Die Zeit drängt. Andreas Söns, im Hause Daimler für die Elektro- und Hybridfahrzeuge der Kompaktklasse verantwortlich, hat ebenso wie sein Team keine Zeit zu verlieren. In diesen Tagen sollen die elektrischen Smart-Modelle ihren finalen Stand bekommen. Schließlich geht es für den Fortwo Electric Drive auf dem US-Markt bereits im Dezember los. Nur beim viertürigen Forfour, erstmals als Elektroversion zu bekommen, gibt es etwas mehr Luft, denn der bleibt auf dem US-Markt außen vor. Während die Prototypenerprobung bei den meisten Autos mindestens drei Jahre in Anspruch nimmt, ist die Testdauer beim Smart Electric ebenso kurz, wie der Doppelsitzer selbst. Die ersten Prototypen rollen seit kaum mehr als einem halben Jahr, um die zahllosen Tests zu absolvieren. „Doch wir haben vorher sehr viel virtuell getestet und hatten natürlich ein entsprechendes Benzinermodell, auf dem wir stark aufsetzen konnten“, erläutert Entwicklungsingenieur Juan Medina, „bei so einem Projekt stehen Zeit- und Kostendruck natürlich ganz oben.“
Seit zwei Wochen ist man im Westen der USA unterwegs. Nach der Wintererprobung am Polarkreis und ersten Dauerläufen rund um Stuttgart düsten die Prototypen zunächst durch die Millionenagglomeration Los Angeles zu den üblichen Innenstadt- und Ladesäulentests. Danach ging es über die California Mountains Richtung Death Valley und Las Vegas zur Hitzeerprobung. Zum Abschluss stehen mehrere Tage mit besonders intensiven Tests rund um Phoenix an, wo Kooperationspartner Nissan eine Fahrstunde südlich der 1,5-Millionen-Stadt seit 29 Jahren ein gigantisches Testcenter betreibt. Auf dem 3.000 Acre großen Gelände gibt es neben einem 5,67 Meilen großen Hochgeschwindigkeitsoval zahllose Teststrecken für Erprobungen aller Art. „36 Grad Celsius – so kühl war es hier seit Tagen nicht“, lächelt Andreas Söns, als er im Innern des dunklen Smart Fortwo ed auf die nächste Testrunde auf dem Markebility Kurs geht, „letzte Woche sah das hier ganz anders aus; bis zu 115 Grad Fahrenheit. Hier testen auch andere, weil es ideale Bedingungen für Heißlanderprobungen gibt.“
So arrangieren sich die Entwickler auch damit, hier neben anderen Herstellern wie Tesla oder Harley Davidson nur Gast zu sein. Heimatliche Gefühle kommen in der 20 x 50 Meter großen Wellblechbaracke mit der nichtssagenden Bezeichnung Building 18 nicht auf. Immerhin bleibt die Hitze durch leistungsstarke Klimageräte weitgehend draußen und so können die Testfahrzeuge außerhalb der Steppe Arizonas für die nächsten Fahrten vorbereitet werden. „Die Entwicklung von Fortwo und Forfour Electric Drive dauert jetzt knapp drei Jahre“, erläutert Andreas Söns, „doch erst im Dezember 2015 haben wir die ersten Prototypen aufgesetzt.“ Der Entwickler meldet sich und seinen Smart mit dem Michigan-Kennzeichen 061 M 547 per Funk vom Markebility Kurs ab und teilt dem Tower mit, dass es nunmehr auf den Rundkurs geht. Im nächsten Moment zischen zwei Harleys und mit gehörigem Abstand ein gelber Nissan 370Z Roadster vorbei.
„Für die Autos ist das hier schon eine Tortur“, erläutert Andreas Söns, der bei Daimler seit Jahren im Bereich elektrifizierter Modelle arbeitet, „doch das sind Rahmenbedingungen, die es hinterher auch im Alltagsbetrieb beim Kunden geben kann.“ Auf den drei Spuren des Ovals können ohne Lenkeingriffe 130 Meilen pro Stunde schnell gefahren werden. Ein Wert, von dem der Pilot eines Smart Elektromodells nur träumen kann, denn die Leistungsdaten haben sich im Vergleich zum Vorgängermodell kaum geändert. Auch wenn Details bis zur Weltpremiere noch geheim bleiben, dürfen viel mehr als die bisherigen 35 kWh kaum realisiert werden. Immerhin soll die Ladezeit reduziert worden sein und es ist davon auszugehen, dass das Trio aus Smart Fortwo ed (Coupé / Cabrio) und Forfour zukünftig etwas schneller als 125 km/h sein werden. Aktuell macht dem dunklen Probanden die Hitze sehr zu schaffen. Trotz frisch erstarktem Akku zeigt die Reichweite schmale 94 km an, während sich die Klimaautomatik redlich müht, die sengende Außenhitze fernzuhalten.
Seine Weltpremiere feiert der Smart Fortwo Electric Drive auf dem Pariser Automobilsalon Ende September. Entsprechend wortkarg wird das Entwicklungsteam, wenn es um die finalen Daten des elektrischen Winzlings geht. Fest steht, dass die kommende Generation den Antrieb weitgehend vom Vorgänger übernimmt. Bisher leistete das Akkupaket 17,6 kWh und der Elektromotor brachte es neben den 35 kW Dauerleistung auf einen Kurzzeitwert von 55 kW. Immerhin soll die Reichweite auf bis zu 170 Kilometer steigen; ein Problem, dass der Smart jedoch bislang kaum kannte, da er in erster Linie in der City genutzt wird. „Hier liegen die Tagesfahrleistungen zumeist unter 40 Kilometern“, räumt Andreas Söns ein.
Während die Antriebstechnik weitgehend unangetastet blieb, profitiert das neue Elektro-Dreigestirn von den deutlich erwachseneren Fahrwerksgenen der 2014 vorgestellten Smart-Generation. Entwicklungsleiter Söns biegt mit einem dunklen Forfour auf den Handlingskurs der Teststrecke, beschleunigt ambitioniert und dreht dann munter auf. Bei der zweiten Kurve stöhnen die Reifen unter der Hitze und den 130 Kilogramm Mehrgewicht, die der Smart durch das Akkupaket im Unterboden herumschleppt. Doch das Fahrwerk lässt sich hier im flotten Galopp ebenso wenig aus der Ruhe bringen wie ein paar Minuten später auf zerborstenem Asphalt oder durch die nervigen Querfugen. „Das geht jetzt alles“, freut sich Andreas Söns, „hier sind die Unterschiede zum bisherigen Modell besonders groß.“
Der nächste Stopp in der Werkstatt. Wasser für die Testfahrer – Strom für den Smart. Aufladen, Daten auslesen, kurze Absprachen mit den Kollegen, ehe es nach dem Mittag raus in die wilde Natur geht. Nachdem die Dauerläufe auf dem Oval im heißen Dreischicht-Betrieb abgeschlossen sind, geht es nochmals um Belastungstests im Alltag. Ab in die seichten Hügelketten der Umgebung mit teils unbefestigten Pisten mit Steinen, Staub und Hitze von bis zu 60 Grad in der Sonne. Immer wieder geht es auf und ab. Anfahren unter Last, abbremsen und rekuperieren. „Das geht alles schon ganz gut“, ist Juan Medina sichtlich zufrieden, als er seinen Prototypen auf den Autotransporter fahren sieht, der die Smarties zurück an die Steckdosen der Werkstatt bringt. Morgen früh geht es weiter.
Parallel dazu rauchen in Böblingen die Köpfe. Entschieden scheint zu sein, dass die kommenden Elektromodelle von Smart nicht nur rund 1.000 Euro günstiger als die Vorgängermodelle werden sollen, sondern auch die nebulöse Batteriemiete entfällt. Demnach läge der Smart Fortwo Electric Drive preislich auf Augenhöhe mit dem Kooperationspartner Nissan, der seinen Leaf aktuell ab 23.365 Euro anbietet – hier jedoch zzgl. Akkumiete. Mittlerweile wurde er weltweit mehr als 250.000 Mal verkauft. Darauf hofft man auch bei Smart.