wieder ein Stück zu verschieben.“

Am Claymodell wird getestet.

Die Produktion bringe ihr Wissen über Fertigungsgrenzen ein, nicht um Entwürfe einzuschränken, sondern um sie realisierbar zu machen. Auch Peter Varga betont, dass viele Fachbereiche mitreden – nicht, um den kreativen Prozess zu bremsen, sondern um ihn zu ermöglichen. „Am Anfang hat es mich überrascht, wie viele Menschen mitreden wollen, wie ein Auto auszusehen hat – heute weiß ich: Das ist wichtig und konstruktiv“, sagt Varga. Das gemeinsame Ziel bleibt, die gestalterische DNA der Marke zu bewahren und sie gleichzeitig so zu entwickeln, dass sie in der Serienproduktion Bestand hat. „Wir haben eine sehr klare Strategie für unsere Produkte – mit einer Design-DNA, der wir konsequent folgen“, ergänzt Varga.

Operativ bedeutet das, dass die Designabteilung Style Porsche schon früh parallel an mehreren Ebenen arbeitet. Während im Studio in Weissach die ersten Skizzen entstehen, werden gleichzeitig digitale Modelle aufgebaut und reale Tonformen im Maßstab 1:1 modelliert. In diesen Phasen geht es längst nicht mehr nur um die Ästhetik einer Linie, sondern auch darum, ob sich die Entwürfe tatsächlich in die Produktion übertragen lassen. Dafür sorgt die sogenannte Strak-Abteilung, die an der Schnittstelle zwischen Design und Fertigung sitzt. Sie prüft, ob die geplanten Formen in Blech umsetzbar sind und welche Anpassungen dafür notwendig werden. Parallel dazu beginnen die ersten Ingenieure in der Produktionsplanung mit umfangreichen Simulationen. Sie analysieren am Computer, wie sich einzelne Blechteile verformen lassen, welche Kräfte beim Pressen wirken und wo Materialgrenzen erreicht werden könnten. Auf diese Weise entstehen Gestaltung und Fertigung nicht nacheinander, sondern wachsen von Beginn an gemeinsam zusammen.

Vom Sketch zur Nullfuge

Der Designprozess selbst bleibt bei Porsche bewusst zweigleisig. Neben digitalen Werkzeugen, mit denen sich Entwürfe auf der Powerwall in hoher Auflösung darstellen lassen, spielen analoge Methoden weiterhin eine zentrale Rolle. Designerinnen arbeiten mit Stift, Papier und Tonmodellen, um die Formen körperlich zu erleben und die Proportionen unmittelbar zu beurteilen. Peter Varga beschreibt, dass an scheinbar schlichten Flächen oft über viele Tage hinweg gearbeitet wird. Kleine Überhöhungen oder minimale Gegenrundungen entscheiden darüber, wie präzise eine Linie wirkt und wie Licht über die Oberfläche läuft. „Unsere Formsprache ist komplex – auch wenn sie am Ende simpel und clean wirkt“, so Varga. „Deshalb müssen wir trotz aller Digitalisierung noch hinlangen: Das Clay-Modell bleibt für unsere Formsprache unverzichtbar.“

Ein großer Teil des Designs erfolgt digital.

Virtuelle Modelle, rechnergestützte Simulationen und inzwischen auch KI-gestützte Werkzeuge beschleunigen die Arbeit, ersetzen aber nicht die Erfahrung mit Material und Werkzeug. „KI nutzen wir täglich – kein Hexenwerk, sondern ein Werkzeug für Varianten und Visualisierung“, sagt Varga. „Designer sind professionelle Künstler – mit Terminplan und Liefertreue.“

Spagat zwischen Geschwindigkeit und Feingefühl

Das zeigt sich nicht nur im Designstudio, sondern auch an der Serienfertigung. So gehören extrem enge Spaltmaße und das saubere Fugenbild längst zu den sichtbaren Erkennungszeichen der Marke. Porsche beschreibt sie als Teil der „Lesbarkeit“ eines Fahrzeugs – also der Fähigkeit, Präzision auf den ersten Blick zu erkennen. Damit dieser Eindruck entsteht, müssen bereits in der Planungsphase die exakten Kantenverläufe und Übergänge festgelegt werden. Der sogenannte Fugenplan definiert diese Maßgaben für jedes Modell. „Die Nullfuge am Dach liegt bei zwei Zehntel – Präzision, die man sieht und fühlt“, betont Reimold.

Besonders markant ist die „Königsfuge“ zwischen Cockpit und Türverkleidung, die optisch eine klare Linie bildet und im Werk auf wenige Zehntelmillimeter genau umgesetzt wird.

Trotz aller Digitalisierung müssen wir noch hinlangen – das Clay-Modell bleibt für unsere Formsprache unverzichtbar.

Peter Varga

Aluminium als Designfaktor

Eine entscheidende Rolle spielt dabei das Material. Porsche setzt in der Außenhaut fast vollständig auf Aluminium. „Wir setzen auf Aluminium, weil es die beste Kombination aus Leichtbau und Umformverhalten bietet“, erklärt Reimold. Für die Ingenieure gilt es als die beste Kombination aus Leichtbau, Festigkeit und Formbarkeit, auch wenn der Werkstoff hohe Anforderungen an das Verfahren stellt. Aluminium verhält sich beim Umformen deutlich widerspenstiger als Stahl, neigt eher zum Rückfedern und erfordert deshalb eine besonders präzise Steuerung der Werkzeuge. Reimold spricht in diesem Zusammenhang von der „goldenen Lösung“, weil sich damit Gewichtsvorteile erzielen lassen, ohne auf markentypische Formen verzichten zu müssen.

Die Frontklappe des Macan forderte die Designer besonders.

„Die Macan-Frontklappe war ein sehr anspruchsvolles Projekt – man wollte sie haben, und gemeinsam haben wir sie in die Serie gebracht“, erinnert sich Varga. Zugleich stellt das Material klare Grenzen: Kleine Radien oder extreme Krümmungen lassen sich nicht beliebig realisieren. Entscheidend ist, dass der Gesamteindruck stimmig bleibt. Designer und Produktioner einigen sich deshalb häufig auf Zwischenschritte, die das gewünschte Erscheinungsbild bewahren und trotzdem fertigungssicher sind. „Ich habe enorm viel gelernt, wie man mit Blech arbeitet und wie schöne Formen wirklich entstehen“, sagt Varga.

Werkzeugbau und Presswerk spielen zentrale Rolle

Ein wichtiges Bindeglied zwischen Designidee und Serienfertigung ist der Werkzeugbau. Porsche hat diese Kompetenz bewusst im eigenen Haus verankert und in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut. „Den Werkzeugbau zu übernehmen, war eine unserer besten Entscheidungen“, sagt Reimold. „So haben wir Kompetenz, Anlagenbau und Consulting unter einem Dach vereint.“ Die Abteilung entwickelt nicht nur Umformwerkzeuge, sondern plant und baut komplette Anlagen. Von der Fabrik in Schwarzenberg gehen die Werkzeuge direkt in den Smart Press Shop in Halle. Dort werden Karosserieteile auf modernsten Pressen gefertigt.

„Der Smart Press Shop ist ein Erfolgsmodell – flexibel, schnell und wettbewerbsfähig“, so Reimold. Die Anlage ist auf Flexibilität ausgelegt, kann Werkzeuge in wenigen Minuten wechseln und liefert Teile sowohl für den Eigenbedarf als auch für externe Kunden. In der Kombination aus Nähe zum Werk Leipzig, hochpräziser Technik und digitaler Prozesssteuerung entsteht ein enges Zusammenspiel, das den Weg vom Entwurf zur Serienfertigung verkürzt.

Komplexität dort, wo der Kunde sie erlebt

Auch in der laufenden Produktion bleibt die Balance zwischen Komplexität und Effizienz ein Dauerthema. Komplexität soll dort spürbar sein, wo sie das Kundenerlebnis bereichert – etwa bei der Individualisierung von Ausstattung und Interieur. Wo sie keinen Mehrwert bietet, wird sie gezielt reduziert. „Komplexität, die der Kunde erlebt, müssen wir beherrschen; unsichtbare Komplexität reduzieren wir konsequent“, sagt Varga.

Dieser Gedanke prägt auch die Organisation der Werke. In Leipzig laufen Fahrzeuge mit unterschiedlichen Antriebssystemen auf einer gemeinsamen Linie. Diese Mixfertigung ermöglicht es, flexibel auf Nachfrageschwankungen zu reagieren und gleichzeitig hohe Auslastung zu sichern. Möglich wird das durch eine konsequent standardisierte Montagearchitektur und durchgängig geplante Logistikprozesse.

Schönheit macht ein Fahrzeug aus – unsere Kundinnen und Kunden kaufen nicht nur Performance, sondern das Porsche-typische Design.

Albrecht Reimold

Risiko, Ikone, Kurskorrektur

Inhaltlich betrachtet bleibt Porsche seiner Linie treu. „Jede mutige Entscheidung ist auch ein Risiko – ohne Mut geht es nicht“, sagt Reimold. Weder der Einstieg in SUV-Modelle noch die Einführung des Taycan als Elektrofahrzeug wurden als Brüche verstanden, sondern als Erweiterungen. „Alle Modelle – ob elektrisch oder mit Verbrennungsmotor – entstehen aus derselben gestalterischen Handschrift und gehören zur Familie“, erklärt Varga.

Reimold spricht in diesem Zusammenhang von „Arrondierungen“, also gezielten Ergänzungen innerhalb eines klaren Markenkerns. Zugleich unterstreicht er, dass Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz zentrale Leitplanken bleiben. So werden Aluminiumreste aus dem Presswerk sortenrein recycelt und Verpackungsmaterial reduziert und wiederverwendet.

Der fertige Macan.

Ausblick: Tempo, Modularität, Individualisierung

Für die kommenden Jahre nennt der Produktionsvorstand drei Prioritäten: schnellere Entwicklungszyklen, flexiblere Produktionssysteme und eine weiter zunehmende Individualisierung. Märkte verändern sich rasant, Regulierungen werden komplexer, und Kunden erwarten kürzere Lieferzeiten sowie mehr Wahlmöglichkeiten. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, müssen Design und Fertigung noch enger zusammenrücken. Die stille Halle der Qualitätskontrolle in Leipzig zeigt, wie das gelingt. Hier wird nicht laut gearbeitet, sondern konzentriert geprüft – jedes Detail, jede Linie, jede Fuge. Es ist der Ort, an dem sich entscheidet, ob das, was in Weissach entworfen wurde, auch in Leipzig Bestand hat.

Am Ende entsteht der Eindruck, dass Porsche die Verbindung von Design und Produktion nicht als Gegensatz begreift, sondern als gemeinsames Handwerk. Die große Ziehtiefe der Karosserien, die präzisen Übergänge und die stimmigen Proportionen sind das sichtbare Ergebnis einer Zusammenarbeit, die früh beginnt und nie wirklich endet. Form ist hier kein Schmuck, sondern Teil der Fertigungskunst – und das macht vielleicht den größten Unterschied aus.