Mercedes-Vorstandschef Ola Källenius

Mercedes-Chef Ola Källenius gibt erste Einblicke in den neuen CLA. (Bild: Mercedes)

Es ist ein grauer Tag im Herbst, über das Mercedes-Testgelände in Immendingen wuseln wie immer hunderte von Prototypen und Erlkönige. Und auf den ersten Blick ist das Auto mit dem Kennzeichen BB PC 1726 eines wie jedes andere hier: Brandneu, mit psychedelischen Folien beklebt und streng geheim. Doch am Steuer sitzt diesmal kein Ingenieur und kein gewöhnlicher Testfahrer, sondern niemand geringeres als Konzernchef Ola Källenius. Denn BB PC 1726 ist nicht irgendein neuer Mercedes. Sondern die handliche Coupe Limousine von knapp 4,80 Metern ist ein Prototyp für das vielleicht wichtigste Modell, das die Schwaben in dieser Dekade auf den Markt bringen: Den neuen CLA.

Der CLA soll nicht nur beim Preis überzeugen

Was das elektrische Einstiegsmodell für Källenius so wichtig macht, ist weniger die Definition des mindesten, was ein Mercedes künftig sein muss und wie viel die Kunden der Griff nach den Sternen demnächst kosten wird. Wobei man getrost davon ausgehen darf, dass die sich dafür wohl deutlich weiter strecken und mit einer Fünf an erster Stelle rechnen müssen.

Sondern der CLA soll die Schwaben endlich wieder auf Augenhöhe mit den Newcomern bringen, die dem Erfinder des Autos die Schau stehlen, seit die treibende Kraft nicht mehr Benzin oder Diesel ist, sondern Strom.  Zu lange haben sie mit dem EQC gewartet und den elektrischen Erstling dann zu liederlich zusammen geschustert. Sie haben zu viele Kompromisse bei der Elektrifizierung ihrer kompakten MFA-Modelle gemacht. Und auch EQE und EQS sind alles andere als erstklassig.

Doch jetzt wird alles besser, sagt Källenius. Dafür wird er auch bereitwillig vom Chef zum Chauffeur und wiederholt bei ein paar erstaunlich flotten Runden im Windschatten eines AMG One und ein paar anderer Prototypen noch einmal, was er schon zur Premiere der CLA-Studie vor einem Jahr auf der IAA in Aussicht gestellt hatte: Über 750 Kilometer Reichweite, ein Verbrauch von 12 kWh auf 100 Kilometern und 400 Kilometer frische Reichweite in 15 Minuten: „Alles, was wir damals versprochen haben, wollen wir einhalten oder überbieten“, sagt Källenius und verspricht neue Maßstäbe bei Effizienz und Reichweite und bei der Ladeperformance des 800 Volt-Systems.

Der Mercedes CLA steht für einen Generationenwechsel

Dafür ist allerdings ist der CLA nicht nur ein neues Auto. Sondern er stammt auch aus einem neuen Baukasten, bei dem Mercedes viele Kompetenzen zurück ins Unternehmen geholt hat: Er fährt mit einer neue Genration diesmal selbst entwickelter Motoren, es gibt neue Akkus mit neuer Leistungselektronik, das Auto steht auf einer neuen Plattform, die Karosserie hat eine ausgefeilte Aerodynamik und die gesamte Arbeit war geprägt von einem ein fast religiöser Kampf um jedes einzelne Watt Energie von den effizientesten Chips bis zu schnittigsten Felgen, fasst Källenius zusammen.

Den gleichen Neuanfang wie bei der Hardware wagt Mercedes bei der Software und baut nach dem Vorbild Teslas und augenscheinlich vor VW mit seinem leidigen Cariad nun erstmals voll umfänglich ein eigenes Betriebssystem ein. Das MB.OS bringt dem Fahrer noch mehr digitale Spielerei auf den jetzt drei Bildschirmen, die sich unter dem durchgehenden Glas quer durchs gesamte Auto spannen. Es erlaubt weitreichende Neuerungen bei stark automatisierten Fahren, für die Mercedes in zwei unterschiedlichen Ausbaustufen auch schon alle Sensoren und Kameras einbaut. Und es ermöglicht den Entwicklern Funktionen durch bessere Vernetzung und vor allem kürzere Entwicklungszeiten sowie schnellere Updates.

Thomas Geiger und Ola Källenius im Mercedes CLA
Auf dem Mercedes-Testgelände Immendingen erlaubt Konzernchef Ola Källenius Autor Thomas Geiger einen persönlichen Einblick in die neue Fahrzeuggeneration der Schwaben. (Bild: Mercedes)

Selbst wenn der CLA als kommender Einstieg in die Mercedes-Welt besonders wichtig ist und in der Absatzstatistik trotz der Fokussierung auf Luxus weit oben rangieren wird, treiben die Schwaben diesen Aufwand freilich nicht für ein Auto alleine. Sondern in schneller Folge wollen sie nach der Weltpremiere im Frühjahr 2025 auf dieser Modular Mercedes Architecture (MMA) auch die Nachfolger von GLA und GLB enthüllen und mit einem CLA Shooting Break beweisen, dass auch der Kombi bei Mercedes im Zeitalter des Elektroautos noch eine Zukunft hat. Und wenn alles nach Plan läuft, dann werden von diesen vier Modellen in Kecskemet und Rastatt sowie kurz darauf auch in China mehr Autos gebaut als von jeder anderen Mercedes-Familie.

MMA-Modelle bieten Antriebsvielfalt

Zwar wird Källenius nicht müde, die kompromisslos elektrische Fokussierung seiner Mannschaft zu betonen, die erst das platzsparende Packaging und vor allem die wegweisende Effizienz des CLA und seiner Ableger ermöglicht habe. Doch so ganz unter Strom stehen sie in Stuttgart deshalb noch nicht. Schon bevor die elektrische Euphorie auf den aktuellen Tiefpunkt herunter gekühlt war, hatten sie deshalb entscheiden, die MMA-Modelle auch mit einem Verbrenner auszurüsten, sagt Källenius und blickt deshalb vergleichsweise gelassen in auf die volatilen Anteile für Verbrenner und E-Motoren in den unterschiedlichen Ecken der Welt.

Genau wie bei den E-Motoren und den Batterien für den CLA greift Mercedes auch bei den Verbrennern aber nichts einfach ins Regal, sondern setzt auf komplette neu Entwicklungen. Geplant ist ein Vierzylinder-Benziner in mehreren Leistungsstufen, der mit einem weiterentwickelten Mildhybrid-Antrieb zu den effizientesten seiner Art zählen und zumindest auf ganz kurzen Strecken auch elektrisch fahren soll. Im Gegensatz zu den E-Motoren wird er dann allerdings wieder die Vorder- satt die Hinterräder antreiben, damit es keinen Kardantunnel braucht und der vergleichsweise üppige Fußraum im Fond erhalten bleibt.

Verbrenner-Motoren sind Made in China

Allerdinges haben die neuen Motoren eine  – nun ja – ungewöhnliche Genese. Denn selbst wenn es Mercedes-Ingenieure waren, die den aufgeladenen Vierzylinder konstruiert haben, wird das Aggregat in China gebaut. Das übernimmt Großaktionär und Joint Venture-Partner Geely, der den wahrscheinlich 2,0 Liter großen Benziner dann auch bei Volvo und bei und seinen eigenen Modellen einbauen wird.

Obwohl diese Entscheidung die vollständige Elektrifizierung des Portfolios ein wenig verzögern könnte, nimmt Mercedes das Tempo aus der Entwicklung nicht heraus. Während längst noch nicht alle MMA-Modelle fertig sind, läuft deshalb mit Hochdruck schon die Arbeit an der nächsten Elektro-Architektur, die dann alle Baureihen von der C-Klasse aufwärts tragen soll und in der zweiten Hälfte der Dekade erwartet wird. Spätestens dann steht auch für den Chef wahrscheinlich in Immendingen der nächste Einsatz als Chauffeur an.

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