Porsche und Schuler in Halle

Wie arbeitet das modernste Presswerk der Welt?

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Die verschiedenen Farben der Werkzeuge gehören zu den jeweiligen Modellen.

Mit dem Smart Press Shop in Halle betreiben Porsche und Schuler ein voll digitalisiertes, hochautomatisiertes und auf Aluminium spezialisiertes Presswerk, das dem Konzept der Smart Factory so nah kommt wie kaum ein anderes.

Mitten in einem großen Industriegebiet bei Halle erhebt sich ein grauer Riese aus der Ebene. In direkter Nachbarschaft zu den Logistikzentren der Region und keine 30 Autominuten vom Porsche-Werk Leipzig entfernt, steht hier der Smart Press Shop – ein Gemeinschaftsunternehmen von Porsche und Schuler. Nach Angaben der Betreiber ist es das modernste Presswerk der Welt. Produziert werden Aluminiumkarosserieteile hauptsächlich, aber nicht nur für Porsche, sondern auch für Tesla, Mercedes und BMW. Wer das Werk betritt, erlebt eine Szenerie, die teilweise mehr an ein Rechenzentrum erinnert als an klassische Schwerindustrie. Über den Köpfen bewegen sich mehrere tonnenschwere Werkzeuge scheinbar schwerelos durch den Raum – gesteuert von autonomen Kränen, die millimetergenau arbeiten. Das rhythmische Stampfen der Servopressen klingt dabei nicht ohrenbetäubend, sondern kontrolliert, fast gedämpft.

Der Smart Press Shop von oben.

Geschäftsführer Christian Hödicke führt sichtlich stolz durch das Werk. „Wir wollten ein Presswerk bauen, das neue Maßstäbe setzt – in Qualität, Effizienz und Nachhaltigkeit“, sagt einer der beiden Chefs. Die Entscheidung, Aluminiumteile für Premium- und Luxusmodelle in einem eigenen Haus zu pressen, fiel bei Porsche aus Pragmatismus und Anspruch zugleich. „Die Qualität, die wir für unsere Fahrzeuge brauchen, war am Markt nicht zu bekommen“, erinnert sich Hödicke. Also gründeten Porsche und Andritz Schuler 2019 ein 50:50-Joint Venture, das im April 2021 in Serie ging. Geschäftsführungskollege Hendrik Rothe ergänzt: „Wir wollten nicht einfach nur ein weiteres Presswerk bauen, sondern eines, das technologisch alles vereint, was heute möglich ist – und damit zeigt, wie moderne Fertigung in Deutschland aussehen kann.“

Digital Manufacturing Cloud als Basis

Der Smart Press Shop wirkt wie eine Datenfabrik. Das Werk ist vollständig vernetzt, papierlos, mit SAP Public Cloud und der Digital Manufacturing Cloud als Nervensystem. Produktionsaufträge, Anlagenparameter und Qualitätsdaten liegen in Echtzeit vor. Mitarbeitende sehen auf Tablets und PCs, was gerade zählt: Sollwerte, Abweichungen, Freigaben. „Wir waren die ersten, die die DMC so eingesetzt haben“, erinnert sich Hödicke. „Heute profitieren wir davon, weil jeder Schritt lückenlos dokumentiert ist.“

Diese Transparenz beginnt beim Rohmaterial. Aluminium-Coils der 5000er und 6000er Legierung ähneln sich im Datenblatt, unterscheiden sich in der Praxis aber in Details wie Schmierstoffverhalten oder Umformgrenzen. Im Smart Press Shop werden diese Unterschiede über Datenbanken und lernende Systeme erfasst, die Anlagenparameter bereits vor dem ersten Hub anpassen. Das Ziel: von Anfang an einwandfreie Bauteile zu produzieren.

Schneiden mit Licht, Bewegen ohne Hand

Die Halle ist entlang des Materialflusses organisiert. Nach der Coil-Anlieferung trennt eine Laser-Blanking-Linie die Platinen aus dem Band, hoch flexibel, ohne Schablonen und Zusatzwerkzeuge. Zwei Laserköpfe schneiden links und rechts der Kontur, die Anlage fährt im Optimalbereich, die Schnittführung lässt sich in kurzer Zeit anpassen. „Der große Vorteil ist die Flexibilität“, sagt Hödicke. „Wir reagieren auf Kundenwünsche in Stunden, nicht in Wochen.“ Abgelegt werden die Zuschnitte im Platinenlager, geordnet für etwa zwei Tage Bedarf.

Darüber hinweg ziehen die autonomen Deckenkräne ihre Wege. Sie holen Werkzeuge aus dem rund hundert Meter langen Hochregal, in dem etwa achtzig Werkzeugsätze lagern. Lila, dunkelblau, petrol – die Farben markieren die Zuordnung zu Modellen und OEMs. Bis zu fünfzig Tonnen schwer ist ein Satz. Die Kräne führen Transport und Positionierung selbstständig aus, die Bedienplätze sind verschwunden. Wer hier steht, spürt die Dimension: mehrere Dutzend Tonnen, die sich fast lautlos bewegen.

Rüsten in Rekordzeit

Zentrum der Fertigung ist die Schuler-Servopresse. Türen, Kotflügel, Dachmodule, Fronthauben und Heckklappen für Panamera, 911, Macan und Macan Electric oder Taycan laufen hier im Takt. Auffällig ist, wie kurz die Linie für einen Werkzeugwechsel stillsteht. „Wir rüsten in etwa 30 Minuten“, sagt Hödicke. „Das ist doppelt so schnell wie üblich.“ Möglich wird das durch parallel arbeitende Kräne, automatische Spannsysteme und Multikupplungen für alle Medien. Kein manuelles Seilanschlagen, kein Stecken von Kabeln, keine Druckluftverbindungen per Hand. „Wir haben viele kleine Schritte automatisiert und standardisiert. Das gab es so am Markt nicht, das mussten wir mit dem Werkzeugbau selbst entwickeln.“

Das Tempo zahlt direkt auf die Wirtschaftlichkeit kleiner und mittlerer Losgrößen ein. Der Sweet Spot liegt zwischen 20.000 und 150.000 Teilen pro Jahr. Wer die Variantenvielfalt moderner Baureihen kennt, versteht, warum Porsche und andere Kunden genau diese Fähigkeit schätzen.

Hödicke lächelt, als er das Pressengeräusch beschreibt: „Das klingt ein bisschen wie ein Elefant.“ Die Servotechnik erlaubt schnelle Leerwege und langsame Umformphasen. Je nach Teil laufen bis zu vier Komponenten pro Hub, zum Beispiel alle vier Außentüren eines Modells. So erreicht das Werk trotz kleiner Stückzahlen eine beeindruckende Taktleistung.

Eine Plattform für viele Hersteller

Der Smart Press Shop ist als Multi-OEM-Plattform ausgelegt. Jeder Hersteller bringt eigene Standards für Werkzeuge, Schnittstellen und Programme mit – der Standort in Halle akzeptiert sie. „Wir haben die Presse so konstruiert, dass Werkzeuge verschiedener OEMs eins zu eins passen“, sagt Hödicke. „Wir schreiben ein neues Programm, und wenige Stunden später laufen Teile.“ Das reduziert Umrüstaufwand, schafft Resilienz bei Ausfällen und macht das Werk unabhängig von einem einzigen Auftraggeber.

Rund 160 Mitarbeitende arbeiten derzeit im Einschicht- bzw. erweiterten Betrieb. Die Fläche ist skalierbar, eine zweite Linie kann gespiegelt installiert werden. Aktuell entsteht zusätzlich eine rund zehntausend Quadratmeter große Halle für Logistik und Zusammenbauten. Das Werk ist damit auf Wachstum vorbereitet – nicht nur für Porsche, sondern auch für andere OEMs, aus München, Stuttgart oder Grünheide.

Qualität im Prozess, nicht am Ende

Qualitätssicherung geschieht nicht am Ende, sondern während der Produktion. Die Visual Die Protection blickt bei jedem Hub ins Werkzeug und vergleicht das Bild mit einer Referenz. Liegt etwas im Werkzeug, das dort nicht hingehört, stoppt die Presse, bevor Schäden entstehen. Kameras beobachten zusätzlich den Ziehrand. Weicht der Einzug ab, meldet das System Handlungsbedarf – lange bevor ein fehlerhaftes Teil am Ende der Linie sichtbar wäre.

Am Auslauf prüfen Mitarbeitende Außenhautteile im Licht. „Die Oberflächenprüfung in der Geschwindigkeit einer Pressenlinie ist nach wie vor eine Herausforderung“, sagt Hödicke. „Wir arbeiten an einem System, das über die reine Risserkennung hinausgeht und Oberflächen automatisiert bewertet. Aber wir brauchen noch Entwicklungszeit. KI ist hier der Schlüssel.“

Jedes Bauteil trägt zudem einen gelaserten Code. Das Track-and-Trace-System ordnet ihm die gesamte Fertigungshistorie zu: wann geschnitten, mit welchen Parametern gepresst, ob in Baugruppen verbaut, mit welchen Prozessen gefügt. Das schafft Transparenz – für die interne Analyse ebenso wie für Kunden, die bis zur Coil zurückverfolgen wollen.

Nachhaltigkeit als Prinzip

Aluminiumreste werden sortenrein getrennt und im Closed-Loop zurückgeführt. 5000er- und 6000er-Legierungen bleiben im Kreis, ohne Downcycling, wieder zu hochwertigem Karosserieblech. „Bei uns geht kein Kilogramm Aluminium verloren“, sagt Hödicke. Auch die Instandhaltung folgt dem Gedanken der Effizienz. Der Ölwechsel am Hydrauliksystem erfolgt nicht nach starren Intervallen, sondern zustandsbasiert. Partikelmessung und Trendanalyse bestimmen, wann ein Wechsel nötig ist. Das schont Ressourcen und reduziert Stillstände.

Hinter der Linie liegen die Bereiche für Zusammenbauten. Tür-Strukturteile werden verstärkt, geklebt, gefügt und anschließend im Ofen ausgehärtet. Für viele Projekte reichen kleine Öfen, weil die Losgrößen überschaubar sind. Nacharbeit hat ihren eigenen Platz: Leichte Oberflächenfehler lassen sich ausbessern, bevor Teile in den Versand gehen. Das ist wirtschaftlich und vermeidet Ausschuss.

Parallel modernisiert der Standort die Intralogistik. Fahrerlose Transportsysteme ziehen ein, Energiemanagement und Laden laufen inline. Der Ausbau der Logistikhalle soll externe Flächen ersetzen und Wege verkürzen.

Gemeinsam in Richtung Smart Factory

Hinter all den technischen Innovationen steht ein klares Zielbild. „Dark Factory ist eine Vision, aber nicht als menschenleere Halle“, sagt Hödicke. „Wir wollen monotone Arbeit reduzieren, damit sich die Teams um Steuerung, Analyse und Qualität kümmern können. Das setzt Qualifizierung voraus – in der Fabrik und in der Ausbildung.“

Der Smart Press Shop ist damit ein Labor und ein Leuchtturm zugleich. Eine Fabrik, die zeigt, wie sich Präzision, Automatisierung und Nachhaltigkeit zu einem intelligenten System verbinden lassen. Oder, um es in einem Satz zu sagen: Es ist das, was man gemeinhin als Smart Factory beschreibt – oder dem Konzept der Smart Factory sehr nahe kommt.