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Hersteller wie Volvo bemühen sich mittlerweile, Prozesse schlank und die Zahl der Varianten gering zu halten. (Bild: Volvo)

Einen Neuwagen kauft man heute zunehmend von der Stange. Die Zeiten der Individualisierung über dicke Kataloge voll mit Sonderausstattung sind vorbei, viele Optionslisten passen heute auf eine DIN A4-Seite. Das hat Gründe.

Noch vor drei Jahren investierte die Kundschaft in den fünf größten europäischen Märkten durchschnittlich 2.871 Euro in Options-Ausstattung, wie die Beratungsgesellschaft Jato jüngst ermittelt hat. Seitdem geht die Zahlungsbereitschaft zurück. Aktuell sind es gerade noch 2.155 Euro, die der durchschnittliche Kund für Komfort, Optik oder Sicherheit zusätzlich ausgibt. Der Anteil der Extra-Kosten am Gesamtpreis eines Neuwagens ist im gleichen Zeitraum von sechs auf acht Prozent gesunken.

Basispreise für Fahrzeuge steigen deutlich an

Ein wichtiger Grund für den zunehmenden Verzicht auf Extras dürften die hohen Basispreise der Fahrzeuge sein; seit 2021 haben sie um 6,7 Prozent zugelegt. Ein Teil der Steigerung liegt dabei an der häufig aufgewerteten Grundausstattung von Fahrzeugen. Umwelt- und Sicherheitsauflagen haben etwa LED-Scheinwerfer fast unverzichtbar und zahlreiche Assistenten sogar obligatorisch werden lassen. Heute kann in der EU beispielsweise kein Neuwagen mehr ohne Frontkamerasystem verkauft werden. Und auch bei der Komfortausstattung haben die Hersteller nachgelegt: Posten wie Parkpiepser, Navigation oder schlüssellose Startsysteme zählen in vielen Klassen mittlerweile zum Serienumfang. „Die Zeit der Sonderausstattungen geht zu Ende“, sieht Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Research in Bochum einen allgemeinen Trend. „Die Grundausstattungen sind immer umfangreicher und mit unterschiedlichen Trim-Levels gut zu überblicken. Hoher Wettbewerb, in der Zukunft auch mit Chinesen, erlauben weniger Spar-Versionen von Autos, die dann mit üppiger Zusatzausstattungen verbessert werden.“

Sonderausstattungen sprechen Besserverdiener an

Trotzdem bleibt das Geschäft mit Zusatz-Ausstattung weiterhin wichtig für die Hersteller. Allein im ersten Halbjahr haben sie mit Optionen auf den fünf größten europäischen Märkten rund 12 Milliarden Euro umgesetzt. Allerdings vor allem in den oberen Fahrzeugsegmenten: Während Kleinstwagen-Käufer im Schnitt ein Extra kaufen und nur 530 Euro auf den Basispreis drauflegen, werden Autos der Oberklasse 11,9 Extras gekauft. Die Halter investieren dafür durchschnittlich 14.707 Euro. Ebenfalls hoch ist die Kaufbereitschaft bei SUV der Oberklasse (13.226 Euro) sowie in der Mittelklasse (7.464 Euro). Unter den Volumen-Marken hat VW mit 4,6 Extras und 3.218 Euro die Nase vorn, dicht dahinter folgt Skoda mit 3,7 Extras und 2.623 Euro. Bei französischen Herstellern wie Renault und Peugeot hingegen geben die Kunden gerade mal rund 1.000 Euro extra pro Neuwagen aus. Im Schnitt ordern sie knapp zwei Extras.

Das ist nicht unbedingt ein Nachteil für die Konkurrenten im Nachbarland. Denn Differenzierung bringt nicht nur Umsatz, sie kostet auch Geld. Damit der Kunde die Möglichkeit hat, sich sein Auto nach eigenen Vorstellungen zusammenzustellen, müssen nicht nur Produktion und Logistik möglichst flexibel sein, auch Entwicklung und Zertifizierung werden aufwändiger. Das bindet Geld und personelle Ressourcen.

Volumenhersteller setzen auf weniger Extras

Die Hersteller haben diesen Aufwand jedoch lange Zeit gerne betrieben: Fiat etwa warb 2011 offensiv damit, in vier Jahren niemals zwei identische Kleinstwagen der damals noch recht neuen 500er-Baureihe gebaut zu haben. So groß war das Angebot an Farben, Accessoires und Sonderausstattungen für das kleine Lifestyle-Mobil. VW rühmte sich zu dieser Zeit, von seinen Millionen jährlich gebauten Autos seien jeweils nur wenige hundert identisch gewesen.

Effizient ist eine derartige Differenzierung nicht, wie Volkswagen mittlerweile bemerkt hat. Dass das so ist, lässt sich beispielhaft an der Preisliste des frisch gelifteten Golf erkennen. Die umfasst zwar immer noch 40 Seiten, für sämtliche frei wählbare Optionen reichen in dem Prospekt mittlerweile aber sechs Blatt. Den Rest füllen großformatige Image-Fotos und eine ausführliche Auflistung der Serienausstattungen. Statt der fünf unterschiedlichen Lenkräder aus der 2021er-Version gibt es in der neuen Liste nur noch eines, statt 31 unterschiedlicher Rad-Reifen-Konfigurationen reichen jetzt 17. Und wo die Angebote zu Radio- und Infotainmentsystemen vor vier Jahren noch zwei engbedruckte Seiten füllten, gibt es nun im Wesentlichen drei Optionen – „Basis“, „bisschen besser“ und „Luxus“.

Hielt Volkswagen die enorme Variantenvielfalt früher noch für einen Vorteil im Wettbewerb um die Kundengunst, ist sie heute vor allem ein Kostennachteil. Jahrzehntelang konnten sich die Norddeutschen hohen Aufwand und geringe Effizienz in der Produktion leisten, weil sie beim Kunden gleichzeitig höhere Preise durchsetzen konnten als die Konkurrenz. Doch der Vorsprung bei Qualität und Prestige ist mittlerweile weggeschmolzen, vor allem bei E-Fahrzeugen. Ein Preis-Plus für das VW-Logo akzeptiert der Kunde heute nicht mehr mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie noch vor zehn Jahren.

Asiaten leben Minimalismus vor

Die Konkurrenz arbeitet bei ähnlicher Qualität mittlerweile effizienter und billiger. Bei letzterem spielt auch die geringere Variantenvielfalt eine Rolle. Tesla etwa bot schon zum Start des Model S im Jahr 2012 kaum Möglichkeiten zur Individualisierung. Und auch wer heute ein Model 3 kauft, kann abseits vom Antrieb im Wesentlichen nur unter sechs eher gewöhnlichen Karosseriefarben, zwei Felgengrößen und zwei Innenausstattungen wählen. Ähnlich konsequent gehen die chinesischen Hersteller vor: Viele bieten ihre Modelle in Deutschland gleich nur mit Quasi-Vollausstattung an und lassen den Kunden höchsten noch ein paar Optik-Details auswählen. Der Xpeng G6 – ein Elektro-SUV der Mittelklasse - etwa lässt sich inklusive Antriebs-Wahl mit zwei, drei Klicks durchkonfigurieren.

Doch nicht nur die elektrischen Newcomer verstehen sich auf Komplexitätsreduktion. Japanische Anbieter wie Toyota arbeiten schon lange sehr effizient, was die Variantenvielfalt angeht. Das registriert auch die Jato-Studie. Europäische Kunden des weltgrößten Autobauers ordern lediglich 0,4 Extras und zahlen durchschnittlich 255 Euro.

Premiumhersteller müssen mehr Individualisierung bieten

Während in Wolfsburg und bei anderen europäischen Volumenherstellern die Optionslisten künftig noch weiter zusammenschnurren dürften, könnten sie bei den deutschen Premium-Autobauern hingegen in bekannter Dimension überleben. Trotz durchaus stolzer Umfänge: Für einen BWM 5er beispielsweise gibt es 39 unterschiedliche Scheiben, davon allein acht Frontscheiben, mal in Standardausführung, mal mit oder ohne Lärmdämmung, mal mit und ohne Wärmeschutz oder Heizfunktion. Und auch für Fahrzeuge mit Head-up-Display gibt es eigene Gläser mit besonderer Form und speziellem Aufbau. Dazu kommen unterschiedlich getönte Scheiben rund ums Fahrzeug, verschiedene Heckscheiben und nicht zuletzt die in den vergangenen Jahren immer beliebter gewordenen Panorama-Glasdächer unterschiedlicher Formate.

Anders als VW und Co. könnte es Audi, BMW und Mercedes mit ihrem immer noch großen Prestige gelingen, ihre Premium-Aufschläge dauerhaft durchzusetzen. Aktuell zumindest kreuzen Mercedes-Käufer im Schnitt 10,9 Optionen an und zahlen 10.584 Euro extra. Mit Tendenz nach oben. „Individualisierung wird immer wichtiger. Die G-Klasse ist dafür das beste Beispiel: Rund 80 Prozent unserer Kunden wählen mindestens eine Option aus unserem Individualisierungsprogramm ‚Manufaktur‘“, erläutert etwa Mercedes-Benz-Vertriebsvorständin Britta Seeger. „In der ersten Jahreshälfte enthielt jedes dritte bestellte Fahrzeug im Top-End-Segment mindestens eine Individualisierungsoption aus diesem Ausstattungs-Programm.“

Luxuskunden bekommen weiter Einzelstücke

Auch bei den Audi (7.129 Euro) und BMW (7.222 Euro) ist hoher Zusatz-Invest üblich. Noch eine Liga höher, in der Luxusklasse, ist ein breites Angebot an Individualisierungsmöglichkeiten sogar unverzichtbar, um die so anspruchsvolle wie solvente Kundschaft zu locken. So stecken in einem gewöhnlichen Rolls-Royce mehrere 100.000 Euro an Extras. Doch damit nicht genug: Sportwagenbauer wie Ferrari und Porsche gehe sogar so weit, auf Wunsch besonderer Kunden sogar Einzelstücke zu bauen. Zuletzt etwa in Form eines 993 Speedster für den italienischen Designer Luca Trazzi.

Solche maßgeschneiderten Autos waren immer schon die Ausnahme. Aber selbst die milderen Formen der automobilen Individualisierung dürften bald schon selten werden. Der Großteil der Autofahrer wird künftig Pkw von der Stange fahren. Oder sie nach Auslieferung bei einem Tuner anpassen lassen müssen. Beim Hersteller selbst gibt es zunehmend Standardkost. Autoexperte Dudenhöffer sieht auch die Vorteile der Entwicklung: „Das Auto wird kein Einheits-Auto, sondern ein Auto mit dem Wesentlichen. Mit dem, was die Käufer mögen.“ Der goldene Zigarettenanzünder sei weiterhin interessant für die Luxusfahrzeuge, aber für die breite Mitte eher eine Nebensache.  

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