Schaeffler entwickelt Komponenten und Systeme für die Elektromobilität. Das Bild zeigt die Entwicklung von Teilen eines Elektromotors, dem Herzstück eines E-Antriebs.

Nicht nur die Tier-1-Zulieferer müssen ihr Produktportfolio auf Elektromobilität umstellen - dabei gilt es, noch einige Herausforderungen zu meistern. (Bild: Schaeffler)

Das neue Ranking der Top 100 Automobilzulieferer

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Die Herausforderungen für die weltweite Automobilzulieferindustrie werden nicht kleiner. Wie sich die Top 100 Supplier im Geschäftsjahr 2022 geschlagen haben, wer Umsatz gewonnen, wer verloren hat, erfahren Sie im exklusiven Ranking der Automobil Produktion. Die Printausgabe dazu lesen Sie ab dem 18. Juli 2023 und die Möglichkeit, die Ergebnisse online einzusehen und das Poster herunterzuladen, finden Sie dann hier.

Eigentlich müsste doch alles eitel Sonnenschein sein. Im letzten Jahr stieg der Umsatz der deutschen Automobilindustrie auf 506 Milliarden Euro. Das sind 23 Prozent mehr als 2021; sicher auch eine Folge der Coronakrise, die sich in den Bilanzen der Automotive-Unternehmen weniger niederschlägt. Studiert man die Statistik der beeindruckenden Bilanz, öffnet sich eine Schere zwischen Zulieferern und den OEMs. Während die Autobauer mit einem Plus von 28 Prozent dicke schwarze Zahlen schreiben, verzeichneten die Zulieferer lediglich ein Plus von sechs Prozent. Ein Beispiel: ZF hat mit 43,8 Milliarden Euro Umsatz 2022 Rekordzahlen geschrieben, allerdings fiel der Gewinn nach Steuern von 783 Millionen Euro auf 376 Millionen Euro – ein Menetekel kommender Jahre?

Ein wichtiger Wachstumstreiber ist weiterhin der Export von Automobilen und Fahrzeugteilen, der 2022 um 16 Prozent anstieg. Allerdings war nicht China der Hauptabnehmer, sondern die USA. Über den Atlantik flossen um 37 Prozent mehr Teile und Vehikel als im Jahr zuvor. China legt in der Ausfuhrbilanz um neun Prozent zu und war trotz der dortigen Coronapandemie der zweitwichtigste Exportmarkt der deutschen Automobilindustrie. Allerdings sind die Zuwächse im Reich der Mitte mit Vorsicht zu genießen und nicht zwingend für die Zukunft gesetzt. Zum einen strebt das große asiatische Land eine Autonomie an, und zum anderen könnte die geopolitische Lage die Ausfuhr in diese Region behindern.

Der Druck auf die Zulieferer nimmt zu

Erschwerend kommt hinzu, dass die fetten Jahre der Automobilindustrie bald vorbei sein könnten. Noch sind die Auftragsbücher voll, aber vor allem die asiatische Konkurrenz wird im Zeitalter der Elektromobilität stärker und der Kampf härter. Bosch geht von einer deutlichen Abkühlung der Weltwirtschaft aus und rechnet 2023 mit einem Plus von lediglich 1,7 Prozent. „Während die Automobilhersteller trotz Krise derzeit prächtig verdienen, stehen viele Zulieferer mit dem Rücken zur Wand“, stellt Analyst Constantin M. Gall von der Beratungsfirma Ernst & Young (EY) fest. Allerdings habe sich der Automobilstandort Deutschland in den vergangenen Jahren trotz der äußerst schwierigen Rahmenbedingungen als extrem widerstandsfähig erwiesen. Diese Resilienz ist auch in Zukunft nötig, denn das wirtschaftliche Klima bleibt weiterhin rau. Immerhin hat Continental in den ersten drei Monaten dieses Jahres das Ebit um 35 Prozent auf 578 Millionen Euro gesteigert. Die operative Marge legte um einen Prozentpunkt auf 5,6 Prozent zu.

Was bremst die wirtschaftliche Entwicklung der Zulieferer?

Die Energieversorgung und die Umstellung auf CO2-neutrale Produktion lassen die Gewinne schmelzen. Auch wenn die Inflation aktuell nicht mehr in der atemberaubenden Geschwindigkeit wie bisher galoppiert, behindert die Preissteigerung nach wie vor die wirtschaftliche Entwicklung. Die Anzeichen einer Eintrübung verdichten sich bereits in den ersten Monaten des aktuellen Jahres. „Erstmals seit Anfang 2021 sehen wir deutliche Bremsspuren beim Gewinn, der längst nicht mehr so stark steigt wie der Umsatz“, erklärt Constantin M. Gall. Der Grund für die Abkühlung liegt interessanterweise in der Normalisierung der Produktion. Die Lieferketten sind wieder geflickt und auch die Halbleiter sind größtenteils wieder verfügbar. Das bedeutet, die Neuwagenknappheit neigt sich dem Ende zu und damit das Zeitalter der Verteilungshoheit der Hersteller. Anstelle der vollen Neuwagenpreise wird wieder die Rabattschlacht treten. Die Auswirkungen der stockenden Preisspirale werden von den OEMs gerne an die Zulieferer durchgesteckt.

Dass der Rotstift der Controller immer mehr zum Taktstock der Unternehmensstrategie mutiert, zeigen die Beschäftigungszahlen der Automobilindustrie. Trotz der Einnahmen ist die Zahl der Beschäftigten 2022 im vierten Jahr in Folge gesunken und ging um 1,5 Prozent auf gut 774.000 zurück. Das sind rund 60.000 Arbeitnehmer weniger als im Jahr 2018 und bei den Zulieferern ist der Aderlass an Mitarbeitern noch nicht beendet. Schaeffler will bis 2026 rund 1.300 seiner 83.000 Stellen streichen, davon 1.000 Arbeitsplätze in Deutschland. Bei Bosch beschäftigt man sich mit einem Stellenabbau. Der Grund ist die Abhängigkeit der Arbeitsplätze vom Auslaufmodell Verbrennungsmotor. Auch bei ZF stehen einige Tausend Stellen auf dem Prüfstand.

Ein mehr als 20 Zentimeter großer Siliziumkarbid-Wafer von STMicroelectronics.
Die Halbleitertechnologie wird für das Auto der Zukunft immer wichtiger - darauf müssen sich auch die Zulieferer einstellen. (Bild: ZF)

Kosten für Elektromobilität sind hoch

Zu allem Übel rollt noch eine Ausgabenlawine auf die Zulieferer zu. Die Transformation zur Elektromobilität erfordert hohe Investitionen, verbunden mit einer strikten Kostendisziplin, um die Profitabilität hochzuhalten. Aktuell verdienen OEMs und Zulieferer noch viel Geld mit den Verbrennungsmotoren, deutlich mehr als mit den Stromern. An der Transformation zur Elektromobilität führt aber kein Weg vorbei und Kosten für die Entwicklung der Stromer sind deutlich höher. Mit den volatilen Rahmenbedingungen und den Herausforderungen der Elektromobilität verändert sich auch das Verhältnis zwischen Zulieferer und OEM. Bisher war die Geschäftsbeziehung durch knallhart ausgehandelte Verträge, Spezifikationen und Lieferfristen eindeutig geregelt. Um in der neuen Welt, die durch schnellen Wandel, das softwarebasierte Auto, das autonome Fahren und den daraus resultierenden deutlich kürzeren Entwicklungszyklen geprägt ist, zu überleben, muss aus der bisherigen Compliance eine Kollaboration werden. Nur wenn OEM und Zulieferer an einem Strang ziehen, gemeinsam anstatt parallel zu entwickeln, sind die Herausforderungen bestehend aus der Elektromobilität sowie autonomes Fahren und die damit verbundenen beträchtlichen Investitionen zu bewältigen.

Warum Autobauer und Zulieferer kooperieren sollten

Die Vorteile einer solchen tiefgehenden Partnerschaften, die bei der gemeinsamen Entwicklung beginnt und bei der Produktion endet, sind vielfältig: Die Beschaffungskosten sinken und die Qualität wird besser. Weniger Nacharbeiten bedeuten geringere Aufwendungen. Indem die Automobilhersteller das Wissen der Zulieferer nutzen, kann auch die Kosteneffizienz gesteigert werden. Schließlich haben es sich die Zulieferer über die Jahre angeeignet, schnell und flexibel auf sich ändernde Anforderungen zu reagieren. Eine positive Folge des Anspruchsdenkens der OEMs und der Coronapandemie. Eine Neuaufstellung ist umso mehr nötig, da sich die Machtposition in der Wertschöpfungskette im Zeitalter der Elektromobilität verschiebt. Die europäischen Hersteller und Zulieferer verfügen aktuell nicht länger über die Expertise und Rohstoffe für Batterien sowie Software. Die liegt in den USA und in Asien.

Die neuen Anforderungen an Energiespeicher und Software-Algorithmen bedeuten auch, dass sich die etablierten Zulieferer mit Newcomern auseinandersetzen müssen. Um sich auch weiterhin an den Mobilitäts-Geldtöpfen bedienen zu können, muss man sich den neuen Gegebenheiten anpassen. Auf der anderen Seite wäre ein Innovationsstau oder sogar -stillstand in dem schnelllebigen Wettbewerbsumfeld fatal.

Warum fokussiert sich Bosch auf Software?

Das wissen auch die Zulieferer und stellen sich auf die neue Ägide ein, wenngleich die Transformation zu softwaregetriebenen Elektromobilität nicht reibungslos vonstattengehen wird. Bosch-Chef Stefan Hartung prophezeit sogar eine Durststrecke, ehe die Umstellung geschafft ist. Damit sie unter die Haube kommt, hübscht sich die Braut auf: Bosch strukturiert sein Zuliefergeschäft neu und schafft mit den Mobility Solutions eine Division, die alle zu Mobilitätssektor zugehörigen Bereiche zusammenfasst. Der starke Mann dieses Geschäftsbereichs ist Markus Heyn, der auch die zunehmend wichtige Softwareentwicklung verantwortet. „Software verändert nicht nur, wie wir Autos in Zukunft nutzen und erleben. Sie verändert auch, wie Autos entwickelt werden. Bosch versteht sich längst auch als Software-Haus der Mobilität. Jetzt stellen wir uns im Sinne unserer Kunden auch entsprechend auf und erschließen weiteres Wachstum“, erklärt Heyn. Aus gutem Grund: Der schwäbische Zulieferer erwartet, dass das Geschäft mit der Automobilsoftware im Jahr 2030 ein Volumen von mehr als 200 Milliarden Euro haben wird – drei Mal so viel wie 2020. Die ersten Schritte sind schon gemacht: Bis 2025 wollen die Schwaben eine Viertelmilliarde Euro in die Halbleiterfertigung in Reutlingen pumpen.

Bosch will ein möglichst großes Stück vom Kuchen abhaben und peilt für das Jahr 2029 einen Umsatz von 80 Milliarden an. Damit dieses ambitionierte Ziel auch erreicht werden kann, stellt der Zulieferer jetzt schon die Weichen. Der Anteil der Softwareentwicklung wird bei Autos bis zum Ende der Dekade auf 30 Prozent anwachsen, beim Zulieferer ist der Anteil bereits deutlich höher. Ein entscheidendes Kriterium, um im harten Ringen um Aufträge konkurrenzfähig zu bleiben, ist ein flexibles und vor allem schnelles Agieren. In Zukunft wird man nicht mehr mehrere Monate oder gar Jahre Zeit haben, um neue Programme und Funktionen in die Autos zu bringen. Um den Anwendungshunger der Smartphone-konditionierten Autofahrer zu stillen, darf die Software keinesfalls altbacken wirken. Laufende Updates sind eine Pflicht, die der Zulieferer leisten muss. Bosch geht davon aus, dass die ersten softwarebasierten Fahrzeuge schon ab 2025 auf den Markt kommen.

Entwickler steht vor einem virtuellen Fahrzeug
Bosch peilt das milliardenschwere Geschäft mit Automobilsoftware an (Bild: Bosch)

Kleinere und mittlere Zulieferer nicht ohne Chance

Doch die automobile Wertschöpfungs- und Lieferkette besteht nicht nur aus den OEMs und den Tier-1-Zulieferen. Nur mit den richtigen Partnern wird es gelingen, wettbewerbsfähige Produkte punktgenau auf den Markt zu bringen. Der Technologiewandel stellt kleine und mittlere Zulieferer vor eine ungleich größere Herausforderung als Bosch oder Conti. Anders als die Big Player sind die kleineren Zulieferer oft hochspezialisiert und verfügen nicht über die Ressourcen, um auf mehreren Technologiehochzeiten zu tanzen. Deswegen ist das Einbeziehen dieser Firmen in zukünftige Entwicklungen durch die größeren Unternehmen entscheidend, um auch in Zukunft möglichst zuverlässige Lieferketten zu haben.

Das Schlüsselwort im letzten Satz lautet „möglichst“. Denn die Zulieferer und OEMs müssen sich in Zukunft auf volatile Lieferketten einstellen. Nicht zuletzt bedingt durch die wechselhafte geopolitische Lage. Krisen werden an der Tagesordnung sein. Für die Zulieferer und OEMs sind daher ein ausgeklügeltes Risiko-Management und zuverlässige Rückfallszenarien, der berühmte Plan B, entscheidend, um die Versorgung mit Teilen zu gewährleisten. Aber diese Fähigkeiten hat sich die Autobranche während der Covid-19-Pandemie unfreiwillig angeeignet.

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