Die Erwartungen waren groß und die Gesandtschaften aus Europa auf einiges vorbereitet. Seit Jahren gibt es sie wieder einmal – eine Automesse mit echter Bedeutung. Die diesjährige Auto China in Shanghai ist die wichtigste Leistungsschau seit mehr als einem Jahrzehnt und die Vorzeichen für den Großevent könnten für die europäischen Hersteller schwieriger kaum sein. In den drei Jahren Pandemie ist China gerade im Bereich Automobil selbstbewusster denn je geworden und hat neue Marken und Fahrzeuge kreiert.
Die Modelle von BYD, Zeekr, MG, Hongqi oder Aito können es nicht nur mit den einstigen Vorbildern aus Deutschland und Europa aufnehmen, sondern überflügeln diese in vielen Bereichen geradezu mühelos. Nirgends wird dies deutlicher als auf der derzeit stattfindenden Auto Shanghai, denn wer einmal durch die Hallen wandelt und sich mit Marken oder Modellen beschäftigt, die die westliche Welt bisher nicht kannte, dem dürfte es Angst werden um die Zukunft der europäischen Autoindustrie. Die spielte in den vergangenen 30 Jahren in China nicht nur durch weitreichende lokale Kooperationen mit SAIC, FAW, Great Wall oder Geely eine zentrale Bedeutung. Audi-CEO Markus Duesmann etwa erklärt: „Zusammen mit unseren chinesischen Partnern legen wir den Grundstein für anhaltenden Erfolg in unserem größten Einzelmarkt und treiben die Transformation unseres Geschäftsmodells voran. Deshalb ist es für uns entscheidend, auf die spezifischen Anforderungen unserer chinesischen Kunden einzugehen.“
Chinas Automarkt elektrifiziert sich im Rekordtempo
In China ist mittlerweile rund jedes dritte neu zugelassene neue Modell ein Auto mit elektrischem Antrieb. In den großen Metropolen sind die Elektroanteile noch größer. Doch auf Kühlergrill und Heckdeckel strahlt immer seltener das Markenlogo von Volkswagen, BMW, Audi oder Mercedes. Stattdessen bestimmen starke Heimspieler wie BYD, Nio, Great Wall, MG, Geely und Aiways das Straßenbild im alltäglichen Dauerstau. Galt es jahrzehntelang als ebenso chic wie statusbewusst, ein Modell aus Europa zu fahren, so hat sich dies längst geändert. Die chinesischen Marken haben dazugelernt, genau hingeschaut und exzellente Experten von jenen Europäern abgeworben, um Design, Entwicklung, Vertrieb und Markenaufbau zu stärken.
Dazu haben die chinesischen Konzerne mit ihren zahllosen Marken die Gabe, technische Fortschritte und Designtrends deutlich schneller umzusetzen als die weltweite Konkurrenz. Über die sechs- bis achtjährigen Modellzyklen, wie man diese in Europa oder Nordamerika kennt, wird an den strahlend hell ausgeleuchteten Messeständen nur müde geschmunzelt. „Wir sind schnell und setzen Trends schneller um als Volkswagen, Mercedes oder BMW das tun“, erzählt der Topmanager eines der chinesischen Automarken, der jahrzehntelang in Deutschland tätig war, „die endlosen Prozesse wie in Europa gibt es hier nicht.“ Dieses Talent macht sich bei den Neuzulassungen schmerzhaft für die Altstars bemerkbar; auch weil Aito, Ora, Lynk & Co oder Xpeng ihre durchweg elektrischen Fahrzeuge zu Kampfpreisen anbieten. Jeder Kunde auf dem chinesischen Markt will einen guten Deal getreu dem einstigen deutschen Media-Markt-Slogan „Geiz ist geil“. Volkswagen ist nach wie vor eine große Einzelmarke; spielt bei den Elektromodellen aber ebenso nur eine untergeordnete Rolle wie die europäischen Wettbewerber, die sich zumeist vor Jahrzehnten mit ihren chinesischen Kooperationspartnern verbandelt haben. Die Marktanteile der einst so heiß geliebten deutschen Premiummarken, die unverändert einen großen Teil ihres Ertrages in China erwirtschaften, liegen oftmals bei weniger als einem Prozent.
Chinesische Autokäufer ticken anders
Die europäischen Marken merken derzeit schmerzhafter denn je, dass der chinesische Kunde anders funktioniert. Das hatten die Analysten seit Jahren vorhergesagt, doch gerade die Zentralen in Europa wollten möglichst viel der bekannten Geschäftsprozesse in China erhalten, um die Erträge zu sichern. Der chinesische Kunde ist anders, ist jünger und das Smart Device ist ihm noch wichtiger als vergleichbaren Kunden in Europa, den USA oder Japan. Ob ein Auto sechs, acht oder Zwölfzylinder hat, interessiert nicht einmal mehr am Rande, denn die Zukunft ist elektrisch. Dabei nimmt kaum ein Kunde mehr wahr, ob die erfahrenen Entwicklungsingenieure in Weissach, Wolfsburg, Garching oder Sindelfingen in hunderttausenden von Testkilometern die letzte Raffinesse ins Fahrwerk gebracht haben.
Mehr denn je geht es um Vernetzung und Bedienung. Kein Wunder, dass die Displays in den meisten Modellen gigantische Größen haben und auch Beifahrer und Fondinsassen eigene Bildschirme genießen. Bezahlt wird von unterwegs obligatorisch per App oder dem elektronischen Lebenselixier WeChat als chinesisches WhatsApp mit deutlich mehr Funktionen. BMW ist stolz auf sein neues Bediensystem OS9, dass „in seiner neuen Generation 70 Prozent chinesischen Content hat“, wie Entwicklungsvorstand Frank Weber unterstreicht. Beim bisherigen System waren es gerade einmal 30 Prozent. Der neue BMW-Slogan: „What works in China – works all over the World“. Den Slogan gab es früher auch schon einmal europäischer.
Die europäische Autoproduktion hat ein Kostenproblem
Zudem bleiben die Kostenstrukturen ein großes Problem, denn ein Elektroauto mittlerer Größe kann in China rund 10.000 Euro günstiger produziert werden. Arbeitskräfte, Material und Energie sind europaweit und speziell in Deutschland ein tonnenschwerer Rucksack, der kaum ausgeglichen werden kann. Der Technologievorsprung bei den Verbrennern ist durch die immer größer werdende Zahl der Elektromodelle ohnehin verschwunden. Das setzt gerade die Volumenmarken der Großkonzerne Volkswagen, Toyota, General Motors, Hyundai oder Stellantis unter Druck. Da haben es die elitären Premiummarken einfacher, denn viele der Kunden, die mehr Geld für die eigene Mobilität ausgeben, legen auf die europäischen Luxuslabels auch im Modealltag großen Wert. Louis Vuitton, Prada, Escada, Hermes und Gucci sind angesagt wie nie zuvor – das könnte sich auch die europäische Autoindustrie zunutze machen, denn die starke chinesische Konkurrenz hat zwar Innovationen, Rückenwind und Finanzkraft, jedoch keine Historie.
Da wundert es nicht, dass BMW auf der Auto China mit dem i7 M70 xDrive das neue Topmodell seiner Luxuslimousine vorstellt. Mercedes hat unter Ola Källenius noch lautstärker das Luxuszeitalter ausgerufen und präsentiert ebenfalls ein Topmodell: den Maybach EQS SUV – das teuerste, was die Schwaben aktuell zu bieten haben und ebenso wie den Luxus-Siebener aus Dingolfing natürlich elektrisch angetrieben. Auch Volkswagen setzt auf Luxus – auf seine Art, denn der ID.7 soll das Nobelmodell der Mittelklasse werden – die elektrische Version des Passat, der in China seit Jahren mit dem Namen Magotan unterwegs ist. Voll vernetzt und als „Digital Native“ auf Rädern soll er gegen die Übermacht von chinesischen Limousinen bestehen und erfolgreicher unterwegs sein als seine Elektrobrüder ID.4 und ID.6, die sich auf dem Chinamarkt eher schwertun. BMW setzt im Volumensegment große Hoffnungen auf seinen elektrischen iX1 mit langem Radstand und auch Audi will mit dem neuen Q5 E-Tron so manche Angebotslücke füllen, die aktuell besteht.
Der Erfolg chinesischer Marken in Europa bleibt fraglich
Viele der Marken und Modelle werden den Sprung nach Europa nicht schaffen, doch bei Nio, MG, Ora, Wey und Aiways wird es nicht bleiben. Auf der Auto Shanghai verkündete Zeekr, Premiumableger von Geely, seinen Einstieg in den europäischen Markt. „Erst vor zwei Jahren präsentierten wir unser erstes hochmodernes Elektrofahrzeug, den Zeekr 001. Und unser Portfolio ist weiter gewachsen – zunächst kam der Zeekr 009 hinzu und nun der Zeekr X, wodurch wir unser Wachstumspotenzial weiter ausbauen konnten“, so Zeekr-CEO Andy An, „aufbauend auf diesem Erfolg freuen wir uns schon jetzt darauf, unsere Marke als wichtigen Schritt unserer Wachstumsstrategie auf dem europäischen Markt vorzustellen.“
Absatz und Wachstum der Automobilhersteller in China
Den Ergebnissen einer Studie des Center of Automotive Management (CAM) zufolge, haben die deutschen Hersteller im Jahr 2022 erhebliche Marktanteile verloren, während der Gesamtmarkt um 9,7 Prozent zulegte. Großer Gewinner ist BYD, deren Verkäufe um fast 150% zulegen und der nun nach dem Volkswagen Konzern zweitstärkster Autohersteller in China ist. Im ersten Quartal 2023 steigerte BYD seine Verkäufe wiederum um 90% auf 552.076 Fahrzeuge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, während die deutschen Hersteller - wie der Gesamtmarkt - im Minus liegen.