Warum Grönland mehr Ladesäulen als Tankstellen hat
Thomas GeigerThomasGeiger
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Auch ohne überregionale Straßenverbindungen gehört das Auto in Grönland zum Alltag – mit einem Markt, der so speziell ist wie die Insel selbst.(Bild: Thomas Geiger)
Grönland ist sechsmal so groß wie Deutschland, hat aber weniger als 400 Kilometer Straßen. Trotzdem gibt es ein halbes Dutzend Autohändler, einen winzigen, aber besonderen Markt und überraschend viele E-Autos.
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Ein paar neue Subaru, ein paar Toyota und die mittlerweile unvermeidlichen Chinesen – auf den ersten Blick sieht Autonord in Nuuk aus wie ein ganz normaler Mehrmarken-Händler in der Provinz. Nur, dass Nuuk kein Dorf ist, sondern die Hauptstadt von Grönland und dass Grönland etwa sechsmal so groß ist wie Deutschland. Trotzdem ist Autonord einer von nur einem halben Dutzend Händlern, und zwar nicht in der Stadt, sondern im ganzen Land. „Denn hier in Grönland ticken die Uhren anders“, sagt Bo Eder-Jensen, der bei Autonord die Finanzen und die Logistik verantwortet.
Die Insel, nach Australien immerhin die größte der Welt, hat einen Fahrzeugmarkt, der kleiner ist als im jedem deutschen Dorf. Kein Wunder, wenn es kaum Einwohner gibt, nicht einmal 400 Kilometer Straßen, von denen kaum mehr als die Hälfte asphaltiert sind und keine außerorts verläuft. Transport und Transit zwischen den Städten erfolgen mit dem Boot, dem Hubschrauber oder dem Hundeschlitten, und über 80 Prozent der Landmasse sind ganzjährig von einem bis zu 3.000 Meter dicken Eisschild bedeckt. „Da braucht es keine große Kfz-Branche“, sagt Eder-Jensen und stempelt Grönland zum wahrscheinlich kleinsten Automarkt der Welt; abgesehen vom Vatikan vielleicht.
„Ein halbes Dutzend Händler verkaufen bei uns pro Jahr zusammen nicht einmal 500 Autos“, sagt Eder-Jensen. Den Bestand weist die amtliche Statistik für 2024 mit 15.000 Fahrzeugen aus. Und da sind die 149 Taxen, 106 Busse, 1.700 Lastwagen und die 226 Rettungsfahrzeuge schon mit eingerechnet. Unterm Strich kommen auf die knapp 60.000 Grönländer deshalb nur 6.799 Pkw und die Fahrzeugdichte ist fünfmal kleiner als etwa in Deutschland.
Dass die Flotte so klein ist, liegt allerdings nicht nur an der wenig einladenden Natur der Atlantikinsel und der komplizierten Importlogistik im Überseecontainer. Auch die Regierung macht es Autofahrern nicht leicht und lässt sich dem Import teuer bezahlen. „Immerhin ist es einfach zu rechnen,“ lacht Eder-Jensen: „Für Autos unter einem Preis von 50.000 dänischen Kronen oder umgerechnet 7.000 Euro liegt der Einfuhrzoll pauschal bei 50.000 Kronen. Für alles, was teurer ist, werden 100 Prozent fällig.“ Nur bei gewerblichen Zulassungen gebe sich der Staat großzügig und kassiere nur die Hälfte, aber ebenfalls mindestens 50.000 Kronen.
„Es gibt aber eine entscheidende Ausnahme,“ sagt der Autonord-Manager: „Plug-In-Hybriden und Elektrofahrzeuge kommen zum Nulltarif ins Land.“ Kein Wunder, dass man auf den Straßen überdurchschnittlich viele Autos mit Stecker sieht, an jedem zweiten Haus eine Wallbox hängt und es längst mehr Ladesäulen gibt als Tankstellen. Und kein Wunder, dass Eder-Jensen allein in den ersten Monaten 50 Subaru Solterra verkauft hat, als die Japaner ihren erste Stromer auf den Markt gebraut haben. Dass Elektroautos eigentlich keine Kälte mögen, auf Grönland aber die längste Zeit des Jahres mit Minusgraden kämpfen müssen, ficht hier trotzdem keinen an: Die paar Kilometer, die man in Nuuk oder Illulisat überhaupt fahren kann, sind selbst mit dem kleinsten Akku mühelos zu schaffen.
Auch wenn die Insel näher an Nordamerika liegt als an Europa und US-Präsident Trump sogar lautstark Besitzansprüche angemeldet hat, ist das Straßenbild wenig amerikanisch geprägt und der Markt wird sichtlich von den Japanern dominiert: Kein Auto ist so häufig auf der Straße zu sehen wie der Mitsubishi Outlander, gefolgt von Toyota RAV4 und BZ4X und Autonords Besteller, dem Zwillingsmodell Subaru Solterra. Mercedes ist vor allem mit dem GLB präsent und bisweilen sieht man auch einen Skoda Enyaq oder einen VW ID.4. Das schwindende Geschäft mit den reinen Verbrennern dominieren nicht zuletzt wegen der günstigen Preise und der Option auf den in Grönland schier unverzichtbaren Allradantrieb Suzuki Swift und Jimny.
Autonord in Nuuk versorgt die wenigen Straßen Grönlands mit Fahrzeugen – vom robusten SUV bis zum Elektroauto.(Bild: Thomas Geiger)
Neues Kapitel für Grönlands Verkehr
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Doch bevor sich die Grönländer Gedanken über ihr Auto machen können, brauchen auch sie natürlich erstmal einen Führerschein, sagt Eder-Jensen. Der ist zwar vielleicht leichter zu machen als anderswo, weil es weder Autobahnen gibt noch Überlandfahrten, der längste Stau an der einzigen echten Ampelkreuzung in der Hauptstadt keine zwei Rotphasen dauert, man nirgends schneller als 60 fahren darf und es zumindest im Sommer auch mit der Nachtfahrt schwierig wird. „Doch dafür muss man erst mal eine Fahrschule finden.” Das war früher selbst in der Hauptstadt ein Problem, von den anderen „Städten“ im Land ganz zu schweigen. Doch jetzt gibt es allein in Nuuk vier Fahrschulen und mit einem Preis von rund 1000 Euro ist der Führerschein ein Schnäppchen, freut sich der Autohändler. „Erst recht in einem Land, in dem selbst Süßigkeiten stark besteuert werden“.
Wer glaubt, dass die Grönländer keine Autos bräuchten, nur weil sie keine Straßen hätten und nirgends zum Hinfahren, weil es in jeder Siedlung außerhalb der Hauptstadt mehr Schlittenhunde gibt als Einwohner und weil jenseits von Nuuk auf ein Auto gefühlt fünf ATV (All-Terrain Vehicle) kommen, den belehrt Eder-Jensen eines Besseren: „Bringt ihr doch im Winter eure Kinder mal bei minus zehn Grad und 30 Zentimetern Schnee zu Fuß in die Krabbelgruppe oder schafft im Sommer euer frisch erlegtes Rentier mit dem Taxi nach Hause.“
Außerdem ist das ja erst der Anfang: Nach Jahrzehnten der Planung und fünf Jahren Bauzeit haben sie in diesem Sommer etwa auf halber Höhe der Nord-Süd-Achse mit der rund 130 Kilometer langen Arctic Circle Route die erste „Straße“ auf Grönland eröffnet, die zwei Orte miteinander verbindet. Noch ist die Schotterpiste zwischen Sisimiut und Kangerlussuaq den ATV vorbehalten. Doch die Behörden träumen von einer neuen Hauptschlagader des Tourismus und vom ortsübergreifenden Individualverkehr.