Wie kann es gelingen, dass mehr brauchbare Alt-Autoteile für ein zweites Leben ertüchtigt werden? Immer noch werden bis zu zehn Prozent gebrauchter Teile wie unter anderem Turbolader oder Lichtmaschinen entsorgt, weil man sie nicht zweifelsfrei identifizieren kann. Das liegt entweder daran, dass die Teilenummer unleserlich ist oder weil sich Komponenten mit identischer Nummer durch Abnutzungsspuren optisch doch deutlich unterscheiden. Hier könnte wiederum künstliche Intelligenz Klarheit schaffen. Forschende der Abteilung Maschinelles Sehen am Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK haben jetzt ein KI-basiertes Assistenzsystem entwickelt, durch das Altteile schnell und zweifelsfrei identifiziert werden können, um sie für eine Wiederverwendung aufzuarbeiten.
Warum wertvolle Alt-Teile oft weggeworfen werden
Die bislang unbefriedigende Remanufacturing-Quote hat zwei Gründe: Zum einen kann die Industrie schwer mit aufgearbeiteten Teilen planen, da schwer vorhersehbar ist, wann und in welcher Menge Autoteile aus Fahrzeugen ausgebaut werden. Zum anderen ist der Prozess kostspielig: Allein die Sortierung der Altteile verschlingt etwa ein Drittel des Preises eines instandgesetzten Bauteils. Hier setzt das Fraunhofer-Projekt EIBA an, durch das die eindeutige Identifikation alter Komponenten schneller, treffender und günstiger wird.
Viele Automobilkomponenten tragen Identifikationsmarker, wie etwa Typenschilder mit Identifikationsnummern. „Jedoch ist für eine dritte Firma die Interpretation dieser Nummern nicht immer eindeutig“, erklärt Fraunhofer-Forscher Marian Schlüter, stellvertretender Abteilungsleiter des Bereiches Automatisierungstechnik der Abteilung Maschinelles Sehen am IPK. Es können eine Vielzahl von Nummern auf einem Bauteil vorhanden sein wie Seriennummer, Nummern von Subkomponenten oder solche von Lieferanten des OEMs. Hinzu kommen die schiere Menge und hohe Varianz an Teilen. Die KI des Projektes EIBA kann aktuell immerhin 100.000 bis 200.000 verschiedene Teilenummern unterscheiden.
Was sie dem Menschen überlegen macht: „Selbst, wenn ein Mitarbeiter den ganzen Tag Teile sortiert, wird es unmöglich sein, alle verschiedenen Varianten ‚auswendig‘, ohne das Lesen einer Teilenummer, zuordnen zu können“, sagt Schlüter. „Neben der großen Varianz an verschiedenen Teilen, kommen diese in unterschiedlichen Zuständen an.“ So mache es einen deutlichen Unterschied, ob das Teil sein erstes Leben in einem Auto, welches an der Nordseeküste draußen geparkt und gefahren wurde, verbracht hat oder aber ob es aus einem Garagenwagen aus Bayern stammt. Schlüter: „Dementsprechend sind Rost, Staub, Schmutz, Überlackierung, Ölverschmutzungen oder Lösungsmitteleinwirkung Gründe dafür, dass Teilenummern nicht mehr in jedem Fall zu lesen sind.“ Das ist in sieben bis zehn Prozent so. Heißt: Wiederverwertung ausgeschlossen.
So verhilft KI zu einem zweiten Produktzyklus
„Unsere Lösung nutzt digitale Sensorik wie Kameras oder Waagen, um ein rudimentäres virtuelles Abbild des Altteils für eine KI zu erstellen“, erklärt Schlüter. „Diese kann mit den Daten von den Arbeitsstationen lernen, wie gewisse Teile aussehen und welche Form sie haben.“ Davon abweichende Gewichte oder Formen weisen auf eine fälschliche Sortierung oder eine defekte Komponente hin. Wesentlich ist, dass die KI dabei unabhängig von den lesbaren oder nicht mehr lesbaren Identifikationsmerkmalen arbeitet. Stattdessen entscheidet sie aufgrund der Information über räumliche Gestalt, Oberflächentextur, Gewicht und Kunden- sowie Lieferdaten, um welches Bauteil es sich handeln könnte. Der so generierte Vorschlag wird dem Mitarbeiter als Liste mit einem Vorschaubild und der entsprechenden Artikelnummer angezeigt und kann nun mit einer Eingabe bestätigt werden. Dabei lernt die KI vom Mitarbeiter.
„Wir füttern die KI hauptsächlich mit Bilddaten, welche aus Farb- und Tiefeninformationen bestehen“, erläutert der Forscher. „Tiefeninformationen verwenden wir, um auch Größenunterschiede in den Bauteilen ablesen zu können sowie um die KI robuster gegen variierende Texturen etwa durch Schmutz zu machen.“ Die Forschenden zeigen der KI immer wieder Beispiele einer Teilenummer, bis sie irgendwann von alleine lernt, anhand welcher Merkmale sie diese Teilenummer gegenüber der anderen zig-tausend Nummern unterscheiden kann. „Außerdem verwenden wir statistische Methoden sowie andere Methoden des maschinellen Lernens, um die Liefer- und Kundendaten auszuwerten“, ergänzt Schlüter.
Wie viel CO2 lässt sich durch künstliche Intelligenz sparen?
Fraunhofer-Forschende haben in einer Pilotstudie für Startermotoren gezeigt, dass sie mittels KI zu 98,9 Prozent Altteile richtig erkennen. Die Rate liegt bei aktuellen händischen Methoden bei etwa 93 bis 95 Prozent. Durch die Verbesserung in der Sortierung konnten bei Fraunhofer bei 63.000 sortierten Startermotoren demnach 3.000 Anlasser mehr in den Kreislauf gebracht werden. Ein instandgesetzter Startermotor spart etwa 52 Prozent der CO2-Äquivalente gegenüber einem neu produzierten Anlasser. Wenn man davon ausgeht, dass aufgrund der instandgesetzten Starter nun weniger Neuteile produziert werden müssen, wurden 27.446 Kilogramm CO2-Äquivalente eingespart. Im Gegensatz dazu sind die erzeugten CO2-Äquivalente (119 Kilogramm) der KI zu vernachlässigen.
Darum wird das Verfahren robuster und rentabler
Für die Mitarbeiter entfällt nun der Schritt des Reinigens, des Lesbarmachens von Etiketten sowie des Eintippens der oft nicht intuitiven Zeichen-Ziffern-Kombinationen, aus denen die Teilenummern der Hersteller bestehen. „Dadurch wird eine Fehlerquelle der manuellen Eingabe von langen Zeichenketten vermieden“, sagt Schlüter. „Außerdem ermüdet das nicht so sehr die Augen, welche sich dann eher auf die Bewertung der Altteile konzentrieren können.“
Vor allem aber: Durch den Einsatz der KI können auch die sieben bis zehn Prozent der Teile, die bislang aufgrund fehlender Identifikation aussortiert werden, objektiv wiedererkannt und ihnen somit die korrekte Teilenummer zugordnet werden, womit einem weiteren Lebenszyklus nichts mehr im Wege steht. Schlüter: „Außerdem können durch diese Technik auch ganz neue Produkte in einen Kreislauf gebracht werden, welche bislang aufgrund von fehlenden Identifikationsmerkmalen nach dem Ausbau in einer Werkstatt nicht mehr eindeutig den korrekten Fahrzeugtypen zuzuordnen waren.“
Für die KI-Lösung kommen im Grunde sämtliche Baugruppen aus dem Maschinen- und Fahrzeugbau infrage. Erste Kontakte zur OEMs gibt es bereits. Die Firma Circular Economy Solutions möchte bei erfolgreicher Evaluierung das System selbst einsetzen und auch als Service-Dienstleister für OEMs sowie Instandsetzer. Momentan hat das Fraunhofer-Team etwa 3.500 Bauteile mit 21.000 Datensätzen digitalisiert, in denen rund 124.000 Bilder vorhanden sind. Schlüter: „Schaut man sich das Problem von 100.000 verschiedenen Teilen an, haben wir also noch einiges an Arbeit vor uns.“