Wer hier etwas reißen will, der muss früh aus den Federn: Schon um vier Uhr morgens herrscht am Pikes Peak im US-Bundesstaat Colorado betriebsame Geschäftigkeit. Volkswagen will hier, rund eine halbe Autostunde entfernt von Colorado Springs, seinen Elektrorenner I.D. R Pikes Peak testen, mit dem die Wolfsburger am 24. Juni auf der legendären Bergstrecke in den Rocky Mountains bei der 96. Auflage des Bergrennens "Pikes Peak International Hill Climb" den Geschwindigkeitsrekord für Elektrofahrzeuge knacken wollen. Der Rekord besteht seit zwei Jahren und wird von dem Amerikaner Rhys Millen gehalten. Millen stürmte damals mit seinem 1.618 PS starken eO PP100 in gerade mal 8:57.118 Minuten die 19,99 Kilometer und 156 meist enge Kurven vom Start hoch zum Ziel am Gipfel und bewältigte dabei 1.440 Meter Höhenunterschied.

Viel Zeit zum Testen vor Ort haben die VW-Monteure und ihr Pilot Romain Dumas nicht gerade: Spätestens um 08:30 müssen sie auf dem zum Servicepark umfunktionierten Parkplatz wieder einpacken. Punkt 09:00 Uhr öffnet der Naturpark am Pikes Peak seine Tore für die Öffentlichkeit - und auf der Serpentinenstrecke herrscht wieder durchgehend ein Tempolimit von 30 Meilen pro Stunde. Auch die Chance auf einen weiteren Testtermin gibt es nicht: Nur einmal noch, direkt vor dem Rennen, dürfen die Teams gemeinsam auf die Strecke - dann wird es ernst, und auch dann gibt es nur einen Versuch. Um so intensiver konzentrieren sich die Ingenieure vor Ort auf die Fahrwerksabstimmung, auf Reifentests und die Optimierung der Batteriepacks samt der Rekuperation beim Bremsen. Dann holt sich der Allradler wieder bis zu 20 Prozent der Energie zurück. Michelin hat extra für den Rekordversuch einen Satz extrem weicher Reifen gemischt - viel weiter als 20 Kilometer müssen sie ja nicht halten. 

Mit dem Projekt Pikes Peak will VW seine Kompetenz in Sachen Elektroautos deutlich machen. Elektrisch fahren nicht nur langweilige Derivate von Golf und !Up, so lautet die Botschaft. "Elektrisch", das ist auch diese aufregend futuristisch gestaltete schwarze Karbonflundern mit ihrer riesigen Frontflosse und einem Leitwerk am Heck, das jeder 747 zur Ehre gereichen würde. Der 5,2 Meter lange und 2,35 Meter breite Straßen-Jet ist gerade mal 1,2 Meter hoch und sieht einem Le Mans-Prototypen ähnlich. Anders als der muss sich der Pikes Peak allerdings an kein Reglement halten - solange die Sicherheit gewährt ist. Die Bodenfreiheit ist höher als bei einem Le Mans-Boliden, denn vor allem im Zielbereich ist die Fahrbahn mittlerweile so rau wie das Klima dort.

Angetrieben wird der I.D. R Pikes Peak über zwei Elektromotoren, einer an jeder Achse. Zusammen kommen sie auf 500 kW/680 PS Leistung und ein maximales Drehmoment von 650 Nm. Klingt nicht unbedingt viel - selbst der letzte VW, der sich an einem Rekordversuch am Pikes Peak übte, bis er 400 Meter vor dem Ziel wegen eines kaputten Schmiernippels aufgeben musste, hatte 1987 schon über 600 PS, auch aus zwei Motoren. Mehr als 680 PS sind es auch nicht, um Akku-Gewicht zu sparen - nun kommt der Strom aus zwei Mal 256 Lithium-Zellen, die flach hinter und im Cockpit untergebracht sind. Dabei haben Elektroautos auf der komplett asphaltierten Bergstrecke einen ganz klaren Vorteil vor den Verbrennern: Während die mit der immer dünner werdenden Luft in ihren Brennkammern zu kämpfen haben, ziehen die Stromer vom Start ins Ziel gleichmäßig durch. Schon beim Start auf 2.862 Höhenmetern haben die Verbrenner rund 30 Prozent weniger Leistung als auf Meereshöhe - und mit jedem Meter Steigung verstärkt sich die Atemnot, sinkt die Leistung bis zum Ziel in 4.301 Meter Höhe.

Der I.D. R Pikes Peak dagegen ist genau darauf konstruiert. Er verliert keine Leistung, hat einen der dünnen Luft angepassten, enormen Anpressdruck. Zwar schafft der VW eine Höchstgeschwindigkeit von 240 km/h - aber mehr Wert haben die Konstrukteure angesichts der kurvenreichen Strecke auf die brachiale Beschleunigung der inklusive Fahrer weniger als 1.100 Kilogramm schweren Flunder gelegt. Sie bringt es von 0 auf 100 km/h in weniger als 2,25 Sekunden - schneller als ein Formel 1-Renner. Der alte Rekord entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 134 km/h. Für den I.D. R Pikes Peak ist die Bergtour zwar neu - nicht aber für seinen Piloten Romain Dumas: "Ich kenne die Strecke inzwischen in jedem Detail“, sagt er. Der Franzose gewann das Bergrennen bereits drei Mal, zuletzt 2016 und 2017. Und er weiß auch, wie sich dabei Zeiten unter neun Minuten anfühlen. Seine bisherige Bestzeit: 8:51.445 Minuten. Dumas findet seinen Arbeitsplatz richtig bequem: Dank des Elektroantriebs müsse er nicht schalten, sondern könne einfach durchbeschleunigen und müsse sich nur noch darauf konzentrieren, auf der Straße zu bleiben.

Das ist schwer genug. Denn schief gehen kann bei dem Rennen und dem launischen Wetter in den Rockies so einiges. Nicht umsonst trägt das Rennen den Beinamen „Race To The Clouds“. Schon in der Vergangenheit wurde der seit 1916 stattfindende Hill Climb immer wieder wegen Nebel, Schnee, Hagel oder überfrierender Nässe abgebrochen, durchschnittlich schneit und hagelt es selbst im Juni an 18 Tagen auf dem Gipfelbereich. Und die Durchschnittstemperatur dort schwankt im Juni gerade mal um den Gefrierpunkt. Romain Duma hofft deshalb auch auf das nötige Quäntchen Glück: "Wir haben nur einen Versuch."

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