Mitarbeiter von Mahle

Die Zulieferer stehen vor Unsicherheiten, Mahle etwa verzichtet auf eine Prognose für das laufende Jahr. (Bild: Mahle)

Michael Fricks Worte klangen fast flehentlich: „Während Mahle die Belastungen in den vergangenen zwei Jahren zu einem großen Teil übernommen hat, bin ich überzeugt, dass in der jetzigen Situation Automobilhersteller und Zulieferer gemeinsam gefordert sind, als Partner über eine faire Lastenverteilung aus dieser schwierigen Situation herauszufinden“, sagte der Vorsitzende (ad interim) der Mahle-Konzern-Geschäftsführung Ende April. Der ehemalige Finanzchef musste das Ruder des Stuttgarter Zulieferers übernehmen, da der Vorsitzende der Geschäftsführung, Matthias Arleth, nach nur vier Monaten wegen Unstimmigkeiten mit dem allmächtigen Aufsichtsratschef Heinz Junker bezüglich der strategischen Ausrichtung wieder gegangen war.

Mahle funkt unmissverständlich SOS und fordert öffentlich ein Nachverhandeln der Verträge mit den Autobauern. In einer Branche, in der die Geschäftsbeziehungen zwischen den Zulieferern und den Auftraggebern diffizil gehandhabt werden und man Preisabsprachen wie ein Staatsgeheimnis behandelt, eigentlich ein No-Go, das zeigt, wie angespannt die Lage beim Stuttgarter Zulieferer ist. Mahle ist kein kleines Licht. Das Unternehmen hatte jahrzehntelang sein Geld mit Bauteilen verdient, die für den Verbrennungsmotor wichtig waren. Doch mittlerweile streben die Automobilhersteller mit aller Macht zur Elektromobilität und der Verbrennungsmotor wird in den Vorstandsetagen zwischen Wolfsburg und Stuttgart zunehmend wie ein altes Eisen behandelt.

Preisspirale ist gefährlich für Zulieferer

Auch wenn die großen Zulieferer wie Bosch, Continental oder ZF sich mit solchen Aussagen in der Öffentlichkeit tunlichst zurückhalten, dürften auch bei ihnen die Alarmglocken schrillen – und das ziemlich laut. „Für viele Zulieferer wird es bei massiv gestiegenen Commodity-Preisen eine existenzielle Frage sein, inwiefern sie die massiv gestiegenen Preise selbst kompensieren müssen oder nicht. Die derzeitige Preisspirale ist auf jeden Fall gefährlich“, erklärt Wolf-Dieter Hoppe von der Unternehmensberatung Arthur D. Little.

Alexander Timmer von Berylls pflichtet bei: „Die Kosten konnten gerade in den materialkostenintensiven Bereichen wie beispielsweise Interieurkomponenten nicht immer an die Hersteller weitergereicht werden. Ausgenommen sind hier Fertiger von Kabelbäumen für die Energie- und Informationsverteilung im Fahrzeug. Diese konnten sich trotz der hohen Abhängigkeit von Kupfer dem generellen Trend widersetzen, da die Kupferpreise mit den Fahrzeugherstellern über langfristige Termingeschäfte abgesichert sind.“

Engpassteile bringen Vorteile am Verhandlungstisch

Die verschobenen Prioritäten könnten sogar zu einem knallharten Aussortieren seitens der OEMs führen. Zulieferer, die wichtige Komponenten liefern, werden an den Verhandlungstisch gebeten, bei anderen dürfte es heißen: „Friss oder stirb“. „Es wird der Einzelfall sein, der entscheidet. Sind Zulieferer Lieferanten von kritischen Engpassteilen, zum Beispiel im Elektronikbereich, haben sie gute Chancen auf Erfolg bei Verhandlungen. Ist das Lieferantenportfolio breit und die Teile sind nicht produktionskritisch für den OEM, hat der Lieferant deutlich schlechtere Aussichten“, erklärt Wolf-Dieter Hoppe.

Grundsätzlich ist die Zusammenarbeit zwischen Zulieferer und Autobauer langfristig ausgelegt. Nachverhandlungen aufgrund wirtschaftlicher Notwendigkeiten sind kein Novum und sollten die Beziehung nicht nachhaltig beeinträchtigen. Zumal die OEMs auch bis zu einem gewissen Grad von den Zulieferern abhängig sind. Ein auf kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolg motiviertes Agieren seitens der Autobauer wäre sicher nicht zielführend. Klar ist aber auch, dass bei der angespannten Situation um jeden Cent gefeilscht wird und es die eine oder andere harte Verhandlungsrunde geben wird.

Umsätze der Zulieferer erreichen Vorkrisenniveau

Dabei sah zunächst alles danach aus, dass nach der Coronapandemie wieder ein wirtschaftliches Licht am Ende des Tunnels leuchten würde. Die Talsohle schien durchschritten und die Kennzahlen zeigten nach oben. Nach dem desaströsen Krisenjahr 2020 haben die Umsätze und die Gewinnmargen 2021 wieder zugelegt. Die Kennzahlen der Umsätze der 100 größten Zulieferer im aktuellen Ranking der Automobil Produktion untermauern den Aufwärtstrend, da das abgeschlossene Geschäftsjahr 2021 in etwa wieder das Niveau des Vorkrisenjahres 2019 erreicht hatte.

Die 100 wichtigsten Akteure haben nun wieder das Gesamtvolumen von über einer Billion Euro übertroffen. Auffällig ist, dass es insbesondere bei den Platzhirschen zu großen Verschiebungen kam: Continental musste etwa seinen Podestplatz 3 abgeben und findet sich im aktuellen Ranking nur auf dem sechsten Platz wieder. Und jetzt folgt eine neuerliche Zäsur durch den Ukraine-Krieg und die Stimmung trübt sich wieder ein. „Erst Corona, dann Halbleitermangel, jetzt der Krieg in der Ukraine und massiv steigende Kosten – der Stuttgarter Konzern gibt sich vorsichtig und verzichtet deshalb auf Prognosen für das laufende Jahr“, heißt es bei Mahle. Der schwäbische Zulieferer ist kein Einzelfall.

Continental will Mehrkosten über Preise abfedern

Bei Continental blickt man eher verhalten in die unmittelbare Zukunft. „Weitere Störungen kann es geben, wenn die geopolitische Lage weiterhin angespannt bleibt und die Covid-19-Pandemie andauert. Je nach Ausmaß kann unser Umsatz niedriger ausfallen als 2021“, erklärte Continental-Vorstandsvorsitzenden Nikolai Setzer bei der Hauptversammlung und gab an, dass der Zulieferer mit rund 3,5 Milliarden Euro an Mehrkosten rechnet. Vor allem bei der Beschaffung, aber auch der Logistik. Die Konsequenz daraus ist, dass der Zulieferer ab 2023 rund 850 Millionen brutto jährlich einsparen will.

Ein Weg, um dieses Ziel zu erreichen, sind Preisanpassungen. „Wir verhandeln mit unseren Partnerinnen und Partnern über Preise“, sagt Setzer. Dieses Nachverhandeln betrifft sicher nicht nur die Tier-2- und Tier-3-Zulieferer, sondern auch die Kunden, die OEMs. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bleiben unverändert. „Die größten wachstumshemmenden Faktoren sind aktuell die hohen Rohstoffpreise beziehungsweise die eingeschränkte Rohmaterialverfügbarkeit, da die hohen Rohstoffpreise überwiegend nicht an die Hersteller weitergegeben werden konnten. Eine kurzfristige Änderung der Situation ist nicht zu erwarten, im Gegenteil, es ist mit einem weiteren Steigen der Preise zu rechnen, auch bedingt durch den Krieg in der Ukraine“, verdeutlicht Alexander Timmer.

Zulieferern droht die Verschuldung

Klar ist, dass diese Krisensituation nicht von heute auf morgen verschwinden wird. Vielmehr scheint sich die kriegerische Auseinandersetzung in der Ukraine zu einem längeren Abnutzungskampf zu entwickeln. Selbst wenn sich die Lage irgendwann normalisieren sollte, wird der Vorkriegszustand nicht ad hoc hergestellt werden können. Zumal die Fabriken zum Teil wieder aufgebaut werden und die Lieferketten geflickt werden müssen. Durch das Embargo gegen Russland fehlen auch wichtige Rohstoffe wie Nickel und Palladium.

Bei den großen Tier-1-Zulieferern ist die Lage angespannt, aber bei den Tier-2- und Tier-3-Unternehmen ist sie bisweilen dramatisch. Der Teilemangel und das daraus resultierende unberechenbare Produktionsvolumen schlagen voll auf die zweite und dritte Garde der Zulieferer durch. „Das Abrufverhalten der Kunden ist inzwischen stark volatil und zudem sehr unzuverlässig. Aufgerufene Liefermengen werden oft sehr kurzfristig mit einem Vorlauf von ein bis zwei Tagen teilweise oder komplett abgemeldet, was für eine kontinuierliche und effiziente Produktion tödlich ist“, weiß Jan Dannenberg von Berylls und fasst dann das Dilemma der Zulieferer in klare Worte: „Materialkostenerhöhungen können nur verzögert, nach zähen, mehrmonatigen Verhandlungen und mit Abschlägen an die Tier-1 weitergereicht werden. Die Eigenkapitalquote ist stark gesunken und viele Tier-2 beziehungsweise -3 stehen aufgrund der hohen Verschuldung, steigenden Zinsen und zu geringen operativen Cashflows mit dem Rücken an der Wand.“

Der Grund dafür sei, dass die Abnahmemengen aktuell im Durchschnitt 20 Prozent niedriger sind als vereinbart. Die Zulieferer haben aber mit 100 Prozent geplant und die oft kurzfristig auftretende Diskrepanz zwischen langfristiger Planung und Tagesgeschäft hat fatale Auswirkungen. Das Resultat sind ein fehlender Deckungsbeitrag und ein überhöhtes Working Capital, also das nicht benötigte Rohmaterial und fertige Teile. Dieser Umstand belastet den Cashflow und damit die Bilanz. Es hängen dunkle Wolken am Zulieferer-Himmel.

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